Marco Ciatti / Max Seidel (eds.): Giotto. The Crucifix in Santa Maria Novella, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2002, 408 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-422-06518-5, EUR 39,90
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"Tornossi poi con grandissimo onore e con grandissima facultà a Fiorenza, dove in San Marco fece un Crocifisso in sul legno grande lavorato a tempera, maggiore che 'l naturale, in campo d'oro, il quale fu messo a mano destra in chiesa; et un simile ne fece in Santa Maria Novella [...]. [1] Mit diesen Worten beschreibt Giorgio Vasari das monumentale Tafelkreuz des späten 13. Jahrhunderts in der Dominikanerkirche Santa Maria Novella in Florenz. Das in Ei-Tempera über einer herausragenden, nun erstmals sichtbar gemachten Vorzeichnung auf eine Tafel aus Pappelholz gemalte Kruzifix (H. 530 cm, B. maximal 400 cm, Gewicht 300 kg) wurde in den Jahren 1988 bis 2000 in den Werkstätten des Opificio delle Pietre Dure unter der Leitung von Marco Ciatti in Zusammenarbeit mit Cecilia Frosinini restauriert. In Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut - Max-Planck-Institut in Florenz entstand ein materialreicher Band, der die Ergebnisse der Restaurierung dokumentiert und in ihrer Relevanz für die kunsthistorische Forschung kommentiert. Der Band knüpft dabei an Beiträge an, die das Opificio delle Pietre Dure bereits mit früheren Publikationen zur Tafelkreuzforschung geleistet hat. [2]
Die Publikation umfasst die drei Teile Critical essays, Technique and restoration sowie Scientific investigation. Auf den letzten Seiten findet sich die von Lorenza Melli zusammengestellte Bibliography of the Santa Maria Novella Crucifix.
Die Critical essays leitet der Beitrag Marco Ciattis ein, der die wesentlichen Ergebnisse der restauratorischen und materialtechnischen Untersuchung in ihren möglichen Implikationen für die kunsthistorische Forschung erfasst. Erstmals lassen sich anhand der in der Infrarotaufnahme sichtbaren, künstlerisch hochwertigen Unterzeichnung detaillierte Aussagen über den Werkprozess treffen. Die Erkenntnis, dass die zentrale Tafel noch vor ihrer Bemalung zu beiden Seiten des Gekreuzigten erweitert wurde, gibt Grund zu der Vermutung, dass das hölzerne Gerüst ursprünglich für eine Bemalung im Stil und in den Proportionen der Kruzifixe Cimabues für San Domenico in Arezzo oder für Santa Croce in Florenz gedacht war. Die Abweichung des Gekreuzigten Giottos vom Modell seines früheren Lehrers, das schwere Lasten des Körpers Christi am Kreuz, die dadurch bedingte, insgesamt tiefere Haltung sowie die Akzentuierung des Körpervolumens in einer zuvor nicht gekannten Weise, die die Erweiterung der Aprontafel um mehrere Zentimeter auf beiden Seiten erforderten, sind Ciatti Anlass für eine Neubestimmung des Verhältnisses des Werks beider Künstler zueinander.
Der Beitrag Max Seidels, Questions of style, ist der stilistischen Analyse des Kruzifixes und seiner Einordnung in den Werkkontext Giottos gewidmet. Seidel bietet eine reich bebilderte, umfassende Datierungs- und Stildiskussion, in der wiederum die Vorzeichnung und die künstlerische Stärke ihrer Ausführung gegenüber der in einigen Details modifizierten Tempera-Version die entscheidende Rolle spielen: "Perhaps Giotto had a collection of drawings showing people asleep" (71). Der Blick nach Assisi, Padua und Rom wird ergänzt um die gleichzeitigen Einflüsse der französischen Gotik im Werk Giottos.
Auf Roberto Lunardi, der die Frage der ursprünglichen Aufstellung des Kruzifixes mit der Baugeschichte von Santa Maria Novella und der Ordensgeschichte der Dominikaner in Florenz verknüpft, folgen fünf Beiträge, welche - auf Grund ihrer Spezialisierung auf bislang in der Kruzifixforschung nicht oder nur am Rande berücksichtigte Themen - das eigentliche Herzstück des Bandes bilden, auf das auch im Hinblick auf andere Kruzifixe immer wieder zurückgegriffen werden kann: Lorenza Melli zum generellen Forschungsstand und zur Dokumentenlage, Gad Sarfatti / Anna Pontani / Stefano Zamponi zum Kreuztitulus, Silvana Pettenati zur dekorativen Verwendung von Einlegearbeiten aus Goldglas und Maria Vittoria Fontana zu den pseudo-epigrafischen arabischen Buchstaben, die schwarz auf rotem Grund als Band den Rahmen des Kreuzes umlaufen und in die goldenen Heiligenscheine der Maria und des Johannes an den seitlichen Armenden eingestellt sind. Alle Autoren führen zielgerichtet und kompetent in die jeweilige Thematik ein und bieten einen umfassenden Überblick über die verschiedensten Aspekte des Forschungsthemas. Besonders hervorzuheben sind die Beiträge zum dreisprachigen Kreuztitulus (Hebräisch, Griechisch und Latein) und zur Übertragung arabischer Schriftzeichen in den neuen inhaltlichen Zusammenhang des Kruzifixes, die den Blick auf die kulturhistorische Dimension des Werkes lenken, auf Florenz als Zentrum des Orienthandels und auf Santa Maria Novella als Ort der Kommunikation und des Wissensaustauschs über die Grenzen Europas hinaus.
Zu den restauratorischen und materialtechnischen Untersuchungen im zweiten und dritten Teil der Publikation, die zusammen aber nicht ganz die Hälfte des Umfangs bilden, leitet Monica Bietti über mit einer Beschreibung der Maßnahmen zur Restaurierung und Konservierung von Kunstwerken in Santa Maria Novella seit 1980. Wertvolles Vergleichsmaterial und Detailinformationen zum Werkprozess bieten Ciro Castillo, Mauro Parri und Andrea Santacesaria zur Konstruktion der kreuzförmigen Holztafel sowie Paola Bracco und Ottavio Ciappi zur Maltechnik.
Der 408 Seiten umfassende Band ist ein wesentlicher Beitrag zur Erforschung der italienischen Tafelkreuze, weit mehr als nur ein weiterer Mosaikstein im noch weitgehend disparaten Bild der Forschung. Der gewählte Kontext ist derjenige der Giotto-Forschung, weshalb eine Reihe Fragestellungen zur Bedeutung für die Entwicklung der Kruzifixe keine Berücksichtigung finden. So erfolgt beispielsweise die farbsymbolische Deutung des Lapislazuli-Blau der Kreuzbalken (173) ohne Blick auf das italienische Tafelkreuzspektrum, insbesondere das umbrische Werk des "Blue Crucifix Master". Wünschenswert wäre die Aufnahme eigener Kapitel zu zwei wesentlichen Diskussionspunkten gewesen: zum einen zum zeitgenössischen theologischen Diskurs, der der "Erfindung" des Christustyps in Santa Maria Novella zu Grunde liegt, bereits von Emma Simi Varanelli und Joanna Cannon [3] kontrovers zur Sprache gebracht, zum anderen zur Frage der Aufstellung des Kruzifixes [4], das als eines der ersten einen mit dem Golgothafels bemalten Kreuzfuß besitzt und sich in Santa Maria Novella in Interaktion mit einem zweiten (Kult-)Bild befand, der Maestà Duccios.
Anmerkungen:
[1] Giorgio Vasari: Le vite de' più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue insino a' tempi nostri. Nell'edizione per i tipi di Lorenzo Torrentino, Firenze 1550, a cura di Luciano Bellosi e Aldo Rossi, presentazione di Giovanni Previtali, Torino 1991, I, 125.
[2] Pinxit Guillielmus: Il restauro della croce di Sarzana, a cura di Marco Ciatti e Cecilia Frosinini con la collaborazione di Roberto Bellocci, Firenze 2001.
[3] Emma Simi Varanelli: Cristologia tomista e rinnuovo dell'iconografia del "patiens" nel tardo duecento, in: Biblioteca Egidiana / Centro Studi "Agostino Trapè" (Hrsg.): Arte e spiritualità negli ordini mendicanti. Gli agostiniani e il Capellone di San Nicola a Tolentino, Roma 1992, 95-104; Joanna L. Cannon: Dominican Patronage of the Arts in Central Italy: The Provincia Romana, c. 1220-c. 1320, Dissertation, University of London, 1980, 220-226.
[4] Vgl. Marcello Gaeta: Die ursprüngliche Aufstellung von Giottos Kruzifix in S. Maria Novella. Aus Anlass des Buches: Marco Ciatti / Max Seidel (Hg.): Giotto. La Croce di Santa Maria Novella, Kunstchronik 56, 2003, 505-509; Frithjof Schwartz / Michael Viktor Schwarz: Noch einmal zur Frage der ursprünglichen Aufstellung von Giottos Tafelkreuz in S. Maria Novella, Kunstchronik 56, 2003, 650-652; Marcello Gaeta: Weitere Anmerkungen zur Frage der ursprünglichen Aufstellung von Giottos Tafelkreuz in S. Maria Novella, Kunstchronik 57, 2004, 118-119.
Katharina Chr. Schüppel