Rezension über:

Britta Waßmuth: Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde. Soziale Beziehungen und Mentalitätswandel der Hofjuden in der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim am Ausgang des Ancien Régime (= Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim; Nr. 32), Ludwigshafen/Rh.: pro MESSAGE 2005, 295 S., ISBN 978-3-934845-30-5, EUR 24,00
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Rezension von:
Peter Blastenbrei
Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Peter Blastenbrei: Rezension von: Britta Waßmuth: Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde. Soziale Beziehungen und Mentalitätswandel der Hofjuden in der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim am Ausgang des Ancien Régime, Ludwigshafen/Rh.: pro MESSAGE 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/10241.html


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Britta Waßmuth: Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde

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Zu den eigenartigsten Erscheinungen der deutsch-jüdischen Geschichte in der Frühen Neuzeit gehören die Hofjuden. Diese winzige Gruppe innerhalb des Judentums fand ihre Nische dort, wo sich der aufsteigende Fürstenstaat wegen rudimentärer Verwaltungsstrukturen, handwerklich organisierter Wirtschaft und fehlendem Banksystem anders nicht zu helfen wusste, als Hof- und Militärlieferanten, als Finanziers von Großprojekten, als Vermittler von Subsidien.

Trotz dieser Schlüsselrolle bei den staatlichen und gesellschaftlichen Veränderungen zwischen etwa 1650 und 1800 sind die Hofjuden mit wenigen Ausnahmen nicht allzu gut erforscht. Britta Waßmuth ist mit der vorliegenden Arbeit an der TU Darmstadt promoviert worden, wo seit längerem intensiv über Hofjuden gearbeitet wird. Mit der Kurpfalz hat sie sich ein sehr geeignetes Untersuchungsobjekt ausgesucht. Über die weitere Beschränkung auf die Hauptstadt Mannheim, wo 1720-1778 während der kurzen Residenzepoche 27 der 55 pfälzischen Hofjuden lebten, könnte man allerdings streiten. Nur vom Aspekt der Einbindung der Hofjuden in eine - hier recht gut bekannte - jüdische Gemeinde her ist sie wirklich zu rechtfertigen.

Waßmuth beleuchtet in ihrer Arbeit die rechtliche Stellung der Manneimer Hofjuden, ihre ökonomischen Leistungen für Hof, Staat und Gesellschaft, ihre eigene wirtschaftliche Stellung, Vermögen und Status, Geschlechterrollen, Beziehungen zu Juden und Christen innerhalb und außerhalb Mannheims und besonders intensiv ihre Einbindung in die jüdische Gemeinde der Stadt. Dabei kann sie vor allem in diesen letztgenannten Teilen einige neue und wichtige Ergebnisse präsentieren. So war etwa bekannt, dass keine der großen deutschen Hofjudenfamilien Geschäft und Status ins 19. Jahrhundert hinüberretten konnte. Waßmuth zeigt, dass der Abstieg der Hofjuden in der Kurpfalz nicht erst mit dem Wegzug des Kurfürsten begann, sondern bald nach 1760. Der Geschäftsumfang verringerte sich, und die Heiratskreise, üblicherweise parallel zu den Geschäftsverbindungen, verloren ihren überterritorialen und internationalen Zuschnitt. Dies wie auch den Wechsel der führenden Hofjuden im 18. Jahrhunderts versucht die Autorin mit der psychologisierenden These einer quasi natürlichen Abfolge von Auf- und Absteigergenerationen zu erklären (87 f). Das Testament Lemle Moses Reinganums von 1724 (147) weist doch wohl in eine andere Richtung. Dieser reichste Mannheimer Hofjude hinterließ 1,7 Millionen Gulden, mehr als die kurpfälzischen Staatseinnahmen eines ganzen Jahres - in Zahlungsverpflichtungen verschiedener Ämter und Hofstellen. Die jüdischen Riesenvermögen des Ancien Régime erweisen sich einmal mehr als Kartenhäuser, die der Zahlungsmoral der Höfe und den Launen der Fürsten nicht lange standhielten.

Die Hofjuden hatten in Mannheim kein Monopol auf die Gemeindeämter, wie man das bisher generell angenommen hatten; nur 15 der 27 Hofjuden hatten je ein Gemeindeamt inne, und selbst die völlige Umschichtung unter den Vorsteherfamilien war hier möglich (205 f.). Die Unterstützung des Kurfürsten für "seine" Hofjuden war in innerjüdischen Angelegenheiten keineswegs ein statischer Faktor. In Mannheim, wo jüdischer Hausbesitz erlaubt und in der Aufbauphase des 17. Jahrhunderts sogar Voraussetzung für die Ansiedlung war, wohnten Juden und Christen Tür an Tür, wobei Juden aber den weiteren Umkreis der Synagoge bevorzugten. Erst mit den so genannten Konzessionserläuterungen von 1765 versuchte man sie von den Mannheimer Hauptstraßen abzudrängen. Waßmuth belegt, dass weder Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen Juden und Christen noch die ja für Hofjuden besonders relevanten Streitigkeiten am Wechselgericht einen antijüdischen Beiklang gehabt haben. Unklar bleibt dabei allerdings, weshalb sie dann von einer generellen Verschlechterung des christlich-jüdischen Verhältnisses im Mannheim des 18. Jahrhunderts spricht.

Leider sind überall dort, wo die Autorin die unmittelbare Umgebung der Mannheimer Hofjuden verlässt, deutliche Mängel feststellbar. Die Kompilationstechnik, deren sie sich meist bedient, mag bei Kapiteln hingehen, deren Inhalt als Aufzählung dargeboten werden kann (Kredite an den Fürsten, interterritoriale Kontakte), auch wenn manch gewichtige Frage so nicht beantwortet wird. Was sagt etwa die Aufzählung von Krediten und Kreditsummen aus, wenn Leserinnen und Leser Laufzeiten, Zinssätze und Rückzahlungsmodi nicht erfahren? Was hilft die Kenntnis der Zahl der "Kontakte" Mannheimer Hofjuden zu Christen und Juden, wenn diese Kontakte weder nach Personen noch inhaltlich spezifiziert werden? Wie darf man es schließlich verstehen, wenn die Autorin zuweilen statt eines eigenen Urteils mehrere Deutungsalternativen sozusagen zum Aussuchen anbietet (42 f., 73 f.)?

Geht es um die Einordnung des Hofjudenphänomens in größere Zusammenhänge, versagt ihre Methode vollständig, und es zeigt sich gleichzeitig, dass sie mit Problemfeldern wie frühmoderner Staatlichkeit, Hof und Hofgesellschaft, vormodernen Wirtschafts- und Finanzsystemen nur sehr oberflächlich Bekanntschaft geschlossen hat. Das Ergebnis sind zum Teil grobe Fehleinschätzungen, wie die, die Hofjuden hätten zur Hofgesellschaft gehört, weil sie im Hofkalender aufgeführt sind (165), oder die Kurpfalz hätte die Hauptkosten des Spanischen Erbfolgekriegs zu tragen gehabt (34). Das nahezu unerschlossene Thema von Hofjuden in politisch-diplomatischer Mission wird von ihr nur angerissen, obwohl sie offenbar Zugang zu einschlägigen Quellen hatte (93, 114 f). Selbst die Kernfrage, in welchem Spannungsfeld die Mannheimer Hofjuden tatsächlich lebten, wenn sie als Angehörige einer unterprivilegierten Minderheit einen unübersehbar am Adel orientierten Lebensstil (hier "Oberschicht-Lebensstil") pflegten, ist nur halbwegs beantwortet. Wie ist denn ein Porträt zu interpretieren, das Elias Hayum in Hoftracht zeigt, aber mit einem winzigen Kinnbärtchen, wie wir es Jahre später von Moses Mendelssohn kennen? Was bedeutet es, wenn Hofjuden in Kutschen fuhren und "Wappen einführten" (160) - die rechtlich selbstverständlich keine Wappen waren? Ansehen in der Gesellschaft hat nun einmal essentiell mit Gesehenwerden zu tun, mehr vielleicht als mit den oft schwer zu deutenden Einträgen in Memorbüchern.

So bleibt der zwiespältige Eindruck einer fleißigen und materialreichen, stellenweise Neuland erschließenden, üppig mit Abbildungen, Stammtafeln, Karten und Tabellen ausgestatteten Arbeit, die auf analytischer Ebene schwach und widersprüchlich ist, drängende Fragen nicht beantwortet, die Grundgegebenheiten der Epoche wenig kennt und daher Fehlschlüsse, manchmal recht bedeutender Natur, nicht vermeiden kann. Zahlreiche kleinere Ungenauigkeiten (so etwa "banco di affracione" statt "affrancazione", "Guiseppe" statt "Giuseppe", "Alexander von Württemberg" statt "Karl Alexander") verstärken diesen Eindruck noch.

Peter Blastenbrei