Rezension über:

Gábor Boros (Hg.): Der Einfluß des Hellenismus auf die Philosophie der Frühen Neuzeit (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 108), Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2005, 198 S., ISBN 978-3-447-05288-7, EUR 59,00
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Rezension von:
David Engels
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
David Engels: Rezension von: Gábor Boros (Hg.): Der Einfluß des Hellenismus auf die Philosophie der Frühen Neuzeit, Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/10797.html


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Gábor Boros (Hg.): Der Einfluß des Hellenismus auf die Philosophie der Frühen Neuzeit

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Der von Gábor Boros herausgegebene Sammelband zum Einfluss des Hellenismus auf die Philosophie der Frühen Neuzeit vereint zehn Beiträge internationaler Forscher und ist aus einem Arbeitsgespräch vom 12.-13.7.2001 hervorgegangen, welches im Rahmen der Kooperation zwischen der Akademie der Wissenschaften in Budapest und der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel stattfand.

Ulrike Zeuch hat sich in ihrem Aufsatz "Stoische Implikationen in Robortellos Begriff des Allgemeinen als Gegenstand literarischer Mimesis" (7-26) vor allem damit beschäftigt, dass Robortello den Begriff des Allgemeinen, dessen Nachahmung Aristoteles als Essenz der Literatur definiert, schon im Voraus unter stoischem Blickwinkel gelesen und unter dieser Prämisse die gesamte Poetiktheorie des Peripatetikers "fehl"interpretiert hat. Indem Robortello nicht menschliches Handeln, sondern fiktive Fakten und Dinge als das durch die Poetik zu imitierende Allgemeine betrachtet, verstrickt er sich in einen inneren Widerspruch, da für ihn Literatur zwar idealisierend ein Abstraktum darzustellen hat, diesem aber individuelle Züge verleihen muss. Robortellos Interpretation der aristotelischen Literaturtheorie lässt daher nahezu nur typisierte Figuren zu, deren Interaktion spätestens am Versuch der Darstellung eines tugendhaften Menschen scheitern muss, dessen Charakter nur als gleichgewichtiger Kompromiss aller möglicher Zustände erfasst werden kann, daher aber kaum zur literarischen Behandlung einlädt.

Péter Lautners Beitrag ist dem Thema "Ficino's View that the Aim of the Intellect is Rest and Priscian's Metaphrasis" (27-34) gewidmet. Zentral für diese Untersuchung ist Ficinos teils recht freie Übersetzung und Rezeption von Priscians Kommentar zu Theophrast, welcher stark durch Iamblich und den Neoplatonismus geprägt ist. Nach Lautner geht Ficinos Theorie, wonach "finis motionis intellectualis non est motus sed status" (De mente, in: opera omnia II 676) - was dem auf Plato selbst zurückgehenden Grundsatz von der essentiellen Beweglichkeit der Seele widerspricht - letztlich auf Priscian zurück, der in Anlehnung an das peripatetische Gedankengut Theophrasts Perzeption und Assimilierung konstanter Werte und Größen durch die menschliche Seele nur mittels der Präsenz eines stabilen Seelenelements zu erklären wusste - eine bei Priscian eher nebensächliche Charakterisierung, die von Ficino dann zu seiner Grundüberzeugung vom Streben der Seele nach Immobilität ausgebaut wurde.

Gábor Borbély betrachtet in "Sceptical arguments in later medieval philosophy, their sources and their impact upon Descartes" (35-52) zunächst die antiken Wurzeln des spätmittelalterlichen Skeptizismus, der oft zu Unrecht als eine lediglich im scholastischen Denken verwurzelte philosophische Richtung betrachtet wird, und untermauert diese Ansicht durch die Parallelisierung einiger Passagen von Buridans "Quaestiones in Metaphysicam Aristotelis" mit Sextus Empiricus und Diogenes Laertius. Hierauf skizziert Borbély den Einfluss, den der Skeptizismus auf die cartesianische Philosophie und das "deus fallens"-Argument ausübte, und vermutet, dass die Idee der "tromperie divine" direkt auf die Thesen des Petrus Aureoli im 14. Jh. zurückzuführen sei - eine These, die sich allerdings, wie Borbély eingesteht, lediglich durch keinen einzigen Quellenverweis Descartes' erhärten lässt.

Jan Papy analysiert in "Neostoizismus und Humanismus. Lipsius' neue Lektüre von Seneca in der 'Manuductio ad Stoicam philosophiam' (1604)" (53-80) die Rolle des Stoizismus in der Philosophie der Frühen Neuzeit. Da der Neostoizismus oft sowohl überbewertet, was die Rückführung nahezu jedes antikisch wirkenden Gedankens auf stoisches Erbe angeht, als auch unterbewertet wird, was seine geistesgeschichtliche Originalität betrifft, unternimmt es Papy, durch eine exemplarische Analyse von Lipsius' "Manuductio" (1604) und "de Constantia" (1583/4) zu zeigen, inwieweit Lipsius durch eine Harmonisierung des Stoizismus Senecas mit christlichen Glaubenslehren zu einer neuen philosophischen Synthese durchgedrungen ist. In dieser soll der Stoizismus nicht hinführende Propädeutik, sondern ethisch-weltliches Komplement zur christlichen Morallehre sein, indem stoische "constantia" als die zur Überwindung der Wirren der Glaubenskriege notwendige Tugend gepriesen wird, wobei allerdings das deterministische Gottesbild der Stoa durch den augustinischen Gott der Willensfreiheit ersetzt wird.

Markus Schmitz arbeitet in "Stoische Erkenntnistheorie bei René Descartes und ihre Funktion für die Wissenschaftstheorie" (81-96) heraus, inwieweit Descartes durch seine Rezeption der in der stoischen Philosophie postulierten Passivität von äußerem Sinn und innerer Vorstellungskraft gegenüber den von außen eindringenden bzw. nach innen weitergereichten Wahrnehmungen die Abwendung von der platonisch-aristotelischen und der scholastischen Erkenntnistheorie herbeiführte, derzufolge der "intellectus" auf die Hilfe von "sensus" und "imaginatio" angewiesen sei, um die Welt erfassen zu können. Dies beeinflusste auch Descartes' "Mathesis universalis", welche die Objektbezogenheit nicht nur des geometrischen, sondern paradoxerweise auch des arithmetischen Denkens voraussetzen musste.

Gábor Boros untersucht in "Descartes über Senecas 'De vita beata'" (97-106) die Rezeption dieser Schrift in Descartes' Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz und arbeitet sowohl Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen Descartes und Seneca als auch die am Interpretationswandel der Schrift im Laufe der Briefe fassbare innere philosophische Evolution Descartes' heraus.

Jon Miller hat seinen Aufsatz "Stoics and Spinoza on suicide" (107-136) einem systematischen Vergleich der zunächst unvereinbar wirkenden Positionen Spinozas und der Stoa dem Selbstmord gegenüber gewidmet. Während der Selbstmord für Spinoza mit der selbsterhaltenden Natur des Menschen unvereinbar und daher nur auf äußere Einflüsse zurückzuführen ist, "echter" Selbstmord also unmöglich scheint, stellt die Möglichkeit der Selbstbeseitigung für die Stoiker durchaus eine rationale Wahl des Menschen dar. Sieht man von dieser gegensätzlichen Folgerung ab, so verrät Spinoza doch wenigstens darin einen Einfluss der Stoa, dass er wie diese eine unentrinnbare Verpflichtung des Menschen zum Handeln im Einklang mit seiner eigenen Natur annimmt.

Catherine Wilsons Beitrag "The Lucretian Theses of Dissolution and Mortality: Some Early Modern Responses" (137-158) zeichnet die problematische Synthese der von der christlichen Theologie als unhintergehbar gesetzten Unsterblichkeit der Seele mit der epikureischen Physik in der Philosophie der frühen Neuzeit bei Descartes, Spinoza und Leibniz nach und analysiert vor allem den Umgang dieser Philosophen mit Sterblichkeit und Zerfall. Während Leibniz die Unkörperlichkeit der Seele postuliert, um somit die Unmöglichkeit ihres Zerfalls zu beweisen, und Spinozas Pantheismus zwar jeglichen Dualismus negiert, aber an die Fortexistenz der Idee eines jeden Individuums auch nach dem Zerfall seiner Körperlichkeit glaubt, löst Leibniz den offensichtlichen Widerspruch zwischen Epikureismus und Christentum durch Übertragung des Atomismus auf die Welt der Monaden.

Bernd Ludwig greift in seiner Untersuchung zu "Cicero oder Epikur? Über einen 'Paradigmenwechsel' in Hobbes politischer Philosophie" (159-180) die Frage nach der inneren Einheit der Hobbes'schen Staatslehre auf und zeigt, dass sich Hobbes zwischen "De cive" (1641) und "Leviathan" (1651) von der ciceronianischen Version des stoischen Naturrechts, wie es etwa im "De legibus" präsentiert wird, zu einer Form des Epikureismus bekehrt hat, wie er in Gassendis Kommentar zum 10. Buch des Diogenes Laertius erscheint.

József Simon schließlich widmet den letzten Text des Sammelbands dem Thema "Sed cur nihilo athei vocantur? Die hellenistischen Quellen des Atheisten-Katalogs von Christian Franckens Werk 'Disputatio de incertitudine religionis Christianae', und sein Bild über den antiken Atheismus" (181-194). Simon versucht hier, die Originalität Franckens als des ersten selbstbekennenden Atheisten der frühen Neuzeit herauszuarbeiten, leider in einer von Rechtschreib- und Grammatikfehlern bisweilen arg verunstalteten Form, die das Verständnis des Beitrags stellenweise unnötig belastet.

Während der Sammelband insgesamt solide Beiträge zur Quellenanalyse frühneuzeitlicher Philosophie und zur Rezeptionsgeschichte hellenistischen Denkens liefert und die besondere Rolle zahlreicher heute weitgehend unbekannter Denker des Spätmittelalters und der Renaissance für die Vermittlung hellenistischen Gedankenguts unterstreicht, so ist doch die Disparität der einzelnen Aufsätze wie auch die nur ungenügende Vernetzung der verschiedenen Texte untereinander zu bedauern. Das Fehlen einer einleitenden Themenstellung oder einer abrundenden Schlussfolgerung, die dem Leser geholfen hätten, Quintessenz, Parallelen und Divergenzen der Arbeitsergebnisse zu erfassen, ist leider gänzlich unverständlich.

David Engels