William Tronzo (ed.): St. Peter's in the Vatican, Cambridge: Cambridge University Press 2005, XVI + 320 S., 338 half-tones, ISBN 978-0-521-64096-1, GBP 70,00
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Als "Grand drama on a big screen" führt der Herausgeber William Tronzo die Geschichte der Peterskirche ein. Ein Stück mit Tiefen und Höhen, Licht und Dunkel, zu dessen neuerlicher Interpretation in Form eines - eigentlich für das Jubeljahr 2000 geplanten - Sammelbandes er eine Reihe von überwiegend bekannten Fachleuten eingeladen hat.
Glen W. Bowersocks einleitender Beitrag bringt die Gründungsgeschichte der Basilika vor allem über die Diskussion der konstantinischen Auftraggeberschaft nahe. Das - anders als im Fall der Lateransbasilika - fast völlige Schweigen zeitgenössischer Quellen führt den Philologen zu der Vermutung, die Gründung gehe möglicherweise erst auf Konstantins Sohn Konstans zurück. [1] Es ist wohl verlockend, den Bau der Peterskirche dann als Antwort des weströmischen Kaisers auf die Aktivitäten seines arianischen Gegenspielers im Osten zu deuten. Allerdings kann die Entscheidung für diese Lesart, die an der Datierung und an der kaiserlichen Auftraggeberschaft wenig ändern würde, ebenso wenig durch Schriftquellen belegt werden.
Dale Kinneys Beitrag zu den Spolien der alten und neuen Peterskirche legt nahe, deren Einsatz überwiegend eher pragmatisch als ideologisch zu deuten. Die spätere Rezeption beleuchtet Kinney durch Auswertung mittelalterlicher Mirabilienbücher. Doch hätte man sich vor allem auch eine quantifizierte Erfassung der nachweisbaren antiken Elemente gewünscht - darunter vor allem die Säulen des Langhauses und die gedrehten Säulen des Presbyteriums, die bereits vor dem Abbruch der alten Basilika von Peruzzi, der Sangallowerkstatt und anderen in Zeichnungen "katalogisiert" wurden -, wie dies in der hier nicht mehr berücksichtigten Arbeit von Lex Bosman inzwischen teils geschehen ist. [2] Einen kleinen, aber bedeutenden Ausschnitt aus der mittelalterlichen Geschichte des Bauwerks untersucht Antonio Iacobinis bereits vor einer Dekade entstandener Beitrag zur Auftraggeberschaft von Innozenz III. bis Gregor IX. [3] Von einem neuen Selbstbewusstsein des Papsttums künden hierbei nicht nur die in kleinen Fragmenten und Nachzeichnungen überlieferten Mosaikausstattungen von Apsis und Westfassade, sondern auch die reiche liturgische Ausstattung, die im größeren Zusammenhang bereits von Sible de Blaauw dargestellt wurde. [4]
Dem Format des Bandes in idealer Weise entsprechen die Beiträge von Christof Thoenes und Henry A. Millon. Thoenes' brillianter Überblick beschreibt zügig und doch mit ausreichenden Detailinformationen die Geschichte des Neubaus von Bramantes ersten Planungen bis zum Tod Sangallos 1546. Dabei bleibt Thoenes immer nah am Objekt - sei es das Bauwerk oder seien es die Zeichnungen - und bewahrt zugleich den Blick auf die Motivationen der Auftraggeber und Architekten, ohne dabei, wie zuletzt Bredekamp, ein selbst ernanntes Leitmotiv übermäßig in den Vordergrund zu rücken. [5] Vor allem geht es Thoenes auch um die Frage nach der Kunst, wobei ihm immer wieder gleichermaßen einfache wie überzeugende Charakterisierungen gelingen, etwa diejenige von Bramantes Projekt als der erstmaligen gestalterischen Thematisierung von Größe in der nachantiken Architektur. Für viele Abschnitte der überaus umfangreichen und komplizierten Planungs- und Baugeschichte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten tragfähige Hypothesen ausarbeiten können. Einige Punkte blieben freilich strittig bzw. sind erst in jüngerer Zeit in die Diskussion geraten. Dies betrifft unter anderem die von Thoenes selbst vorgeschlagene und hier erneut vertretene Interpretation von Bramantes Pergamentplan Uffizien 1A als Teil eines Langhausprojekts, der sich zuletzt Jens Niebaum in einer akribischen Studie zur frühen Planungsgeschichte nicht anschließen konnte. [6]
Millons Darstellung, die die zeitliche Spanne von der Bauleitung durch Michelangelo bis zur Errichtung von Marchionnis Sakristei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts umschließt, gelingt es selbst bei lakonischer Kürze, auch die Forschungsdiskussionen durchklingen zu lassen. Sie betreffen insbesondere Details der schwer zu rekonstruierenden Michelangelo-Planung, da das von ihm angefertigte Architekturmodell nicht erhalten ist und er sämtliche Zeichnungen seiner römischen Zeit vor seinem Tod vernichtete. Insgesamt wird jedoch deutlich, dass ungeachtet der Vielzahl noch folgenden Architekten und mancher Krisen - etwa die Diskussion um die Anfügung des Langhauses unter Paul V. -, die Entwicklung des Bauwerks seit der Annahme des Michelangelo-Plans im Gegensatz zur Gründungszeit geradezu linear verlief.
Mit ein, zwei weiteren Texten gleicher Art wäre der Band ein schlankes und dennoch forschungsaktuelles Überblickswerk zur Peterskirche geworden, hätte nicht Irvin Lavin das Projekt - um das Bild wieder aufzugreifen - als Bühne für einen ausgedehnten Soloauftritt seines Helden Gianlorenzo Bernini genutzt. Die außerordentlich umfangreiche Tätigkeit Berninis an St. Peter, die - man muss es sich immer wieder klarmachen - etwa ein Dutzend bereits an sich überaus große Werke oder Werkkomplexe, von der Kathedra Petri und den Grabmälern für Urban VIII. und Alexander VII. über den Baldacchino, die Ausstattung des Langhauses, Scala Regia und Konstantinsstatue bis hin zum Petersplatz umfasst, wurde schon von Wittkower und anderen als besondere Œuvregruppe gewürdigt. Mit stupender Kenntnis und assoziativer Neugier nimmt Lavin diese Werke noch einmal in Augenschein und steigert das Bild von der "unity of visual arts" zu einer Art Über-Gesamtkunstwerk, mit dem Bernini zeitliche Abstände, unterschiedliche Auftragsumstände und inhaltliche Anforderungen zu einer homogenen Einheit bringt. Deutlich im Widerspruch zu dieser synthetisierenden These steht allerdings Lavins weit ausholende Darstellung, die sich gelegentlich in Hintergründe und Vergleichsbeispiele, bisweilen in Form mehrseitiger, an sich zweifellos höchst geistreicher Exkurse verliert - etwa zu Krautheimers Buch über Alexander VII. [7] Dabei sprengen die Breite der gleichermaßen umfangreich wie hinsichtlich der Qualität bemerkenswert nachlässig bebilderten Darstellung und die Einbeziehung weiterer Werke Berninis, die nur noch mittelbar mit der Peterskirche zu tun haben (Sala Ducale, Engelsbrücke), den Charakter des Bandes deutlich. Alessandra Anselmi nimmt hingegen mit den Arrangements für Kanonisierungszeremonien in fokussierter Fragestellung den erst in jüngerer Zeit in der Architekturgeschichte beachteten Bereich der ephemeren Ausstattung und ihrer Funktionszusammenhänge in Augenschein und zeigt, wie gerade diese kurzlebigen Gelegenheitswerke aktuelle politische Verhältnisse spiegeln.
Abschließend richtet Richard A. Etlin den Blick auf das weite Feld der St. Peter Rezeption, der in manchen Punkten wohl noch differenzierter hätte ausfallen können. Denn die Vielzahl der bis in den Warenhausbau reichenden Rückgriffe zeigt nicht zuletzt auch, dass das Bild der Peterskirche immer mehr zu einem bloßen Wunder der Ingenieurskunst verflachte. Bemerkenswert - wenngleich nicht überraschend - ist dabei, dass sich das Interesse fast ausschließlich auf Kuppel und Vierung richtete. Daneben fand das Ensemble von ausgreifender Kolonnade mit Kuppelkirche nach 1800 vor dem Hintergrund restauratorischer politischer Tendenzen, die in diesem Motiv wohl ein Traditionssymbol gepaart mit weltbezogenem Herrschaftsanspruch sehen konnten, besondere Aufmerksamkeit (Kazan-Kathedrale, St. Petersburg; San Francesco di Paola, Neapel). Die Verortung in politischen Kontexten erweist sich jedoch generell als eher schwierig. Etlins mit moralisierenden Untertönen versehene Gegenüberstellung von Speers Planung der Berliner Großen Halle als Symbol einer rassistisch-völkischen Weltanschauung, der Peterskirche als Symbol des Christentums und des Washingtoner Kapitols als Symbol der Aufklärung, schematisiert nicht nur allzu sehr, sondern verliert auch die spezifisch künstlerischen Rezeptionsmechanismen weitgehend aus den Augen. Gleichwohl zeigt der Beitrag interessante Aspekte der Wirkungsgeschichte der Peterskirche, die noch einige Ansatzpunkte für weitergehende Forschung bieten.
Insgesamt liegt die Stärke des Bandes weniger in der Präsentation neuer Ergebnisse (wie sie hoffentlich ohne allzu große Verzögerung von den Akten der im Frühjahr 2006 in Bonn zum 500. Jahrestag der Grundsteinlegung für die neue Peterskirche veranstalteten Tagung zu erwarten sind), sondern darin, den aktuellen Stand der Forschung zu St. Peter in verschiedenen Epochen und Bereichen in einem übersichtlichen Band versammelt und leicht zugänglich gemacht zu haben, auch wenn dieses Konzept durch mangelnde Disziplin hinsichtlich Umfang und Fristen in letztlich doch bedauerlicher Weise beeinträchtigt wurde.
Anmerkungen:
[1] Text bereits veröffentlicht in: Jean-Michel Carrié (Hg.): "Humana sapit", Festschrift Lellia Cracco Ruggini, Paris 2002, 209-217.
[2] Lex Bosman: The power of tradition. Spolia in the architecture of St. Peter's in the Vatican, Hilversum 2004.
[3] Text in ital. Sprache bereits veröffentlicht unter dem Titel "Est haec sacra principis aedes". La Basilica Vaticana da Innocenzo III a Gregorio IX (1198 - 1241), in: Tagungsband, Rom, Castel S. Angelo 1995 L'architettura della Basilica di San Pietro. Storia e costruzione, ed. Gianfranco Spagnesi, Rom 1997, 91-100.
[4] Sible De Blaauw: Cultus et décor. Liturgie en architectuur in laatantiek e middeleeuws Rome: Basilica Salvatoris, Sanctae Mariae, Sancti Petri, Delft 1987 (ital. 1994).
[5] Horst Bredekamp: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Bau und Abbau von Bramante bis Bernini, Berlin 2000; s. hierzu die Rezension von Ulrich Fürst, in: Kunstform 1 (2000), Nr. 1, URL: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2000_01&review_id=5569 und die Rezension von Golo Maurer, in: Kunstform 3 (2002), Nr. 5, URL: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2002_05&review_id=3472.
[6] Jens Niebaum: Bramante und der Neubau von St. Peter. Die Planungen vor dem Ausführungsprojekt, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 34 2001/2002 [2004], 87-184.
[7] Richard Krautheimer: The Rome of Alexander VII, 1655-1667, Princeton, N.J. 1985.
Georg Schelbert