Rezension über:

Verena Postel: Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter, Stuttgart: W. Kohlhammer 2004, 296 S., ISBN 978-3-17-018405-3, EUR 28,00
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Rezension von:
Hans-Henning Kortüm
Institut für Geschichte, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Henning Kortüm: Rezension von: Verena Postel: Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter, Stuttgart: W. Kohlhammer 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/7458.html


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Verena Postel: Die Ursprünge Europas

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An Gesamtdarstellungen der Übergangsperiode zwischen Altertum und Mittelalter herrscht wahrlich kein Mangel. Dennoch füllt dieses Buch eine Lücke, weil es auf höchst anschauliche wie wissenschaftlich anspruchsvolle Weise in eine Zeit einführt, die allzu lange unter der falschen, weil unzutreffenden Rubrik "Völkerwanderungszeit" verhandelt worden ist und teilweise noch immer verhandelt wird. Bereits mit dem Untertitel ihrer Darstellung räumt die Autorin mit populären Klischees auf: "Gewandert" sind nicht in sich geschlossene, fest umreißbare Entitäten, sprich "Völker" oder "Nationen", sondern es handelt sich um höchst komplizierte Prozesse, sogenannte "Ethnogenesen". Auch von den eingängigen und deshalb auch so zäh im historischen Gedächtnis haftenden Begriffen wie "Limesfall" oder "Landnahme" bleibt nichts übrig. Stattdessen wird ein vielleicht weniger eingängiges, aber umso korrekteres Bild einer Zeit gezeichnet, die durch vielfältigste Austauschbeziehungen zwischen überlegener römischer Kultur und Zivilisation einerseits und einer Vielzahl sich damals erst konstituierender "gentes" andererseits geprägt ist. Postel stimmt dem bekannten Diktum des amerikanischen Mediävisten Patrick Geary, dass "die germanische Welt [...] vielleicht die großartigste und dauerhafteste Schöpfung des politischen und militärischen Genies der Römer [war]", ausdrücklich zu und möchte es als "Leitmotiv" (63) ihrer Arbeit verstanden wissen.

Die Autorin orientiert ihre Darstellung konsequent an den verschiedenen, sich damals erst konstituierenden "gentes", vor allem an den Alemannen, Angeln und Sachsen, Burgundern, Franken, Ostgoten, Vandalen, Westgoten und Langobarden, die jeweils in in sich gegliederten Großkapiteln abgehandelt werden. Dieser Aufbau ist völlig logisch, nur kommt es dadurch manchmal zu gewissen Wiederholungen bzw. auch zu Vorgriffen von Personen, Sachen und Ereignissen, die erst an späterer Stelle ausführlicher besprochen werden. So werden Cassiodor und Boethius bereit im Anfangskapitel ("Das Erbe des Imperium Romanum") als bekannte Größen vorausgesetzt, obwohl sie für den Leser im eigentlichen Sinn erst sehr viel später im Kapitel VI. ("Die Ostgoten in Italien") historisch eingeführt werden. Das war aber wohl auch nicht anders zu machen. Jedenfalls wird die Leserfreundlichkeit dadurch nicht eingeschränkt. Zu ihr tragen vielmehr die erfreulich groß gestalteten, in der Regel eine ganze Buchseite umfassenden Karten, das übersichtlich gehaltene Literaturverzeichnis, die Vorstellung der wichtigsten Quellen und die nach den verschiedenen gentes differenzierten Zeittafeln entscheidend bei.

Hervorzuheben an diesem Buch ist aber vor allem anderen der Umstand, dass die Autorin, die von Haus aus auch klassische und mittellateinische Philologin ist, sorgfältig einschlägige, sehr aussagekräftige, durchaus auch längere Quellenzitate geschickt in ihren Darstellungstext gleichsam eingewoben hat. Das führt zu dem unschätzbaren Vorteil, dass sie nicht als störende Fremdkörper einfach überlesen werden, sondern ganz im Gegenteil Appetit auf weitere Quellenlektüre machen. Man kann der Darstellung nur viele Leserinnen und Leser wünschen.

Hans-Henning Kortüm