Rezension über:

Johann Ottmar: Reinhard von Neuneck, Ritter zu Glatt (1474-1551). Fürstendiener, Reisender und Wallfahrer, Hauptmann, Kriegsrat und Bauherr, Filderstadt: Markstein 2005, 400 S., ISBN 978-3-935129-22-0, EUR 29,90
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Rezension von:
Casimir Bumiller
Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Casimir Bumiller: Rezension von: Johann Ottmar: Reinhard von Neuneck, Ritter zu Glatt (1474-1551). Fürstendiener, Reisender und Wallfahrer, Hauptmann, Kriegsrat und Bauherr, Filderstadt: Markstein 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/10895.html


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Johann Ottmar: Reinhard von Neuneck, Ritter zu Glatt (1474-1551)

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Lange Zeit hatte die wissenschaftlich bearbeitete historische Biographie keine Konjunktur. Dies hat sich seit geraumer Zeit geändert. Es gibt verschiedne Verlage, die wie der Pustet Verlag oder auch Kohlhammer biografische Reihen auf den Markt werfen. Nun hat auch der kleine Markstein Verlag, der bislang nicht in diesem Genre tätig war, mit der Biographie des Ritters Reinhard von Neuneck ein Werk vorgelegt, das als gutes Beispiel dieser Gattung gelten darf. Der Autor Johann Ottmar, der bereits 1974 mit einer Dissertation über die Herren von Neuneck promoviert wurde, hat sich neben seiner Lehrertätigkeit Jahrzehnte lang der Erforschung des Adels am oberen Neckar gewidmet und legt nun nach Jahren eingehender Forschungsarbeit sein Opus magnum vor, die Biographie des Ritters Reinhard von Neuneck (1474-1551). Auch bei den Kennern der regionalen Geschichte, denen der Erbauer des Wasserschlosses Glatt (Stadt Sulz am Neckar, heute ein sehenswertes Kultur- und Museumszentrum) längst als außergewöhnliche Adelsgestalt der beginnenden Neuzeit ein Begriff ist, hat die Arbeit Ottmars Erstaunen hervorgerufen ob der gewaltigen Fülle an Material, die hier zusammen getragen wurde und die es erlaubt, dieses Adelsleben detailliert nachzuzeichnen. Der Autor, dessen Forscherdrang bislang unerkannte Quellen und Sachüberlieferungen in seine Betrachtung mit einbeziehen konnte, profitierte auch noch vom Glück des Tüchtigen. Als Theoretiker der Biografik mag man zwar eine reflektierte Einführung in Methode und Sinn der historischen Biografie im Rahmen einer Sozialgeschichte vermissen, doch die ausgereifte Darstellung dieser Lebensgeschichte, die den Sinn und den Nutzen einer solchen Adelsbiografie schlagend exemplifiziert, entschädigt für den in methodischer Hinsicht bestehenden Mangel.

Reinhard von Neuneck entstammte einem regional begrenzt einflussreichen Adelsgeschlecht, das sich im 15. Jahrhundert auf die Entwicklungen der Zeit einließ. Vater und Onkel waren Hauptleute der Gesellschaft mit St. Jörgenschild, spielten also eine Rolle in der sich formierenden Standeskorporation des südwestdeutschen Adels. Zugleich stand die Familie traditionell in Diensten der aufstrebenden Territorialherren, hier überwiegend im Dienst Württembergs. Reinhard, der vom Vater Schloss und Herrschaft Glatt ungeteilt ererbte, wechselte allerdings nach ersten Diensten bei Württemberg zu den Pfalzgrafen bei Rhein und beschritt damit einen neuen Weg - Ausgangspunkt einer Lebensgeschichte, die ihn über manchen seiner adligen Zeitgenossen hinaus wachsen ließ. Die Biografie beschreibt minutiös Reinhards Aufstieg im Dienst der Pfalzgrafen bis hin zum Pfleger der Stadt Lauingen. Zwischenstationen waren seine zeitweiligen Dienste für das Reich, so im Sickingen-Feldzug, im Bauernkrieg 1525 und gegen die Türken. Höhepunkt und in gewisser Weise Mittelpunkt dieses Lebens waren die Reisen des Protagonisten, vornehmlich seine Heiliglandfahrt an der Seite seines Dienstherrn Ottheinrich von der Pfalz im Jahr 1521, die in mehreren Quellen gut dokumentiert ist.

Neben dessen Fürstendienst beschreibt Johann Ottmar detailliert Reinhards von Neuneck Wirken in seiner heimatlichen Herrschaft Glatt, die 1525 in seiner Abwesenheit beispielsweise zu einem Schauplatz des Bauernkriegs geworden war. Es gibt eine Vielzahl von Quellen, die die Herrschaftsausübung und die Herrschaftsauffassung dieses Ortsherrn detailliert belegen, seine Untertanenkonflikte ebenso wie den Erwerb der Hochgerichtsbarkeit. In den Jahren 1533 bis 1540 ließ Reinhard das von den Vorfahren ererbte Wasserschloss in Glatt zu einer kleinen Renaissanceanlage mit vier Ecktürmen ausbauen - übrigens eines der ältesten Renaissanceschlösser Südwestdeutschlands, eine Tatsache, die ohne Neuneckers Orientreise (auf der er auch Venedig kennen lernte) vielleicht nicht erklärbar wird. Johann Ottmar zeigt seinen Protagonisten schließlich auch als guten Haushälter und vermögenden Adligen, der seine Gelder beispielsweise bei den Fuggern anlegte. Reinhard von Neuneck war im Adel seiner Zeit eine durchaus ungewöhnliche Gestalt, nicht zuletzt auch wegen seiner Ehelosigkeit. Er blieb Zeit seines Lebens unverheiratet, hatte allerdings mit seiner Haushälterin, mit der er nach seinem Rückzug aus der Politik im Schloss Glatt lebte, eine Tochter (Barbara Neuneckerin). Diese erhielt eine ihrem (bürgerlichen) Stand angemessene Aussteuer, während das adlige Erbe, Schloss und Herrschaft Glatt, an Reinhards Neffen fielen.

Alles in allem liegt hiermit eine umfangreiche, gut recherchierte und ausgezeichnet geschriebene Biografie eines Adligen vor, der in dieser Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit, Gotik und Renaissance, altem und neuem Glauben eine ähnlich schillernde Individualität erlangte wie sein (bislang noch) berühmterer Zeitgenosse Götz von Berlichingen. Die biografisch orientierte Geschichtsschreibung der beginnenden Neuzeit in Südwestdeutschland ist damit um ein gewichtiges Beispiel reicher.

Casimir Bumiller