Stephen G. Fritz: Endkampf. Soldiers, Civilians, and the Death of the Third Reich, University Press of Kentucky 2004, xvii + 382 S., 7 maps, 32 photos, ISBN 978-0-8131-2325-7, GBP 25,95
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Mikrohistorische Einblicke in den "Endkampf" während der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges (und darüber hinaus) verspricht die vorliegende Studie von Stephen G. Fritz und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf den Raum des westlichen Mittelfranken. Dort standen sich während der ersten drei Aprilwochen 1945 vor allem Einheiten der 12. US-Panzerdivision und des 13. SS-Armeekorps gegenüber. Erklärtes Ziel der Studie ist es, ein "repräsentatives und plausibles Portrait des Zusammenbruchs einer Gesellschaft und der Auswirkungen auf die Beteiligten, seien es Soldaten oder Zivilisten, Sieger oder Verlierer, Täter oder Opfer" (xv) zu zeichnen. Zu diesem Zweck formuliert Fritz eine ganze Reihe interessanter Leitfragen: Welche Rolle spielten ideologische Faktoren, insbesondere das Bild der "Volksgemeinschaft"? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Bevölkerung, Partei und Wehrmacht? Ersehnte die Mehrheit das Kriegsende oder war sie weiterhin bereit - wenn auch apathisch und widerwillig -, Anweisungen auszuführen und Befehlen zu gehorchen (wobei der Rezensent hinzufügen möchte: oder beides zur gleichen Zeit)? Schließlich: Wandte sich der Durchschnittsdeutsche angesichts der unübersehbaren Totalität der Niederlage und des Durchhalteterrors eher desillusioniert vom Nationalsozialismus ab?
Fritz' erstes Kapitel dient der Schilderung des strategischen und historischen Hintergrundes, vor dem sich der "Endkampf" in Mittelfranken abspielte. Der erste Abschnitt befasst sich mit der amerikanischen "Hysterie" um die so genannte Alpenfestung, die maßgeblichen Einfluss auf Eisenhowers Entscheidung hatte, nach Süddeutschland vorzustoßen, und bietet damit einen sehr ausführlichen, leider kaum in Fragestellung und Argumentation des Buches eingebundenen Exkurs über die strategische Makroperspektive. Dem folgt eine deutlich knappere kulturell-politische Vorstellung Frankens, wobei Fritz die Region vor allem als völkisch-nationalsozialistische Hochburg zwischen dem Ersten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Machtergreifung charakterisiert. Leider werden in der Folge die sich daraus für den "Endkampf" ergebenden Fragen nicht mehr aufgegriffen: Ob also der Kampfes- und Durchhaltewille in Franken - auch im Vergleich zu anderen Regionen - außergewöhnlich groß war, weil der Nationalsozialismus über besonderes Mobilisierungspotenzial verfügte, wird ebenso wenig thematisiert, wie die Frage, ob und welche Auswirkungen dies in den Monaten und Jahren nach Kriegsende zeitigte. Auch das folgende Kapitel hat noch eher grundlegenden Charakter: Es befasst sich aus amerikanischer und deutscher Perspektive mit der Entzauberung der sich im Zustand der Auflösung befindlichen Wehrmacht und mit Stimmung und Haltung der Bevölkerung.
Die Kapitel 3, 4 und 6 widmen sich dem Vormarsch der amerikanischen Truppen von der Tauber durch den Steigerwald und über die Frankenhöhe bis zur Einnahme der unzerstörten, bereits im bayerischen Schwaben liegenden Donaubrücke in Dillingen. Geprägt war dieser Vormarsch von punktuell heftigem Widerstand deutscher Einheiten und der daraus resultierenden amerikanischen Taktik des vorsichtigen Vorrückens und des extensiven Panzer- und Luftwaffeneinsatzes. Die Schilderung der Kampfhandlungen in Mittelfranken ist der Kern und die große Stärke von Fritz' Studie: Ohne sich in Einzelereignissen zu verlieren, gelingt es ihm, auf der Grundlage vor allem amerikanischer After-Action-Reports und Einheitsgeschichten ein dichtes Bild von den kleinräumigen, oft verlustreichen Gefechten und ihren Auswirkungen auf die Kombattanten und die Bevölkerung zu vermitteln. In besonders überzeugender Weise thematisiert Fritz dabei die Nervosität und die wachsende Frustration der amerikanischen GIs angesichts eines offenkundig nutzlosen, dennoch nach wie vor verbissenen Widerstandes, die sich verschiedentlich in Form von Erschießungen gefangener oder sich ergebender deutscher Soldaten und anderen Übergriffen Bahn brachen.
Im Gegensatz dazu bleibt die Antwort auf die Frage, warum die Deutschen so hartnäckig weiterkämpften, unbefriedigend und vage. Interessante, aber diskussionsbedürftige Ansätze - wie etwa die These, die Deutschen hätten möglicherweise ebenso sehr aus Hunger gekämpft wie aus ideologischen Gründen (87) - werden kaum weiterverfolgt. Stattdessen greift Fritz immer wieder auf historisch-mythologische Deutungsmuster zurück, die vor allem um den Nibelungenmythos, den Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts und Götz von Berlichingen kreisen. Andere Faktoren finden zwar Erwähnung, werden aber von den ebenso ausführlichen wie beständigen Hinweisen überlagert, dass sich im Frühjahr 1945 in Franken allerorten auf symbolträchtige Weise Geschichte wiederholt habe und Mythen ihre Erfüllung gefunden hätten.
Unterbrochen wird die Schilderung der Kampfhandlungen durch Kapitel 5, das sich explizit mit dem "Durchhalteterror" gegen die Bevölkerung in Mittelfranken befasst. Auch hier bietet Fritz eine solide und dichte Darstellung einzelner Ereignisse, die sich zu einem dichten Gesamtbild zusammenfügen. Er betont besonders die herausgehobene Rolle, die in vielen Fällen Frauen bei dem Versuch spielten, die Verteidigung des Heimatortes zu verhindern, und arbeitet die Gefahr heraus, die mit einem zu frühen Hissen der weißen Fahne und der überraschenden Rückkehr deutscher Einheiten verbunden war. Leider bleibt auch in diesem Abschnitt die Analyse der Handlungsmotive der Protagonisten sowohl des Durchhalteterrors als auch ihrer kriegsmüden Opfer eher blass.
In Kapitel 7 befasst sich Fritz mit zwei Themenfeldern, auf denen er den "Endkampf" zwischen Besatzern und Besetzten in den Nachkriegsjahren fortgeführt sieht: Zum "Kampf bis fünf nach zwölf" (195) zählt er neben den auch in Franken durchaus nennenswerten Aktivitäten des Werwolfs die Friktionen, die sich im Spannungsfeld der Fraternisierung in dem Dreieck zwischen deutschen Männern, amerikanischen Soldaten und den Letzteren zugeneigten "Fräuleins" ergaben. Gerade dieser zweite Teil bietet einen interessanten Einblick in die Nachkriegsgesellschaft unter gender-Gesichtspunkten.
Auch das letzte Kapitel ist einer solchen Dreiecksbeziehung gewidmet und thematisiert die Probleme zwischen deutscher Bevölkerung, Displaced Persons und amerikanischer Besatzungsmacht. Nach einer kurzen Betrachtung der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter befasst sich Fritz vor allem mit dem Schicksal jüdischer DPs, die sich schnell einem seltsamen Bündnis deutscher und amerikanischer Ressentiments gegenübersahen und in einzelnen Fällen zu blutiger Rache an ihren ehemaligen Peinigern schritten.
Insgesamt hinterlässt Fritz' Buch einen zwiespältigen Eindruck: So bleibt der Autor etwa jegliche Erklärung schuldig, warum er sich gerade mit der Region Mittelfranken beschäftigt [1], gleichzeitig aber der erbitterte Kampf um Nürnberg keine nennenswerte Erwähnung findet. In den Kapiteln zur Besatzungszeit wird der geografische Fokus dann beträchtlich ausgeweitet. Vielfach wäre eine stärkere analytische Verknüpfung der einzelnen Teile des Buches wünschenswert gewesen - dies gilt etwa für die Kapitel zur Nachkriegszeit, die eher unverbunden neben den Ausführungen zur Endphase des Kriegs stehen. Als größtes Manko ist aber wohl die Tatsache zu werten, dass Fritz gerade hinsichtlich des Verhaltens der Deutschen - Soldaten und Zivilisten, Opfer und Täter - seine Leitfragen allzu oft aus den Augen verliert. Gerade hier fehlt es Darstellung und Analyse häufig an Tiefe, die Motive bleiben blass oder werden nur einseitig beleuchtet, durchaus plausible Thesen werden kaum weiterverfolgt und bleiben ohne Beleg.
Demgegenüber gelingt es dem Autor sehr überzeugend, die Kampfhandlungen während der letzten Kriegstage und -wochen in Mittelfranken nachzuzeichnen; die Ausführungen bieten durch die ausgewogene Berücksichtigung auch der amerikanischen Sicht eine oft vernachlässigte Dimension, die viel zum Verständnis des "Endkampfes" beizutragen vermag. Gleiches gilt für die Kapitel, die sich mit der Nachkriegszeit befassen: Auch hier bietet Fritz wertvolle Denkanstöße und eröffnet neue Perspektiven. Dies und der von Fritz selbst im Vorwort zu Recht beklagte Mangel an wissenschaftlich fundierten Arbeiten, die das Kriegsende in regionaler Perspektive in den Blick nehmen, machen das Buch zu einer insgesamt lesenswerten Studie, die zwar viele Fragen offen lässt, weiteren Forschungen zur Regionalgeschichte des Kriegsendes aber wichtige Anregungen zu geben vermag.
Anmerkung:
[1] Zumal Franken auch in Sachen Kriegsende und Nachkriegszeit bereits zu den besser erforschten Regionen Deutschlands zu zählen ist. Vgl. u. a. Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995; Hans Woller: Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986; Elke Fröhlich: Ein junger Märtyrer, in: Martin Broszat/Dies. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit VI: Die Herausforderung des Einzelnen. Geschichten über Widerstand und Verfolgung, München Wien 1983, 228-257.
Sven Keller