Rezension über:

Dorothee Arnold: Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am Ende des 9. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie; Bd. 797), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, 267 S., ISBN 978-3-631-53179-2, EUR 45,50
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Rezension von:
Sebastian Scholz
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Scholz: Rezension von: Dorothee Arnold: Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am Ende des 9. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/8911.html


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Dorothee Arnold: Johannes VIII.

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Johannes VIII. (872-882) gehört zu den bedeutenden Päpsten des 9. Jahrhunderts. Die Quellenlage für seinen Pontifikat ist ausgesprochen gut, da das Originalregister für die Zeit von 876 bis 882 überliefert ist. Doch die letzte ausführliche Arbeit über Johannes VIII. wurde 1895 von Arthur Lapôtre vorgelegt, während sich jüngere Untersuchungen nur mit Teilaspekten des Pontifikats beschäftigten. Die 2003 an der Universität Erlangen-Nürnberg vorgelegte Dissertation von Dorothee Arnold greift also ein Thema auf, dessen Behandlung durchaus lohnend erscheint. Der Verfasserin geht es allerdings nicht darum, eine Biografie des Papstes zu erstellen, sondern sie fragt nach der Grundlage und dem Rahmen päpstlicher Herrschaft am Ende des 9. Jahrhunderts. Dabei werden die Beziehungen zwischen dem Papst und den karolingischen Herrschern sowie anderen Machtgruppen konsequent vom päpstlichen Standpunkt aus untersucht.

Als Ausgangspunkt wählt Arnold die Kaiserkrönung des westfränkischen Königs, Karls des Kahlen, (25. Dezember 875), da diese eine Zäsur in der Beziehung zwischen Papst und Kaiser gebildet habe. Sie will aufzeigen, inwieweit der Papst seinen Handlungsspielraum nach der Kaiserkrönung erweitern konnte und ob er seinen Herrschaftsanspruch und seine Vorrangstellung in neuer Weise formulierte und zur Geltung brachte. Arnold ist sich des problematischen Begriffs "Herrschaft" dabei durchaus bewusst, zumal die päpstlichen Befugnisse im 9. Jahrhundert noch nicht prinzipiell festgelegt waren. Der Papst handelte zwar aufgrund der Autorität seines Amtes, aber nicht aufgrund einer damit verbundenen, exakt definierten Machtfülle. Päpstliche Herrschaft kann also nur aus konkreten, in den Quellen mitgeteilten Handlungen erschlossen werden.

Die Arbeit beginnt mit einer für die Fragestellung unverzichtbaren Untersuchung des Registers Johannes' VIII. und mit Vorüberlegungen zur Quelleninterpretation, in denen die Problematik und die Besonderheiten der einzelnen Quellen erklärt werden (25-51). Es folgt ein kurzes Kapitel über den Beginn und die Bedingungen des Pontifikats (53-66), das auf eine intensive Auseinandersetzung mit den Quellen verzichtet. Doch wäre es gerade hier wichtig gewesen, zu zeigen, auf welche Weise sich Johannes in die Nachfolge seines Vorgängers Hadrian II. stellte und wie er seine Stellung als Haupt der römischen Kirche vor der Kaiserkrönung von 875 begriff, um die behauptete Zäsur sichtbar zu machen. So hätte etwa eine genauere Analyse der 874/875 an einem Tor des von Johannes rund um San Paolo fuori le mura angebrachten Schutzwalls (Johannipolis) befindliche Bauinschrift für sein Selbstverständnis als römischer Stadtherr aufschlussreich sein können, da sie auf die Nennung des Kaisers verzichtet, während vergleichbare Inschriften Papst Leos IV. ( 847-855) Kaiser Lothar I. stets nennen. Auch das Scheitern Hadrians II. im Streit mit Karl dem Kahlen und den westfränkischen Bischöfen um die Absetzung Bischof Hinkmars von Laon hätte hier erwähnt werden können, hatte es doch zur Folge, dass keine weitere Bischofsversammlung der Karolingerzeit ihre Beschlüsse mehr in Rom zur Bestätigung vorgelegt hat und Johannes somit ein neues Verhältnis zu den fränkischen Synoden aufbauen musste.

In der folgenden Analyse der Krönungen von 875 und 881 (67-115) legt Arnold überzeugend dar, dass 875 ein neues Selbstverständnis des Papstes sichtbar wird, da er sich als Vermittler der göttlichen Bestimmung betrachtete, die er als ausschlaggebend für eine konstituierende Kaiserkrönung ansah. Karl der Kahle dagegen erscheint als von Gott vorherbestimmter Kaiser, dessen Aufgabe es ist, die römische Kirche zu schützen. Doch während der Papst 875 die entscheidende Rolle spielte, da er den Kaiserkandidaten auswählte und Bedingungen stellen konnte, wurde sein Einfluss 881 bei der Krönung Karls III. von den oberitalischen Großen zurückdrängt, die den Papst durch die Wahl Karls III. zum italischen König vor vollendete Tatsachen stellten. Für die Entwicklung des neuen päpstlichen Selbstverständnisses im Umgang mit der Kaiserkrone wäre jedoch auch hier ein Hinweis auf Hadrian II. wichtig gewesen, der bereits 872 in einem Brief an Karl den Kahlen ausdrücklich erklärt hatte, er werde keinen anderen als Karl für die Kaiserkrönung fordern und freiwillig empfangen, falls Karl Kaiser Ludwig überlebe (JE 2951).

Der nächste Abschnitt widmet sich der Frage, wie der Papst seinen durch die Verleihung der Kaiserwürde gewandelten Autoritätsanspruch gegenüber den Teilreichen Westfranken, Ostfranken und dem italischen Regnum formulierte (117-203). Für Westfranken weist Arnold eine enge Zusammenarbeit zwischen Papst und Kaiser bei der Privilegierung von Klöstern sowie einen zunehmenden Wunsch der Klöster nach päpstlichem Schutz nach. Einen gewandelten päpstlichen Autoritätsanspruch vermag Arnold auf diesem Feld allerdings nicht überzeugend darzulegen. Die Synode von Troyes im Jahr 878, die erste Synode, die ein Papst nördlich der Alpen abhielt, wird vor allem unter den Aspekten der Herrschaftspräsentation und der Herrschaftssicherung durch den Papst betrachtet, musste sich der vor seinen Feinden aus Rom geflohene Papst doch die Unterstützung der westfränkischen Bischöfe sichern und gleichzeitig ihnen gegenüber die päpstliche Autorität verteidigen.

Die Beziehungen zum Ostfrankenreich werden anhand der Palliumsverleihungen an die Erzbischöfe von Köln und Trier sowie des Streites um die Weihe des Methodius zum Erzbischof von Sirmium behandelt. Alle drei Fälle haben ihren Ausgangspunkt jedoch schon unter den Vorgängern Johannes' VIII., deren Vorgaben er weiter verfolgte und durchsetzte.

Für das italische Regnum untersucht Arnold die planmäßige Synodaltätigkeit des Papstes, mit der er seine Autorität durchzusetzen und zu festigen versuchte, und macht seine Erfolge und seine Grenzen an konkreten Beispielen sichtbar. Die Arbeit schließt mit einer sehr guten Analyse der Verhältnisse in Süditalien, wo die besondere politische Situation dem Papst ein hohes Maß an diplomatischem Geschick abverlangte, um die dortigen Bischöfe und Fürsten zur Aufgabe ihrer Bündnisse mit den Sarazenen zu bewegen (205-225).

Als Ergebnis hält Arnold fest, der Papst habe seine bei der Kaiserkrönung formulierte Vorrangstellung in den fränkischen Teilreichen nicht zur Geltung bringen können (228). Hier macht sich aber nochmals der mangelnde Vergleich mit anderen Pontifikaten störend bemerkbar, denn Johannes hat zwar mehrfach sein Recht betont, den Kaiserkandidaten auszuwählen und zu krönen, aber ein daraus abgeleiteter päpstlicher Autoritätsanspruch, der über jenem seiner Vorgänger Nikolaus I. oder Hadrian II. stand, lässt sich den Quellen nicht entnehmen. Vielmehr ist auffällig, dass der päpstliche Primat bei Johannes VIII. nirgendwo in der Intensität formuliert worden ist, wie man es bei Nikolaus I. beobachten kann.

Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Gute Einzelbeobachtungen zum Pontifikat Johannes' VIII. stehen zum Teil etwas zusammenhangslos nebeneinander. Zudem wird durch den Verzicht auf eine intensive Auseinandersetzung mit den ersten Pontifikatsjahren sowie auf einen Vergleich mit seinen Vorgängern die für 875 behauptete Zäsur kaum nachvollziehbar. So liefert das Buch wichtige Details zum Pontifikat Johannes' VIII. und in der Frage der Kaiserkrönung einen beachtenswerten interpretatorischen Neuansatz, doch bleiben viele Fragen offen, die weiterer Behandlung bedürfen.

Sebastian Scholz