Rezension über:

Martin Dinges (Hg.): Männer - Macht - Körper. Hegemoniale Männlichkeit vom Mittelalter bis heute (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 49), Frankfurt/M.: Campus 2005, 232 S., ISBN 978-3-593-37859-6, EUR 24,90
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Rezension von:
Olaf Stieglitz
Historisches Seminar, Anglo-Amerikanische Abteilung, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Maren Lorenz
Empfohlene Zitierweise:
Olaf Stieglitz: Rezension von: Martin Dinges (Hg.): Männer - Macht - Körper. Hegemoniale Männlichkeit vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/M.: Campus 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/8600.html


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Martin Dinges (Hg.): Männer - Macht - Körper

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Seitdem der australische Soziologe Robert W. Connell Mitte der 1980er-Jahre erstmals sein Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" vorgestellt hat, avancierte es nicht nur zu einer Leitlinie der internationalen, gegenwartsorientierten "Männerstudien". Es beeinflusste darüber hinaus auch das Entstehen von geschlechterhistorischen Arbeiten zu Männlichkeiten wesentlich mit. Die auf diese Weise gefasste Analyse männlich strukturierter Macht sowohl in Relation zu Frauen als auch gegenüber untergeordneten und marginalisierten anderen Männlichkeiten entpuppte sich als wertvolles heuristisches Werkzeug in sehr vielen Einzelstudien und Überblickswerken der letzten Jahre. Diese "Erfolgsgeschichte" hatte aber auch ihren Preis: die Rezeption der Vorschläge Connells gerade durch Historikerinnen und Historiker weist eine so große Bandbreite und zum Teil durchaus widersprüchliche Elemente auf, dass dem Begriff der "hegemonialen Männlichkeit" Tiefenschärfe und Präzision verloren zu gehen schien. Darüber hinaus mehrten sich zuletzt auch Stimmen, die den Nutzen eines so offenbar universell einsetzbaren Konzepts gerade aus historischer Perspektive infrage stellen.

Der vorliegende, von Martin Dinges herausgegebene Sammelband widmet sich erstmals ausführlich einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Connell'schen Instrumentarium aus Perspektive der Geschichtswissenschaft. Er vereinigt zwei methodisch-konzeptionelle bzw. zum Teil auch programmatische Beiträge (von Dinges einerseits und von Michael Meuser und Sylka Scholz andererseits) mit zehn weiteren Aufsätzen aus den Disziplinen Geschichte, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und Soziologie. Alle Texte entstammen einer Stuttgarter Tagung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung, und sie alle arbeiten kritisch-produktiv mit sowie an Connells Begriff von den "hegemonialen Männlichkeiten".

Ein Konzept steht also auf dem Prüfstand - der Untertitel zu Dinges' einleitendem Beitrag formuliert gelungen die Ausrichtung des Bandes. Der Autor, der selbst bereits mit einer Reihe von Beiträgen zur Geschlechtergeschichte von Männlichkeiten namentlich der Frühen Neuzeit hervorgetreten ist, stellt darin zunächst kenntnisreich die zentralen Bestandteile des Ansatzes vor. Dabei ist in erster Linie Connells Betonung der Praxis, also des Handelns, als Kern seiner Ideen wichtig. Ferner arbeitet Dinges Connells Umgang mit dem feministischen Patriarchatskonzept heraus und betont die für nachfolgende Forschungen so bedeutsame Perspektive auf das Machtgefälle innerhalb des männlichen Geschlechts, welches neben "hegemonialen", eben auch untergeordnete Männlichkeiten hervorbringt. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Teils ist die Identifizierung der Einflüsse anderer Autoren auf Connell (Elias, Weber, Gramsci).

Im weiteren Verlauf seines Aufsatzes formuliert Dinges pointierte Kritik an Connells Konzept, wobei er in erster Linie auf dessen mangelnde Aussagekraft für mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaftsformen hinweist. Stattdessen erscheint es dem Autor "sinnvoll, bei historischen Diskussionen über Modelle von Männlichkeit zwischen 'dominanter', frühmoderner 'hegemonialer' oder 'moderner hegemonialer Männlichkeit' zu unterscheiden und außerdem anzugeben, was und warum man jeweils bestimmte inhaltliche Aspekte für konstitutiv hält" (20).

Dieser Vorschlag des Herausgebers spiegelt sich in der weiteren Gliederung der Anthologie wider. Bea Lundt und Andrea Moshövel widmen sich in einem ersten Abschnitt den Entwürfen dominanter Männlichkeiten bei Karl dem Großen, Konrad von Megenberg sowie Hildegard von Bingen. Die frühmodernen hegemonialen Männlichkeiten werden in zwei weiteren Beiträgen thematisiert, wobei Nicole Grochowina sich der Analyse eines täuferischen Martyriologiums des 16. Jahrhunderts zuwendet und Marian Füssel die Habitusformen frühneuzeitlicher Studenten beleuchtet. Im dritten Teil nehmen die Aufsätze von Christa Hämmerle (zu "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie") und Marc Schindler-Bondiguel (zum Verhältnis von Männlichkeit und "Rasse" bei Vaterschaftsvorstellungen im kolonialen Frankreich) die moderne hegemoniale Männlichkeit in den Blick. Ein längerer, vierter Abschnitt des Bandes fragt explizit nach marginalisierten Männlichkeiten. Darin finden sich neben zwei geschichtswissenschaftlichen Arbeiten von Miriam Rürup zur Inszenierung von Männlichkeiten in jüdischen Studentenverbindungen und Martin Lücke zu mann-männlicher Prostitution im Kaiserreich auch Ansichten der Kulturwissenschaftlerin Almut Sülzle zur Fankultur im Fußballstadion und Überlegungen zum Gewaltdiskurs in Blaubart-Texten des 20. Jahrhunderts aus der Feder der Literaturwissenschaftlerin Monika Szczepaniak. Alle genannten Beiträge bieten interessante Erkenntnisse in ihren jeweiligen Feldern, die freilich bisweilen sehr speziell sind und inhaltlich weit auseinander liegen. Ihre übergeordnete Bedeutung ermisst sich aber vor allem in ihrem Bemühen, das Connell'sche Konzept einer eingehenden Prüfung am Einzelfall zu unterziehen.

Den Abschluss des Sammelbandes bildet der schon angesprochene "Versuch einer Begriffsklärung aus soziologischer Perspektive", in dem Michael Meuser und Sylka Scholz die überwiegend geschichtswissenschaftlichen Aufsätze des Bandes mit der aktuellen Debatte um Connell und sein Modell in ihrer Disziplin, der Soziologie, verbinden. Sie regen dabei insbesondere eine Erweiterung durch eine Verknüpfung mit dem Bourdieu'schen Habituskonzept an. Dies ist ein interessanter Vorschlag, zumal beide Ansätze zentral auf Vorstellungen von Handeln fußen. Darüber hinaus greifen Meuser und Scholz die häufig gestellte Frage auf, wie viele hegemoniale Männlichkeiten es in einer Gesellschaft geben könne. In ihrer Antwort betonen sie, dass hegemoniale Männlichkeit über eine enge Gruppe hinaus Gültigkeit haben muss, um als solche anerkannt zu werden. Das bedeute für moderne Gesellschaften, dass es durchaus mehrere hegemoniale Männlichkeiten geben könne, aber nicht unendlich viele.

Insgesamt gelingt es dem Band sehr gut, seinem Ziel einer begrifflichen Präzisierung des Konzepts von der hegemonialen Männlichkeit gerecht zu werden. Die inhaltlichen Beiträge im Zentrum der Anthologie zeigen in ihrer Bandbreite indes aber auch deutlich, dass die Orientierung an den Männerstudien in den Sozialwissenschaften nicht ausreichen wird, um einen mehrfach relationalen, geschlechterhistorischen Blick auf differente Männlichkeiten zu werfen. So hilfreich die Begriffsanleihen aus der Soziologie sicher sind, ihre Reichweite bleibt in der historischen Forschung schwierig. Eine stärkere Betonung diskurstheoretischer Ansätze - die sich bislang noch in einem problematischen Spannungsverhältnis zu Connells Konzept befinden - könnte hier eine viel versprechende Ergänzung oder Alternative für künftige Arbeiten sein.

Olaf Stieglitz