Rezension über:

Werner Künzel / Werner Rellecke (Hgg.): Geschichte der deutschen Länder. Entwicklungen und Traditionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Münster: Aschendorff 2005, 448 S., ISBN 978-3-402-03416-3, EUR 19,80
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Rezension von:
Holger Thomas Gräf
Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Holger Thomas Gräf: Rezension von: Werner Künzel / Werner Rellecke (Hgg.): Geschichte der deutschen Länder. Entwicklungen und Traditionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Münster: Aschendorff 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9847.html


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Werner Künzel / Werner Rellecke (Hgg.): Geschichte der deutschen Länder

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Spätestens seit der seit einigen Jahren wiederbelebten Föderalismusdebatte sind die Länder der Bundesrepublik Deutschland, deren Regierungen und insbesondere deren kultur- und bildungspolitische Handlungsspielräume gleichermaßen Subjekte wie Objekte einer vergleichsweise lebhaften und kontroversen öffentlichen Diskussion. Der von zwei Vertretern der sächsischen bzw. brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung herausgegebene Sammelband ist durchaus als prominenter Beitrag zu dieser Debatte zu verstehen. Die Autoren, meist einschlägig ausgewiesene Historiker, stellten sich der Aufgabe, die deutsche Geschichte aus der Perspektive der heutigen 16 Bundesländer zu schreiben. Neben der soliden in der Regel gut geschriebenen Darstellung der demographischen, ökonomischen, territorialen, politischen und kulturellen Entwicklung in den einzelnen Ländern wird auch der spezifische Beitrag des jeweiligen Landes für die gesamtdeutsche Geschichte hervorgehoben. Einige Tabellen und ein gutes Dutzend historische Karten runden den Band ab. Aufgrund des fehlenden Registers, der fehlenden historiographischen Ortsbestimmung und nicht zuletzt der teilweise doch recht einseitigen Literaturbasis wird man den Band durchaus Schülern, Studenten und historisch Interessierten als schmökernden Einstieg in die deutsche Geschichte empfehlen können, freilich ohne ihm Handbuchcharakter bescheinigen zu können.

Ohne dass von den Autoren dezidiert eine Legitimation der Bundesländer auf der Grundlage historischer Herleitungen und unterschiedlicher, nach innen integrierender und nach außen exkludierender historisch-politischer Identitäten sowie kultureller Traditionen und Mentalitäten versucht werden würde, stellt sich schon bei dem Titel und Untertitel des Bandes genau dieser Verdacht ein. Es geht eben um die "Deutschen Länder" vom "Mittelalter bis in die Gegenwart". Selbstverständlich wird eingeräumt, dass die Bundesländer kein Kontinuum aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit darstellen und im wesentlichen Produkte alliierter Nachkriegspolitik darstellen - deutlich ablesbar an den 'composite states' Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen. Aber die saubere terminologische Trennung zwischen dem verfassungsrechtlich und politisch definierten "Land" in seiner Staatlichkeit (Bayern, Hessen etc.) als Teil der Bundesrepublik, dem "Land" als historische Landschaft, meinethalben auch als Sitz eines bestimmten "Stammes" oder "Volkes" sowie als "Land" im Sinne eines mittelalterlichen Herrschaftsgebietes oder gar im Sinne der "Deutschländer" Madame de Staëls wird (absichtlich?) nicht hinreichend deutlich vollzogen. In Konsequenz scheinen die föderalen wie mentalen Traditionen seit dem Mittelalter stärker ins Gewicht zu fallen, als rationale macht- und territorialpolitische Entscheidungen der neueren Geschichte. Angesichts der Wege und Irrwege der "völkischen" Landesgeschichtsschreibung und der von den Herausgebern (vielleicht zu bedeutend eingeschätzten?) maßgeblichen Beeinflussung der politischen Kultur in Deutschland durch die Landes- und Regionalgeschichte (Klappentext) möchte man vor einer Identitätsstiftung auf Länderebene warnen, auch wenn dies von der Länderkulturpolitik teilweise als Aufgabe formuliert worden ist. Wie Axel Gotthard in seiner gelungenen und durchaus kritischen Einleitung deutlich macht, sind die längerfristigen Entwicklungen, die Vorgeschichte der "Deutschen Länder" bereits seit dem Mittelalter "dynastischen Wechselfällen" und "machtpolitischem Kalkül" (7) unterworfen gewesen. Es dürfte daher kein Zufall sein, dass, abgesehen von den hansischen Stadtstaaten sowie Magdeburg und Erfurt, alle Landeshauptstädte der Bundesrepublik ehemalige Residenzstädte der frühneuzeitlichen Fürstenstaaten sind.

Zweifellos, gegenwärtig stehen 16 Bundesländer am Ende einer mehrhundertjährigen verfassungsrechtlichen, territorial- und machtpolitischen Entwicklung. Damit ist indes keineswegs das "Ende der Geschichte" erreicht und es gibt ungleich mehr "deutsche Länder" verstanden als historisch, kulturell und mental begrenzte Regionen, ohne dass ihnen verwaltungsmäßige Qualitäten eignen würden und die sich hoffentlich ihre Eigensinnigkeit und Eigenständigkeit bewahren werden.

Holger Thomas Gräf