Christian Plath: Konfessionskampf und fremde Besatzung. Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (ca. 1580-1660) (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 147), Münster: Aschendorff 2005, 732 S., ISBN 978-3-402-03814-7, EUR 89,00
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Im Rahmen der Forschungen zum Konfessionellen Zeitalter besitzt zwar die Analyse lokaler und territorialer Verhältnisse eine große Tradition, doch scheint das Interesse an süddeutschen Beispielen die Behandlung west- und norddeutscher Fälle zu überwiegen. Die umfängliche Studie von Christian Plath nimmt sich Hildesheims - also eines Exempels außerhalb der Kernzonen des Alten Reiches - an. Die Untersuchung über Hochstift und Stadt Hildesheim in der konfliktreichen Phase konfessioneller Ausgestaltung und Konsolidierung ist aus einem Göttinger Dissertationsprojekt erwachsen. Deren Ergebnisse verdienen Beachtung, da sie weit über die größtenteils ältere, bislang kaum erschöpfende sowie zumeist entlang konfessionell vorgeprägter Stereotypen argumentierende Stadt- und Bistumsgeschichte (590-596) hinausgelangen. Plaths Abhandlung basiert auf Recherchen in insgesamt zehn Archiven beziehungsweise Handschriftenabteilungen von Bibliotheken.
Allein die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes besticht. Handelt es sich doch um ein geistliches Territorium inmitten einer Umgebung, in der vor allem die welfischen Territorien politische Dominanz beanspruchten und in der die Hochstifter der Reichskirche dauerhaft zugunsten mächtiger Nachbarn säkularisiert wurden. Hier hatte der katholische Fürstbischof, der seit 1583 ein Wittelsbacher war, seine Position zu verteidigen, wiewohl er in Residenzstadt und Territorium nicht regelmäßig zugegen war. Er musste dies in einem Umfeld tun, das von der lutherischen Bevölkerungsmehrheit sowie den lutherischen Adeligen und Städten der Landstände geprägt war und in der Personen katholischer Konfession fortdauernd eine Minderheit darstellten. So schließt Plaths Werk nicht nur historiographische Lücken in der Hildesheimer Regionalgeschichte, sondern bietet überdies zahlreiche Ansatzpunkte für komparatistische Studien.
Dabei ist wichtig, dass der Autor versucht, sein Thema nicht entlang starrer territorialer Grenzziehungen, die zur Beschreibung frühneuzeitlicher Verhältnisse problematisch erscheinen, zu betrachten, sondern anhand durch unterschiedliche rechtliche und gesellschaftliche Vernetzungen gekennzeichneter Räume zu analysieren (9, 31 f., 574 f.). Das Buch versteht sich als Beitrag zur "Erfahrungs- und Wahrnehmungsgeschichte" (9), indem individuelle und kollektive Erfahrungen sowie deren Wandlungen in bestimmten Räumen untersucht werden. Hiervon lebt die differenzierte Darstellung, die konsequent kein einheitliches Bild von Zeit und Gegenstand, sondern vielschichtige Ergebnisse hervorbringt. Individuelle Kriegsschicksale vermag Plath auf diese Weise in allgemeinen Konflikten zu verorten und die Wirksamkeit vorgegebener Deutungsmuster zu hinterfragen.
Nach der methodischen und thematischen Einführung, die einen konzisen Überblick über die Geschichte des Hochstifts Hildesheim um 1600 enthält, wendet sich der Autor in seinem ersten Hauptteil der "Gegenreformation" in Stadt und Hochstift Hildesheim - sowohl im so genannten "Kleinen Stift" als auch im erst 1643 wieder endgültig hinzugewonnenen "Großen Stift" - zu. Diesen Prozess mit diesem Begriff zu belegen, ist ungeachtet aller Bedenken dagegen hier durchaus zutreffend, handelt es sich doch um Versuche, protestantische Einflüsse zugunsten des alten Glaubens zurückzudrängen und die einheitliche Katholizität des Hochstifts herzustellen. Hildesheimer Phänomene werden dabei gründlich in allgemeine Zusammenhänge und die Forschungsdiskussionen der letzten Zeit eingeordnet.
Der zweite Hauptteil nimmt dann soziale, aber auch machtpolitische Folgen des Dreißigjährigen Krieges in den Blick und fragt danach, ob dieses historische Großereignis in Stadt und Hochstift Hildesheim als Konfessionskrieg erfahren wurde. Während die Kriegserfahrungen der Landbevölkerung, ausgedrückt in den kriegsüblich lamentierenden Suppliken von Untertanen, sich im Vergleich mit anderen Regionen als wenig auffällig erweisen, verdient die Situation in der Stadt Hildesheim besondere Aufmerksamkeit. Hier wirkte sich der Dreißigjährige Krieg konfliktverschärfend auf die innerstädtische Situation aus und provozierte zeitweise tumultuarische Zustände. Die gespannte Lage wurde insbesondere durch die kaiserliche Besatzung und militärische Bedrohungen verschärft, wobei sich der Zorn zum Teil auch gegen die städtische Obrigkeit und den Rat richtete. Konfessionelle Spannungen vermengten sich mit der bürgerlichen Sorge um die Wahrung städtischer Selbstverwaltungsrechte.
Als Ergebnis der Studie ist die Bedeutung des Dreißigjährigen Krieges bei der Ausprägung konfessionellen Bewusstseins und konfessionell bestimmter Verhaltensformen innerhalb breiter Bevölkerungsschichten zu betonen. Es geht dabei nur mittelbar und auffallend hintergründig um theologische Positionen oder um persönliche Frömmigkeit. Vielmehr ist der Konfessionskrieg auch in Hildesheim eher ein Krieg um Mehrung oder Verteidigung konfessioneller Besitzstände und die gewaltsame Durchsetzung juristischer Positionen in diesem Kontext (vor allem 556). Insofern ist es wichtig, das Funktionieren der Verwaltungen auf der Ebene der Ämter sowie die Mittlerfunktion der Amtmänner zwischen Obrigkeit(en) und Untertanen über Herrscherwechsel hinweg zu erkennen, was ganz allgemein ein Bewusstsein von Rechtmäßigkeit und Ordnung stabilisierte und konfessionelle Selbstverortungen verstärkte. Die Verknüpfung von Konfessionskrieg mit den Elementen der "Staats"-Bildung auf territorialer Ebene seit der Reformationszeit und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wird im Zusammenhang damit en passant mitgeteilt.
Zwar wird auf der einen Seite deutlich, wie sehr der Krieg konfessionelle Selbstwahrnehmungen und Fremdzuschreibungen verfestigte, wie sie insbesondere in der Zeit des Restitutionsediktes verstärkt wurden. Doch zeigt die Studie auf der anderen Seite auch, wie schwierig es ist, die konfessionellen Lager mit ihren Rechten und Besitzständen - nicht auf der reichspolitischen, sondern auf der Ebene lokaler Entitäten - vor dem letzten Kriegsdrittel scharf voneinander zu trennen, etwa hinsichtlich der Frömmigkeitsformen (besonders deutlich etwa 82 ff., 155, 372-376): das Konfessionelle Zeitalter als Ära des Konfessionskampfes, dessen Frontlinien eigentlich erst 1648 klar umrissen sind. Bei aller Unterschiedlichkeit der Erfahrungen einzelner Individuen in jenen Jahrzehnten wird nachhaltig deutlich, wie sehr dieser Zeit eine entscheidende Katalysatorfunktion für die Entwicklung hin zur Moderne beizumessen ist (etwa 571 ff.).
Am Ende der Abhandlung werden die Ergebnisse auf knapp 30 Seiten noch einmal zusammengeführt. Hilfreich und nützlich ist das reiche Kartenmaterial im hinteren Teil des Buches, wo auch ein sehr stichwortreiches Register und Stammtafeln untergebracht sind. Das gut geschriebene, höchst lesenswerte Buch schöpft aus den Quellen und vermittelt daraus ein recht ausführliches Bild vom Leben unterschiedlicher Erfahrungsgruppen in Stadt und Hochstift Hildesheim im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert und erweitert über die lokalen und regionalen Befunde hinaus unsere Vorstellung vom Konfessionellen Zeitalter einschließlich des Dreißigjährigen Krieges.
Frank Kleinehagenbrock