Dirk Reitz: Die Kreuzzüge Ludwigs IX. von Frankreich 1248/1270 (= Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung; Bd. 3), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, VIII + 306 S., ISBN 978-3-8258-7068-3, EUR 29,90
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"Seine Expeditionen waren der Beginn, das Ende und der Sinn seines Lebens", so urteilte William Chester Jordan über die Bedeutung der Kreuzzüge für den französischen König Ludwig IX (1227-1270). [1] Auch wenn Jacques Le Goff dieser Bewertung widersprach, so erkannte er doch an, dass "der Kreuzzug [...] einer [sic!] der großen Leitmotive seiner Herrschaft [war], ohne deren letztes Ziel zu sein". [2] Und in der Tat war Ludwig nicht nur der einzige abendländische Herrscher, der zweimal zu einem Kreuzzug aufbrach (1248 und 1270), sondern auch der letzte kreuzfahrende König überhaupt. Dieses abschließende Kapitel der Kreuzzugsgeschichte ist das Thema der 2004 an der TU Darmstadt vorgelegten Dissertation von Dirk Reitz.
In der Einleitung (I, 1-41) setzt sich der Autor mit Begrifflichkeiten, Quellen und Forschungsliteratur auseinander, wobei Letztere nur äußerst knapp behandelt wird. Nach einer kurzen Vorstellung Ludwigs und der Situation der französischen Krondomäne (II, 43-55) geht er auf den Ägyptenfeldzug ein, der den größten Teil des Buches umfasst (III, 57-174). Der Zeit zwischen den Kreuzzügen widmet Reitz leider nur wenige Seiten (IV, 175-179), obwohl diese für Ludwigs Kreuzzugspolitik, wenn auch bisher von der Forschung vernachlässigt, durchaus von Interesse sind. Der Tuniskreuzzug stellt den zweiten Hauptteil des Buches dar (V, 179-224). Ein Kapitel über die Kanonisation Ludwigs (VI, 225-231) ist der abschließenden Zusammenfassung (VII, 233-250) vorgeschaltet.
Besonderes Augenmerk legt Reitz auf die Darstellung der Person des Königs, die er ambivalent bewertet. Einerseits sei er ein Organisationstalent gewesen, das es vermochte, ungleich gut vorbereitete Kreuzzüge zu führen. Da, wie Reitz erkennt, "nichts deutlicher als die Finanzen eines Fürsten dessen politische Handlungsspielräume beschreiben [sic!]" (77), ist es sinnvoll, dass er sich ausführlich mit dem Problem der Kreuzzugsfinanzierung auseinandersetzt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass seine effektive Finanzverwaltung Ludwig ein machtvolles pekuniäres Instrument in die Hand gegeben habe, ohne das seine Kreuzzüge in dem Maße nicht möglich gewesen wären. Strategisch sei er andererseits eher ungeschickt vorgegangen, was sich insbesondere am Desaster des Ägyptenfeldzugs zeige; "bornierter Starrsinn" und übersteigerte Frömmigkeit habe sein Handeln gekennzeichnet (u. a. 150, 248). In den an diesen Feldzug anschließenden vier Jahren, die er in Outremer verbrachte, habe sich jedoch ein Wandel vollzogen: Verstärkt habe er dort die typische Politik der lateinischen Fürsten von Outremer verfolgt (von Reitz etwas unglücklich als "'poulain'-Politik" bezeichnet), "geduldig, methodisch und keine von den Sarazenen angebotene Möglichkeit auslassend" (173). So sei diese Zeit der einzige Lichtblick in Ludwigs Kreuzzugspolitik gewesen. Reitz kommt zu dem Schluss, dass Ludwig zwar nicht "militärisch, politisch und ökonomisch", jedoch "durch seine übersteigerte Religiosität ebenso motiviert wie obsessiv beschränkt" gewesen sei (246). Ludwigs Kreuzzüge hätten ohnehin keine Rettung für Outremer darstellen können, denn das Scheitern der lateinischen Herrschaften der Levante sei strukturell unabwendbar gewesen, da sie sich lediglich auf den "Sukkurs" aus Europa und die Uneinigkeit ihrer Gegner gegründet hätten (248).
Dass Reitz nicht mit fundamental neuen Erkenntnissen aufwarten kann, ist angesichts der Fülle an neuerer Kreuzzugsforschung auch nicht unbedingt zu erwarten gewesen. So geht beispielsweise schon Jordan ausführlich auf die Finanzierung von Ludwigs Kreuzzügen ein, und Ludwigs Person ist in Le Goffs Biografie in breiterer Ausführlichkeit beschrieben. Jedoch stellt Reitz im Gegensatz zu manch anderem Kreuzzugshistoriker Handlungen der Herrschenden in einen strategischen und taktischen Kontext und analysiert auf dieser Basis die Motive und Strategien aller Parteien. Beispielsweise setzt er sich recht ausführlich mit der Entscheidung Ludwigs auseinander, Tunis als Ziel des Kreuzzuges von 1270 auszuwählen (207-212). Ferner stellt er die in der Forschung vorherrschende Meinung infrage, dass nach der erfolgreichen Einnahme Damiettes 1249 ein schneller Kriegszug nilaufwärts sinnvoll gewesen wäre; nach Ansicht von Reitz hätte man mit einer längeren Belagerung Mansurahs rechnen müssen und sich dadurch der Gefahr des Nilhochwassers ausgesetzt (126 f.). Derart strategische und taktische Erwägungen verleihen der Arbeit einen gewissen militärhistorischen Wert.
An vielen Stellen finden sich jedoch kleinere Fehler und Ungenauigkeiten. So kann man etwa im Falle Roberts von Artois nicht von dessen "kinderlosem Abgang" (49) sprechen, da er nicht nur eine Tochter namens Blanche besaß, sondern mit Robert II. auch einen Erben, der in der Goldsporenschlacht von Kortrijk 1302 durch einen ähnlich ungestümen Angriff, wie ihn sein Vater bei Mansurah unternommen hatte, den Tod fand. [3] Auch ist die Oriflamme nicht das "blaue, goldlilienbesetzte französische Königsbanner" (99), sondern das rote Banner, das in der Abtei St. Denis aufbewahrt wurde. [4] Ferner ist der "Brief" des Grafen von Forez, den Reitz unnötig ausufernd zitiert (Anm. 338), in Wirklichkeit eine Urkunde.
Äußerst ärgerlich ist die ungenaue Zitierweise. So anerkennenswert es ist, dass Reitz neben französischen Chroniken auch arabische in Übersetzung verwendet, sollte er doch die Titel und Autorennamen richtig übernehmen und nicht in verschiedenen Versionen anbieten: So wird beispielsweise aus "Abou 'l-Feda", wie er in der Bibliografie (254) zu finden ist, in den Anmerkungen "Abu Feda" (z. B. Anm. 414). Mag man bei einem Nicht-Orientalisten darüber hinwegsehen, so ist doch die Fehlerhäufung in lateinischen Titeln wie beispielsweise in "Historia Diplomatica Friderice [sic!] Secundi" (252) für einen Historiker kaum noch hinnehmbar. Bei im RHC gedruckten Chroniken hat Reitz durchgängig auf die Angabe verzichtet, ob sie im RHC Hor. oder Hoc. zu finden sind. Auch ist es nicht ersichtlich, aus welchem Grund Reitz manche Passagen des Chronisten Jean de Joinville altfranzösisch, andere aber neufranzösisch oder deutsch zitiert - immer ohne Angabe der verwendeten Edition oder Übersetzung. Derartige Fehler sind keine Einzelfälle, sondern ziehen sich beinahe durch den gesamten Anmerkungsapparat und das Literaturverzeichnis. Das erschwert den wissenschaftlichen Umgang mit dem Buch ungemein. Dieser Eindruck wird durch den mit Fremdwörtern überladenen Schreibstil noch verstärkt. Außerdem sollte man, wenn man Israel als "moderneren Kreuzfahrerstaat" apostrophiert (Anm. 888), vorsichtig mit der Bezeichnung "Muselmanen" für Muslime sein (8).
Insgesamt legt Reitz eine Dissertation vor, die kaum mit grundlegend neuen Erkenntnissen aufwarten kann und deren mannigfaltigen Ungenauigkeiten einen schalen Beigeschmack hinterlassen. Bei einer sorgfältigeren Arbeitsweise hätte sie aber durchaus das hierzulande vernachlässigte Forschungsfeld der Militärgeschichte und insbesondere der militärischen Logistik um einige interessante Aspekte bereichern können.
Anmerkungen:
[1] William Chester Jordan: Louis IX and the Challenge of the Crusade. A Study in Rulership, Princeton 1979, 220.
[2] Jacques Le Goff: Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000, 156.
[3] Jan Frans Verbruggen: The Battle of the Golden Spurs (Courtrai, 11 July 1302). A Contribution to the History of Flanders War of Liberation, 1297-1302 (= Warfare in History, 3), Woodbridge 2002, 237 f.
[4] Philippe Contamine: Art. Oriflamme, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München 1993, 1454 f.
Daniel Rupp