Holger Alexander Klein: Byzanz, der Westen und das "wahre" Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 17), Wiesbaden: Reichert Verlag 2004, XII + 402 S., ISBN 978-3-89500-316-5, EUR 58,00
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Holger Klein untersucht in dieser Publikation, bei der es sich um seine leicht erweiterte und überarbeitete Dissertation aus dem Jahr 2000 handelt, byzantinische und westliche Kreuzreliquiare der Spätantike und des Mittelalters. Mit seiner Arbeit greift der Autor die bereits im 19. Jahrhundert von dem Kunsthistoriker Karl Schnaase formulierte Byzantinische Frage noch einmal auf (Schnaase, Karl: Geschichte der bildenden Künste, 8 Bde, Düsseldorf 1843-64). Es gilt zu klären, welcher Stellenwert der byzantinischen Kunst beigemessen werden soll, insbesondere soll die Frage ihrer Bedeutung für den Westen beantwortet werden. Mithilfe von Einzelanalysen bestimmter Kreuzreliquiare, die einen umfassenden Einblick in das Phänomen der künstlerischen Wechselwirkungen geben, soll eine Grundlage für die Bewertung abendländischer Byzanz-Rezeption geschaffen werden. Kreuzreliquiare scheinen sich dazu in besonderem Maße zu eignen, da sie in Byzanz und im Abendland in ähnlicher Weise verehrt wurden und sie zugleich eine gewisse Mobilität besaßen.
Holger Klein vollzieht seine Analyse in drei Schritten. Er beginnt mit der Untersuchung der kultischen Verehrung der Kreuzreliquien vor allem in Jerusalem, Konstantinopel und Rom, berücksichtigt in einem zweiten Teil die formale Gestaltung der Kreuzreliquiare und widmet sich schließlich der Frage der Rezeption und Wirkung der byzantinischen Kunst, wobei er chronologisch vorgeht. Er spannt den Bogen von der Spätantike bis hin zum Mittelalter, setzt sich sehr intensiv mit der Zeit der Kreuzzüge auseinander und beschließt seine Untersuchung mit dem Ende der byzantinischen Herrschaft im Jahr 1453.
Es ist weitestgehend ein rezeptionsgeschichtlicher Ansatz, den Klein verfolgt. Der mittelalterliche Rezipient sowie sein Verhältnis zum byzantinischen Kunstwerk werden zu zentralen Aspekten. Das Rezeptionsverhalten wird im Kontext sich wandelnder historischer Ereignisse untersucht, der Autor versucht Gründe für einen bestimmten Umgang mit der byzantinischen Kunst zu geben und Brüche zu erklären. Diese methodische Vorgehensweise kombiniert er mit einer gründlichen Untersuchung mittelalterlicher Quellen, die zu der Verehrung, dem Aussehen und der Verbreitung der Kreuzreliquiare Stellung nehmen.
Hat sich das Byzanzbild aus kunsthistorischer Sicht im Laufe der Forschungsgeschichte auch stark gewandelt, so lässt sich dennoch konstatieren, dass die Bewertung des Stellenwertes der byzantinischen Kunst doch zumeist recht einseitig war. Wurde die Wirkung der byzantinischen Kunst auf das Abendland im 19. Jahrhundert, auf Grund der negativen Bewertung der gesamten byzantinischen Kultur, die als dekadent und ausschweifend galt, als äußerst gering eingestuft, so kommt es in den 60er und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Verschiebung, wobei hier Byzanz ein Vorbildcharakter und eine Lehrfunktion zu geschrieben wird. Das Verhältnis zwischen byzantinischer und westlicher Kunst wird als ein Lehrer-Schüler-Modell charakterisiert. Den neueren Forschungstendenzen folgend, bezieht Holger Klein kritisch zu diesen Ansätzen Stellung. Nicht die spezifische Leistung der byzantinischen Kunst, sondern vielmehr die Qualität der westlichen Kunst sollte im Mittelpunkt einer Untersuchung stehen. So sieht er den westlichen Künstler nicht rein passiv am Rezeptionsprozess beteiligt, indem er unreflektiert die höherwertige byzantinische Kunst lediglich kopiert. Das Rekurrieren von westlichen Künstlern oder Auftraggebern auf byzantinische Kunst stellt eine bewusste Handlung dar, bei der nach den Gründen gefragt werden muss. Hierzu lässt sich keine allgemeine Antwort formulieren, es ist wichtig ein spezifisches Objekt genau zu untersuchen, um so den jeweiligen Kontext berücksichtigen zu können.
Die Auseinandersetzung westlicher Künstler mit der byzantinischen Kunst wurde durch die Kreuzzüge intensiviert, da diese es westlichen Künstlern ermöglichten, in den Besitz östlicher Reliquiare zu gelangen und diese zu studieren. Hierbei stellt das Jahr 1204 ein wichtiges Datum dar, denn die Plünderung Konstantinopels durch die Venezianer trug maßgeblich zur Verbreitung byzantinischer Kunst im Abendland bei. Im dritten Teil seiner Arbeit, der eigentliche Beitrag zur Byzantinischen Frage, zeigt Holger Klein unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie westliche Künstler auf die aus dem Osten stammenden Reliquiare reagiert haben. Dabei unterscheidet er drei prinzipielle Möglichkeiten der Rezeption: das Einverleiben byzantinischer Reliquiare in neue künstlerische Zusammenhänge, die Imitation bestimmter formaler Aspekte und schließlich die bildliche Wiedergabe einer byzantinischen Staurothek. Diese verschiedenen Möglichkeiten, die an den ausgewählten Objekten direkt belegt werden, führen Holger Klein zu der These, dass man die Ansicht, dass die byzantinische Kunst zu allen Zeiten im Abendland als überlegen galt, revidieren müsse. Er sieht bei den abendländischen Künstlern ein Interesse an der formalen Erscheinung byzantinischer Kreuzreliquiare, nicht so sehr ein Interesse an ihrem Stil oder ihrer Ikonografie. Das byzantinische Reliquiar war für den westlichen Künstler auf Grund seiner Herkunft bedeutsam, weil diese Authentizität zu garantieren schien. Der Autor geht in seiner Untersuchung nicht über das Jahr 1453 hinaus, da mit der Eroberung Konstantinopels das Interesse an der östlichen Herkunft von Kreuzreliquiaren nachlässt.
Als ein konkretes Beispiel für westliches Rezeptionsverhalten sei auf die Staurothek aus St. Maria ad Gradus in Köln hingewiesen, ein Objekt, das Klein genauer untersucht. Die Ergebnisse, zu denen er bezüglich dieses Reliquiars gelangt, scheinen den Ansatz des Autors und seine Bewertung abendländischer Byzanz-Rezeption gut wiederzuspiegeln. Bei dieser Staurothek wurde ein byzantinisches Kreuzreliquiar zerlegt, um es in einem abendländischen Triptychonreliquiar neu zu inszenieren. Die Umarbeitung fand zwischen 1230 /40 in Köln statt. Das Thema der Schauseite bildet die kultische Verehrung der Kreuzreliquie durch die Engel Gottes und die Begründer des Kreuzkultes Konstantin und Helena. Diese byzantinischen Spolien wurden sinnvoll in das abendländische Werk integriert. Konstantin und Helena sollen den Betrachter bei der Verehrung der Reliquie anleiten und sind daher auf den Innenseiten des Triptychons angebracht. Das Einverleiben byzantinischer Reliquiare, so die These des Autors, zeugt davon, dass der westliche Künstler sein eigenes Kunstschaffen durchaus als gleichwertig, wenn nicht sogar als höherwertig ansah. Die Übernahme der byzantinischen Spolien hatte nicht primär ästhetische Gründe, sondern diese sollten als Bürgen der Echtheit der Reliquie fungieren.
Es sind diese Thesen Kleins, die das bisherige Verständnis abendländischer Byzanz-Rezeption erweitern und bereichern. Er spricht dem westlichen Rezipienten eine aktive Rolle zu und geht davon aus, dass der Künstler byzantinische Reliquiare bewusst in bestimmter Weise neu inszeniert oder formal kopiert. Das östliche Erscheinungsbild eines Reliquiars zeugt in erster Linie von dem Alter und der Authentizität der Reliquie, sodass es dem westlichen Künstler wohl nicht ausschließlich um das Kopieren ästhetischer Aspekte ging. Der interessante methodische Ansatz des Autors, der den mittelalterlichen Rezipienten in den Vordergrund rückt, ermöglicht uns, sich dem Verhältnis von abendländischer und byzantinischer Kunst von einem anderen Blickwinkel aus zu nähern. Mit dieser Publikation legt Holger Klein eine umfassende und genaue Studie zu Kreuzreliquiaren vor, wobei er bewusst Einzelbeispiele herausgreift, um das Heterogene abendländischer Byzanzrezeption aufzuzeigen.
Tina Pandorf