Astrid Ley / Marion Maria Ruisinger (Hgg.): Von Gebärhaus und Retortenbaby. 175 Jahre Frauenklinik Erlangen, Nürnberg: Tümmels 2003, 198 S., ISBN 978-3-921590-99-7, EUR 12,00
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Walter Jonat / Christian Andree / Thoralf Schollmeyer: Universitäts-Frauenklinik Kiel und Michaelis-Hebammenschule 1805-2005. Eine medizinhistorische Studie zum 200-jährigen Bestehen, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 2005, 187 S., ISBN 978-3-13-142031-2, EUR 49,95
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Werner E. Gerabek / Bernhard D. Haage / Gundolf Keil / Wolfgang Wegner (Hgg.): Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin: De Gruyter 2005
Cornelius Borck: Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen: Wallstein 2005
Melanie Panse: Hans von Gersdorffs "Feldbuch der Wundarznei". Produktion, Präsentation und Rezeption von Wissen, Wiesbaden: Reichert Verlag 2012
Aline Steinbrecher: Verrückte Welten. Wahnsinn und Gesellschaft im barocken Zürich, Zürich: Chronos Verlag 2006
Gerhardt Nissen: Kulturgeschichte seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart: Klett-Cotta 2005
Vor 256 Jahren öffnete in Göttingen die erste universitäre Entbindungsklinik Deutschlands ihre Pforten vornehmlich für mittellose Frauen, die unter der Ägide männlicher, studierter Geburtshelfer entbinden sollten. [1] Der ersten deutschen Gründung in Göttingen folgten weitere in Kassel (1763), in Braunschweig (1767), Marburg (1792) [2], 1805 in Kiel, Würzburg [3], Heidelberg, Leipzig (1810), Halle (1811) und in Berlin (1817) [4]. Die Universität Erlangen richtete im Vergleich zu anderen Universitäten erst spät im Jahre 1828 eine Entbindungsanstalt ein.
Das Erlanger Institut für Geschichte und Ethik der Medizin nahm das 175-jährige Bestehen der dortigen Einrichtung zum Anlass, eine Ausstellung zu deren Geschichte und begleitend dazu einen Ausstellungsband zu erstellen. Die Herausgeberinnen haben sich dafür entschieden, die historische Entwicklung von den Anfängen bis 2003 zeitlich und thematisch weit zu spannen. So ist schon Gründungsgeschichte multiperspektivisch dargestellt: Stefan Schulz reflektiert die bisherige Forschung zur Geschichte der Geburtshilfe kenntnisreich und weist auf die historiografischen Besonderheiten des von "Großer-Ärzte-Forschung" bis feministischen Studien reichenden Feldes hin. Marion M. Ruisinger untersucht die Gründe dafür, warum sich die Etablierung der Entbindungskunst in Erlangen verzögert vollzog, also eine "schwere Geburt" war. Lange Zeit besetzten in Erlangen Chirurgen das Terrain der akademischen Geburtshilfe, die in ihren Anfängen ambulant geleistet wurde. Nur wenige Patientinnen fanden den Weg zu den akademischen Geburtshelfern der Erlanger Universität, sodass Lehre am Krankenbett kaum stattfinden konnte bis 1828 die Entbindungsanstalt eingerichtet wurde. Elisabeth Fritsch wendet sich der sozialen Praxis in der Entbindungsanstalt zu. Wie auch in anderen Entbindungskliniken mussten Frauen der unteren sozialen Schichten als Gegenleistung für eine kostenlose Entbindung und Verpflegung vor und nach der Geburt "ihren Leib und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen" (57). Leider sind für die Erlanger Anstalt alltagsnahe Quellen nicht überliefert, sodass offen bleiben muss, inwieweit Hebammen und Patientinnen dem strikten Reglement des Hauses Folge leisteten.
Die wissenschaftlichen Leistungen der Erlanger Gynäkologen analysieren die Beiträge von Frank Stahnisch und Wolfgang Frobenius. Stahnisch charakterisiert den zweiten Direktor der Erlanger Entbindungsklinik Paul Zweifel (1848-1927) in Anlehnung an Ludwig Fleck als Bürokratenwissenschaftler, der durch sein experimentelles Vorgehen wesentlich zur Verwissenschaftlichung der chirurgischen Gynäkologie beitrug. Frobenius würdigt kritisch die innovativen Forschungen in Erlangen zur gynäkologischen Strahlentherapie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Allerdings wurden die radiologischen Therapieversuche bei Krebspatientinnen, denen man eine operative Therapie vorenthielt, die möglicherweise ihr Leben gerettet hätte, von den Ärzten erst im Nachhinein reflektiert.
Der Sammelband erweist sich auch in den weiteren Beiträgen als kritisch reflektierte Aufarbeitung der Geschichte der Erlanger Geburtshilfe. So arbeitet Dorothea Krüger in ihrer gründlichen Studie zur Zwangssterilisation das Verhalten Erlanger Gynäkologen und das Schicksal der zwangsweise sterilisierten Patientinnen auf. Wie auch Gynäkologen andernorts war der Leiter der Erlanger Frauenklinik Prof. Dr. Hermann Wintz bemüht, das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1934 gewissenhaft umzusetzen. Eher allgemein denn speziell für Erlangen stellt Gertraud Lehmann auf die gynäkologische Praxis zielenden kritischen Interventionen der Frauengesundheitsbewegung dar. Kritik an der Reproduktionsmedizin fließt auch in die Überlegungen von Oliver Rauprich und Stefan Siegel zur Forschung im Bereich der In-Vitro-Fertilisation ein, für welche die Erlanger Theorie und Praxis wegweisend war.
Die breite methodische und thematische Herangehensweise an 175 Jahre Geburtshilfe in Erlangen zeigt nicht zuletzt der Ausblick auf die Zukunft der Frauenheilkunde durch den heutigen Direktor der Frauenklinik Matthias W. Beckmann und die Präsentation künstlerischer Aneignungen des Themas.
Anders als der Erlanger Band fokussiert die Darstellung der 200-jährigen Geschichte der Universitäts-Frauenklinik Kiel im Wesentlichen die wissenschaftlichen Biografien der an der Klinik tätigen Ärzte, die chronologisch angeordnet sind. Eine Darstellung des Arzt-Patientinnen-Verhältnisses sucht man in diesem Buch ebenso vergebens wie (medizinethische) Reflexionen der ambivalenten historischen Entwicklung der Geburtshilfe und Gynäkologie zu einer akademischen Teildisziplin der Medizinischen Wissenschaft. So wird der "Kieler Beckenschrank", eine Sammlung "malformierter" weiblicher Becken, unkommentiert im Text über den ersten Leiter der Anstalt Gustav Adolf Michaelis (1798-1848) abgebildet. Verweist diese Sammlung doch auch auf die hohe Sterblichkeit von Gebärenden in der ersten historischen Phase der Universitäts-Frauenkliniken. Zwar mag eine personenzentrierte Aufarbeitung der Geschichte der Kieler Geburtshilfe der Identifikation mit der Einrichtung und ihrer Geschichte förderlich sein, doch wird eine solche Herangehensweise dann problematisch, wenn die Biografien dieser "großen Ärzte" bereinigt von ihren Ambivalenzen aufgeschrieben werden. So wird zum Beispiel das Thema Zwangssterilisationen in der Zeit des Nationalsozialismus - von der personenbezogenen Darstellung abweichend - kurz angedeutet. Doch in den Biografien der Ärzte, die in dieser topisch als "dunkelstes Kapitel" der Klinik bezeichneten Zeit tätig waren, wird nicht thematisiert, inwieweit diese Ärzte an den Zwangssterilisationen beteiligt waren, und wie sie sich generell hinsichtlich der rassistischen Gesundheitspolitik der Nationalsozialisten verhielten.
Während der Erlanger Sammelband zur Geschichte der Geburtshilfe aufgrund der breiten historischen Kontextualisierung auch für Nicht-Erlangerinnen und Erlanger sehr lesenswert ist, wird der Kieler Jubiläumsband wohl nur für die Kieler Bevölkerung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitäts-Frauenklinik und der Hebammenschule von Interesse sein.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Jürgen Schlumbohm / Claudia Wiesemann (Hg.): Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751-1850, Göttingen 2003. Dieser Sammelband ist die Veröffentlichung eines Teils der Beiträge, die auf einem Symposium anlässlich des 250-jährigen Bestehens der Göttinger Universitätsfrauenklinik im Jahre 2001 in Göttingen stattfand.
[2] Vgl. Marita Metz-Becker: Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauen in den Gebäranstalten des frühen 19. Jahrhunderts, Frankfurt / New York 1997.
[3] Vgl. 200 Jahre Frauenklinik und Hebammenschule Würzburg, hg. vom Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg 2005.
[4] Vgl. Hans-Christoph Seidel: Eine neue "Kultur des Gebärens". Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998.
Karen Nolte