Rezension über:

Richard E. Frankel: Bismarck's Shadow. The Cult of Leadership and the Transformation of the German Right, 1898-1945, Oxford: Berg Publishers 2005, x + 222 S., ISBN 978-1-84520-033-6, GBP 16,99
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Rezension von:
Jakob Hort
Zentrum für Vergleichende Geschichte Europas, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Jakob Hort: Rezension von: Richard E. Frankel: Bismarck's Shadow. The Cult of Leadership and the Transformation of the German Right, 1898-1945, Oxford: Berg Publishers 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/11481.html


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Richard E. Frankel: Bismarck's Shadow

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Die Zahl der Neuerscheinungen, die sich dem Nachleben Bismarcks widmen - in Denkmal und Fest, in Propaganda oder Historiografie - dürfte mittlerweile zu den mit Person und Politik selbst befassten aufgeschlossen haben. Darin spiegelt sich zum einen eine allgemeine Tendenz der Geschichtswissenschaft wider, Mythen und Symbolen größere Beachtung zukommen zu lassen, zum anderen reflektiert dies aber, welche zentrale Rolle Bismarck bzw. konkurrierende Deutungen seiner Person auch über seinen Tod hinaus jahrzehntelang im politischen Diskurs gespielt haben. Das fortdauernde Interesse an Bismarckmythos und Bismarckkult sowie die Erklärungskraft, die diesem Phänomen beigemessen wird, zeigt das nahezu zeitgleiche Erscheinen zweier Arbeiten angloamerikanischer Provenienz mit fast identischem Zuschnitt und ähnlicher Argumentation: Robert Gerwarths "The Bismarck Myth" [1] und Richard E. Frankels "Bismarck's Shadow".

Beide untersuchen die Entwicklung des Bismarckmythos, seine Instrumentalisierung und seine zerstörerische Wirkung auf die politische Kultur in Kaiserreich und Weimarer Republik. Der Bismarckkult hat, so ihre These, als Integrationsideologie der antidemokratischen Rechten im Kampf gegen die Republik und als Triebkraft der Sehnsucht nach einer Führerfigur entscheidend zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen - von Bismarck zu Hitler also.

Anders als Gerwarth, dessen Schwerpunkt auf den konkurrierenden Bismarckbildern in der Weimarer Republik liegt, nimmt Frankel einen längeren Zeitraum in den Blick, um im Besonderen der elementaren Bedeutung des Bismarckkults für die Transformation und Radikalisierung der nationalen Rechten vom Kaiserreich zum Dritten Reich nachzugehen. Der Fluchtpunkt Nationalsozialismus ist hierbei für Frankels Analyse ganz zentral. Er sei einer spezifischen politischen Kultur entsprungen, die durch zwei Kernelemente des Bismarckmythos zutiefst geprägt worden sei: Zum einen einer tatsächlichen und empfundenen chronischen Führungskrise des Reiches. Mit Bismarck sei ein Politikideal etabliert worden, das auf Führung von oben statt Eigeninitiative setzte, ganz nach dem bekannten Diktum Max Webers, Bismarck habe "eine Nation ohne alle und jede politische Erziehung [...] und vor allem eine Nation ohne allen und jeden politischen Willen, gewöhnt, dass der große Staatsmann an ihrer Spitze für sie die Politik schon besorgen werde", hinterlassen. [2] An Bismarck gemessen, seien alle seine Nachfolger jedoch zum Scheitern verurteilt gewesen, zumal sein Schatten durch seine Glorifizierung immer länger wurde. Bismarcks Apotheose zur Heils- und Erlöserfigur sei schließlich eine wesentliche Voraussetzung für Genese und Akzeptanz des Führerkults gleichermaßen gewesen. Zum Zweiten habe die Berufung auf Bismarck nationale Bewegungen in Opposition zum Staat vereinigt, deren radikalen, antidemokratischen und antisemitischen Positionen erst Legitimität verschafft und sie schließlich in der Mitte der Gesellschaft zu verankern vermocht.

"How are legends created in the modern world?"(19) ist die Leitfrage des ersten Kapitels, in dem Frankel zunächst die Wurzeln des Bismarckkults im Reichsgründungsmythos und Bismarcks unerwarteten Aufstieg zur Symbolfigur der "nationalen Opposition" im Kaiserreich darstellt. Das zweite Kapitel beschreibt den "take-off" der Bismarckverehrung nach seinem Tod, der Entrückung und mythischen Überhöhung in Denkmal und Fest, die Frankel als Aufstieg des Bismarckkults zu einer politischen Religion deutet. Entscheidend für deren weiteren Erfolg war, dass Bismarck nun als zunehmend von der historischen Persönlichkeit losgelöstes Symbol mit neuen Inhalten aufgeladen werden konnte. Während Gegenbewegungen, wie der Hohenzollernkult, und alternative Deutungen Bismarcks als monarchentreuen Realpolitiker langsam verdrängt wurden, begann dessen Instrumentalisierung durch die völkisch-nationalen Interessenverbände.

Die als "crisis decade" bezeichneten Jahre von 1914 bis 1923, die nach Frankel "a critical turning point in the development of the image and its role" (13) darstellen, waren durch ein Offenbarwerden der Führungskrise und Bismarcks Aufstieg zur Ikone der Republikgegner und zugleich deren einigendes Band gekennzeichnet. Im vierten Kapitel über die "Years of Stability" schildert Frankel zum einen die gescheiterten Gegenbewegungen und Versuche, ein mit der Regierungspolitik und der Republik zu vereinbarendes Bismarckbild zu etablieren. Zum anderen zeigt er, dass gerade in diesen Jahren mit Bismarck antidemokratisches Denken in bürgerlich-konservativen Kreisen gepflegt und die Republik weiter unterminiert wurde.

Im fünften Kapitel geht es schließlich um die letzten Jahre der Weimarer Republik und die Frage, inwiefern der Bismarckmythos die Bereitschaft zu einer radikalen Lösung der Führungskrise befördert hat. Zum Zweiten führt Frankel hier aus, in welcher Form sich die Nationalsozialisten Bismarcks nach der Machtergreifung zunächst als traditions- und legitimationsstiftende Figur bedienten, bevor der Führerkult spätestens mit dem Anschluss Österreichs 1938 den Bismarckkult fast vollständig verdrängen konnte.

Insgesamt gelingt es Frankel, die Entwicklungsstufen und formative Kraft des Bismarckmythos überzeugend und anschaulich darzustellen. Es wird deutlich, in welchem Maße er nicht nur zur Radikalisierung der Rechten beitrug, sondern als breit verankertes gesellschaftliches Phänomen die politische Kultur in einer Weise destabilisierte, die den schwachen Boden, auf dem die Republik der "Republikfeinde" stand, stetig weiter unterhöhlte. Doch scheint der Autor auch ein wenig in jene Falle getappt zu sein, die jedem Forscher droht, der sich mit seiner Materie so eingehend beschäftigt hat: Er neigt dazu, ihre zeitgenössische Bedeutung überzubewerten und damit zu verzerrenden Anschauungen zu kommen, wie etwa seine Bezeichnung Bismarcks als "the leader of the national opposition in Weimar" belegt.

Überzogen scheint auch Frankels Tendenz, eine direkte Entwicklungslinie vom Bismarck- zum Führerkult im Nationalsozialismus zu ziehen, die durch seine methodische Orientierung an Ian Kershaws "Hitler-Mythos" [3], den er als Referenz nennt (15), noch verstärkt wird. Dies schlägt sich bei Frankel unmittelbar in zwei problematischen Interpretationen nieder, die dem Kontext der NS-Forschung entnommen sind: Zum einen bezeichnet und behandelt er den Bismarckkult als eine politische Religion, um seine Vorbildfunktion für den Nationalsozialismus zu betonen. Zum anderen wendet er, wie Hans-Ulrich Wehler [4], Webers Konzept der charismatischen Herrschaft auf Bismarck an, wogegen bereits mit guten Argumenten einiger Widerspruch erhoben wurde. Auch wenn Frankel konzediert, dass Webers Modell auf Bismarck streng genommen nicht anzuwenden ist (11/191), so hält er um seiner Argumentation Willen doch daran fest. Bei Bismarck habe es sich um eine posthum charismatisierte Führerfigur gehandelt, deren Beschwörung zu einer latent-charismatischen Situation geführt habe, die mit Hitler manifest geworden sei.

Schließlich täuscht die von Frankel zu häufig verwendete Bezeichnung "Bismarckians" bisweilen darüber hinweg, wie heterogen die Gruppen der Bismarckanhänger und ihre Ziele eigentlich waren. Diese Einschränkungen schmälern allerdings nicht den Gesamteindruck einer lesenswerten, gut strukturierten Studie, an der insbesondere die innovative Periodisierung und der lange Untersuchungszeitraum, durch den Frankel trotz des komplizierten Geflechts der Organisationen der politischen Rechten erfolgreich führt, hervorzuheben sind.


Anmerkungen:

[1] Robert Gerwarth: The Bismarck Myth: Weimar Germany and the Legacy of the Iron Chancellor, Oxford 2005.

[2] Max Weber: Gesammelte politische Schriften. Hrsg. von Johannes Winckelmann, 5. Aufl. Tübingen 1988, 319.

[3] Ian Kershaw: The 'Hitler Myth': Image and Reality in the Third Reich, Oxford 1987.

[4] Hans-Ulrich Wehler: Bonapartismus oder charismatische Herrschaft?, in: ders.: Die Gegenwart als Geschichte. Essays, München 1995, 72-83.

Jakob Hort