Rezension über:

Stefan Grathoff: Mainzer Erzbischofsburgen. Erwerb und Funktion von Burgherrschaft am Beispiel der Mainzer Erzbischöfe im Hoch- und Spätmittelalter (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 58), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, XIII + 590 S., 9 Karten, ISBN 978-3-515-08240-2, EUR 78,00
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Rezension von:
Alfons Zettler
Historisches Institut, Universität Dortmund
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Alfons Zettler: Rezension von: Stefan Grathoff: Mainzer Erzbischofsburgen. Erwerb und Funktion von Burgherrschaft am Beispiel der Mainzer Erzbischöfe im Hoch- und Spätmittelalter, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/10356.html


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Stefan Grathoff: Mainzer Erzbischofsburgen

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Otto von Freising berichtet in seinem Werk über Kaiser Friedrich I. Barbarossa einleitend einige Episoden aus dem Leben von dessen Vater, Herzog Friedrich von Schwaben. Eines Tages habe der Herzog den Rhein überschritten und das ganze Gebiet von Basel bis Mainz, in dem die hauptsächliche Stärke des Reiches liege, unter seinen Willen gebeugt. Von Basel rheinabwärts ziehend, "errichtete er bald an einem geeigneten Platz eine Burg und unterwarf die Umgebung, bald verließ er die bisherige Burg und errichtete eine neue, so dass von ihm das Sprichwort umging: Herzog Friedrich schleppt am Schweif seines Rosses stets eine Burg hinter sich her ('Dux Fredericus in cauda equi sui semper trahit castrum')" (25). Mit dieser Strategie sei er so erfolgreich gewesen, dass er sich das ganze Land am Rhein gefügig machen und schließlich sogar dem Mainzer Erzbischof Adalbert, dem "verschlagensten und begütertsten aller damaligen Fürsten des Reichs", den Krieg erklären konnte.

Bau und Erwerb von Burgen als hauptsächliche, als entscheidende Strategie fürstlicher Herrschaft, Machtentfaltung und Repräsentation, oder in einem Wort: die Burgenpolitik mittelalterlicher Reichsfürsten - das ist der thematische Rahmen der Dissertation von Stefan Grathoff, erschienen in der renommierten Publikationsreihe des Mainzer Instituts für Geschichtliche Landeskunde. Angefertigt 1988 bis 1996 bei Alois Gerlich, doch erst jetzt, neun Jahre später, ausgedruckt, stellt die Arbeit schon auf den ersten Blick ein gewaltiges Werk vor! Als Untersuchungsfeld wurde das Hochstift Mainz unter den Erzbischöfen des 12. bis 14. Jahrhunderts gewählt, beginnend mit dem eingangs erwähnten Adalbert von Saarbrücken, und der Autor beschäftigt sich auf über 500 Seiten in sehr eindringlicher Weise mit mehr als 400 Burgen, mit denen die Mainzer Metropoliten im Lauf der Zeit "herrschaftlich in Berührung" gekommen seien (1). Kartierungen und eine Liste dieser Burgen finden sich im Anhang des Buches (Karte 1: 582; 577-580); einige Burgen, die nicht oder nur am Rande in die Untersuchungen einbezogen wurden, führt Grathoff im Anschluss an seine Zusammenfassung auf (501). Im Internet ist zudem ein Katalog der Burgen mit kurzen geschichtlichen Abrissen abrufbar (www.burgenlexikon.eu).

Grathoff lässt seine Arbeit mit Erzbischof Adalbert I. (1111-1137) beginnen, da Burgen in dessen Sedenzperiode erstmals eine tragende Rolle in der fürstlichen Amtsführung gewonnen hätten, und er führt sie bis in die Zeit um 1374, wobei diese Eingrenzung sachlich darauf zu gründen scheint, dass mit dem zuletzt genannten Jahr die Regesten der Mainzer Erzbischöfe enden und die Quellenerhebung sich für die Folgezeit erheblich aufwändiger gestaltet hätte. Gleichwohl wird die Vorgabe "im Hoch- und Spätmittelalter" streng genommen nicht ganz eingelöst, auch wenn die "klassische Epoche" der Burg seit dem so genannten "staufischen Burgenbauboom", der zur "Versteinerung" und "Monumentalisierung" dieser mittelalterlichen Herrschaftsarchitektur par excellence führte, großenteils erfasst worden ist.

Vergleichsweise kurzen einleitenden Abschnitten, in denen es um die Exposition und Eingrenzung des Themas (1-8) und generell um die Burg als Instrument "weltlicher Herrschaft" im 12. Jahrhundert (9-28) geht, folgen sechs jeweils sehr umfangreiche Kapitel über den Bau von Burgen seitens der Mainzer Erzbischöfe (29-81), den käuflichen Erwerb von "Fremdburgen" (83-123), die bischöflich-mainzischen Lehnsburgen (125-199), Verpfändung und Pfandnahme von Burgen (201-309), bischöflich-mainzische Einflussnahme auf "Fremdburgen" (311-417) und schließlich die Verwaltung der erzstiftischen "Eigenburgen" (419-490). Eine ausführliche Zusammenfassung greift wichtige Aspekte und Ergebnisse der Arbeit nochmals auf (491-501), die im Übrigen durch Quellen- und Literaturverzeichnisse, Register der Personen und Orte sowie durch die bereits erwähnten Burgenlisten und eine Reihe von (zu klein geratenen und daher nur schwer lesbaren) Kartenskizzen erschlossen wird.

Im Ganzen betrachtet erscheint das Werk nicht nur wegen des erwähnten Materialreichtums und den überaus zahlreichen in die Betrachtung einbezogenen Burgen, sondern auch unter dem Aspekt des chronologischen Zuschnitts und der vielfältigen, fein verästelten Fragestellungen, die das Fassungsvermögen den Lesers zu überfordern drohen, außerordentlich breit, ja, fast möchte man sagen: zu weit ausgreifend angelegt. Laut Titel sollen "Erwerb und Funktion von Burgherrschaft am Beispiel der Mainzer Erzbischöfe" untersucht werden. Der Verfasser legt aber in den einzelnen Abschnitten und Kapiteln nicht historische Längsschnitte, in denen die (Burg-)Herrschaft der einzelnen - oder wenigstens der wichtigsten - Erzbischöfe in den Grundlinien erkennbar und damit auch vergleichbar würde, sondern er arbeitet mit zum Teil weit gespannten strukturgeschichtlichen Querschnitten, wobei er einer Fülle von burgenkundlichen, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen ebenso wie verwaltungs-, rechts- und verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten nachspürt. Denn er ist der Auffassung, dass "die Mainzer Erzbischöfe angesichts der Komplexität ihres Herrschaftsbereiches andere Erwartungen an die Burg stellten als der Adel". Deshalb bedürfe es "zunächst einer systematischen Darstellung der Methoden erzbischöflicher Burgenpolitik", bevor "Aussagen über herrschaftspolitische Dimensionen der erzbischöflichen Burg" getroffen und "Unterschiede zur und Gemeinsamkeiten mit der Burgenpolitik des weltlichen Adels festgestellt" werden könnten (2).

Diese Prämissen bzw. Postulate weisen auf grundsätzliche und konzeptionelle Probleme von Grathoffs Ansatz hin. Es gelingt zwar durchaus, das erste, vorrangige Postulat und Vorhaben, d. h. die systematische Darstellung der Methoden erzbischöflich-mainzischer Burgenpolitik, umzusetzen, doch dringt die Arbeit meines Erachtens nicht mehr in ausreichendem Maße zu den weiteren Fragen vor. Und der gewählte Aspekt, bei dem sich das Hauptaugenmerk auf die mainzischen Burgen richtet, bewirkt, dass die - eigentlich unerlässliche - nähere Einordnung der Ergebnisse in die allgemeine Politik der einzelnen Erzbischöfe unterbleibt. Der Autor verarbeitet mit bewundernswertem Fleiß eine große Fülle von Quellenmaterial, das sich indessen sehr ungleich über die gewählte Zeitspanne vom frühen 12. bis zum späteren 14. Jahrhundert verteilt. Es wäre daher von Vorteil gewesen und würde die Ergebnisse und Verdienste der Arbeit in ein helleres Licht rücken, wenn diese Problematik der Quellenbasis vorab deutlich gemacht und im Hinblick auf das methodische Vorgehen reflektiert worden wäre. In Klammern sei dazu noch bemerkt, dass Grathoff ausschließlich historisch und auf der Grundlage der Schriftzeugnisse arbeitet, während bau- und kunstgeschichtliche, historisch-topografische ebenso wie archäologische Aspekte beiseite bleiben.

So hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits leistet Stefan Grathoff mit seinen "Mainzer Erzbischofsburgen" zweifellos wertvolle Grundlagenforschung, was die Geschichte des Mainzer Erzstifts und des erzbischöflichen Fürstentums angeht. Die geschichtliche Landeskunde in all ihren Zweigen sowie orts- und regionalgeschichtliche Untersuchungen werden davon künftig ebenso in hohem Maße profitieren wie die Burgenkunde. Andererseits scheint die Chance eher verspielt worden zu sein, die Burgherrschaft der mittelalterlichen Mainzer Erzbischöfe, die immerhin zu den ranghöchsten geistlichen Reichsfürsten zählten, und die Problematik des Zusammenhangs von "Burgenpolitik" und Territorienbildung systematisch-exemplarisch auch im Hinblick auf Vergleiche mit anderen Fürstentümern darzustellen.

Alfons Zettler