Rezension über:

Helmut Engel (Red.): Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin: Jovis Verlag 2005, 222 S., 140 Abb., ISBN 978-3-936314-37-3, EUR 25,80
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Rezension von:
Guido Hinterkeuser
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Guido Hinterkeuser: Rezension von: Helmut Engel (Red.): Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin: Jovis Verlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/8295.html


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Helmut Engel (Red.): Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom

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Das vorliegende Buch ist, um es vorwegzunehmen, keine umfassende Monografie der Berliner Domgruft, sondern eine Ansammlung von Aufsätzen. Man sollte es in Ergänzung zu einem ebenfalls 2005 von der Oberpfarr- und Domkirche herausgegebenen Band lesen, der Einzelstudien vorrangig zu den Sarkophagen und ihrer Restaurierung enthält. [1] Warum man nicht eine gemeinsame große Publikation vorlegte, erschließt sich dem Außenstehenden nicht. Der hier anzuzeigende Band widmet sich weniger den Sarkophagen, sondern vor allem den Orten, an welchen sie in den verschiedenen Domen aufgestellt waren, darunter die 1975 leichtfertig abgerissene Denkmalskirche im wilhelminischen Dom. Beiträge zu den königlichen Begräbnisfeierlichkeiten sowie zur Trauerkultur tragen dazu bei, die historischen und geistesgeschichtlichen Hintergründe zu erhellen.

So erläutert der renommierte Berliner Historiker Gerd Heinrich, welche Präsenz der Tod im Leben des Großen Kurfürsten einnahm. Neben Kriegen, Epidemien und Krankheiten führte der Verlust naher Angehöriger zu einem latenten Todesbewusstsein. Iselin Gundermanns Schilderung der Beisetzungen sämtlicher Herrscher des 18. und 19. Jahrhunderts macht deutlich, welch geringe Rolle die Berliner Domgruft im Selbstverständnis des Herrscherhauses spielte, was nicht nur daran ersichtlich wird, dass sie gleich zweimal (1747/1750 und 1893/1905) verlegt bzw. erneuert wurde. Außer Friedrich I. ließ sich nur noch Friedrich Wilhelm II. auf der Spreeinsel bestatten, während die übrigen Regenten entweder Potsdam oder Charlottenburg zu ihrer letzten Ruhestätte bestimmten.

Gundermann begnügt sich mit einer Folge von Beschreibungen der zeremoniellen Abläufe vom Tod des Herrschers bis zur Beisetzung und verzichtet auf eine vergleichende Analyse, die Elemente der Kontinuität und solche des Wandels herausarbeiten würde. Bislang wohl unbekannt waren zwei Blätter zu den Trauerfeierlichkeiten Friedrich Wilhelms II., die seine Aufbahrung in der Brandenburgischen Kammer des Berliner Schlosses sowie das Trauergerüst im Berliner Dom abbilden. Umso mehr vermisst man präzise Angaben zur Technik und zur Provenienz der Blätter - ein Manko, das sämtliche Grafiken in diesem Band betrifft. Bildnachweise, die lediglich auf das Privatarchiv des Autors verweisen, helfen dem Leser wenig. Als Ergänzung und Präzisierung zu Gundermanns Aufsatz ist André Franiks Beitrag zu lesen, der detailliert die Beisetzungen Friedrichs I. und seines Sohnes Friedrich Wilhelm I. beleuchtet. Hier sei außerdem auf Gundermanns 2005 als eigenständige Publikation erschienene Untersuchung über Sophie Charlottes Bestattung hingewiesen. [2]

Drei Beiträge widmen sich Aspekten einzelner Sarkophage. Veronika Rücker legt eine philologische Analyse sämtlicher Inschriften vor. Herausragend recherchiert ist der Beitrag Heinrich Langes zum Sarkophag Kurfürst Georg Wilhelms, der sich bis 1945 im Königsberger Dom befand. Sogar bislang unbekannte Fotos des Sarkophags konnte er beisteuern. Es bleibt das Geheimnis der Redaktion, weshalb dafür das kleinstmögliche Bildformat als angemessen erachtet wurde. Langes Interpretation basiert gleichermaßen auf soliden Fachkenntnissen im Detail wie Sorgfalt und Ausgewogenheit im Urteil. Dies kann man von Helmut Börsch-Supans Studie zu den beiden Prunksarkophagen Andreas Schlüters für König Friedrich I. (1713) und dessen Gemahlin Sophie Charlotte (1705) bei weitem nicht behaupten. Börsch-Supan konzentriert sich auf die in der Tat bislang vernachlässigten figürlichen Reliefs an den Seitenwänden der Sarkophage, die, jeweils begleitet durch eine kurze Inschrift, auf Eigenschaften bzw. Ereignisse und Taten der Verstorbenen hinweisen. Diese teils schwer zu fotografierenden Reliefs sind hier nun erstmals - bis auf zwei - abgebildet, ferner werden die Inschriften transkribiert, übersetzt und in Bezug auf die Darstellung der Reliefs interpretiert. Dabei vermag Börsch-Supan zwar den ikonologischen Gehalt der Szenen zu erläutern, in der Erhellung der ikonographischen Details, sofern er nicht ganz darauf verzichtet, unterlaufen ihm allerdings zahlreiche Fehler. Hier ist nicht der Ort, Relief für Relief zu besprechen, eine Auswahl weniger Beispiele muss genügen.

Im Falle des Sarkophag Sophie Charlottes deutet Börsch-Supan an, dass die Inschrift des ersten Reliefs ("Sacra Otia Ingeny") eigentlich besser zur Darstellung des zweiten passen würde, das Allegorien der Wahrheit und der Klugheit zeigt. Doch warum denkt er die - meines Erachtens zutreffende - These nicht konsequent zu Ende? Denn die Inschrift des zweiten Reliefs ("Pietas Genetricis") passt umgekehrt ebenfalls vorzüglich zum ersten Bild. Damit wäre die verschleierte Frau eine Allegorie der Pietas, was Sinn macht, während Börsch-Supans Interpretation als sterbende Sophie Charlotte völlig abwegig ist (dies wäre ein undenkbares Motiv um 1700). Grundsätzlich muss man ernsthaft die Frage stellen, ob überhaupt eines der Reliefs die verstorbene Königin darstellt oder ob es sich bei den weiblichen Gestalten nicht in allen Fällen um Tugendallegorien handelt.

Beim Sarkophag des Königs hingegen ist dieser in jede Reliefallegorie leibhaftig eingebunden. Hier hätte Börsch-Supan manchen Irrtum hinsichtlich Transkription, Übersetzung und Interpretation vermeiden können, wäre ihm geläufig gewesen, dass das Programm der Reliefs bereits im 18. Jahrhundert mehrfach ausführlich publiziert wurde. [3] Dass das letzte unvollständige Wort der Inschrift "Quies publica fund[...]" nicht als "fundator", sondern als "fundata" zu ergänzen ist (ansonsten müsste "quies publica" im Genitiv erscheinen), mag man noch als Nebensächlichkeit abtun. Hinzu kommt allerdings, dass Mars vom König nicht befohlen wird, dass Schwert in die Scheide zu stecken, sondern, im Gegenteil, es bereit zu halten, denn nur so lassen sich Ruhe, Ordnung und Frieden garantieren. Die Frau mit Doppelgesicht und Kompass lässt sich eindeutig als Personifikation der klugen Politik identifizieren. Im dritten Relief ("Ingenia saeculi promota") irrt Börsch-Supan bei der Identifizierung der beiden weiblichen Gestalten. Nicht um Architektur und Skulptur handelt es sich, sondern um Gelehrsamkeit und Kunst. Erstere ist als solche vor allem auf Grund ihres geflügelten Helms zu erkennen. Beim zweiten Relief ("Inferior Rhenus liberatus") hält der Kurfürst einen Freiheitshut aus Filz in Händen.

Börschs intuitive Herangehensweise wird dem Gegenstand auch an anderer Stelle nicht gerecht. Zu behaupten, Schlüters Sarkophage hätten in einer "dunklen Gruft" gestanden, ist schlichtweg falsch. Ein Blick auf die bildlichen Darstellungen des alten Doms zeigt große Fenster im Sockelgeschoss. Dies müssen im Hochchorbereich die Fenster der Gruft gewesen sein, war hier doch der eigentliche Chorraum bedeutend über das Niveau des Erdgeschosses erhöht. Diese Beobachtung bestätigt nun ein Bericht des böhmischen Reisenden Christoph Wenzel von Nostitz, dem 1705 die Gruft kurz nach dem Tode Sophie Charlottes gezeigt wird und der von "einem gantz liechten schönen gewölbe" spricht. [4]

Diese Ausführungen mögen zugleich auch Martin Engels Beitrag ergänzen. Darin werden fundiert Geschichte, Lage und Gestalt der Gruft in der alten Stiftskirche erläutert, deren Anfänge unter dem Vorchor 1545 anzusetzen sind, ehe sie 1660 um einen weiteren Raum unter dem Hochchor erweitert wurde - ein angesichts einer dürftigen Quellenlage und des Fehlens aussagekräftiger Abbildungen schwieriges Unterfangen. Folgende Anmerkungen seien erlaubt. Engel bezeichnet eine Radierung, die das Castrum Doloris Sophie Charlottes am Tage ihrer Beisetzung im Berliner Dom zeigt, als die "einzige Darstellung dieser Gruftanlage". Einmal abgesehen davon, dass genau genommen nur die Eingangssituation in die Gruft unter dem Hochchor zu sehen ist, ist dieselbe, und sogar aus einer näheren Perspektive, auch auf dem vergleichbaren Stich des Castrum Doloris Friedrichs I. zu sehen - eine Ansicht, die in diesem Band eigentlich ebenso wenig fehlen dürfte wie Johann Georg Wolfgangs 1723 edierte Radierung des Sarkophags Friedrichs I., die im Hintergrund die - womöglich realistische - Abbildung eines Gruftgewölbes zeigt. Nur am Rande sei betont, dass Engel bei der Zuschreibung einer Skizze an Knobelsdorff, die den Entwurf für ein ab 1742 verfolgtes Turmprojekt über dem Chor des Doms zeigt, einer überholten Forschungsmeinung folgt. Tilo Eggeling hat in scharfsinnigen Analysen nachgewiesen, dass die beiden in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten aufbewahrten Skizzenbücher mitnichten diejenigen Knobelsdorffs sind und dass die darin enthaltenen Skizzen "keine Originalentwürfe vor[stellen], sondern Nachzeichnungen nach Originalentwürfen oder nach ausgeführten Dekorationen". [5]

Die Geschichte der Begräbnisstätten des 19. Jahrhunderts, Planungen wie Ausführungen, fasst Helmut Engel in zwei kurzen Aufsätzen knapp zusammen. Nach dem Scheitern der Camposanto-Planungen Friedrich Wilhelms IV. gelang es erst dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. mit dem imperialen Neubau des Raschdorff-Doms die Begräbnissituation seines Hauses neu zu arrangieren. Man darf Engels These beipflichten, dass die im Dom aufgestellten Prunksarkophagen seit dem 19. Jahrhundert vorrangig als Geschichtsdenkmale der Nation verstanden wurden und in diesem Sinne in einer Linie mit den damals verstärkt im Schlossbezirk aufgestellten Reiterdenkmälern zu sehen sind.

In den abschließenden Aufsätzen von Lars Eisenlöffel, Jürgen Luh und André Schmitz geht es vorrangig um die Rolle des Doms im Selbstverständnis des Staates vom Kaiserreich bis heute und weniger um seine Funktion als Begräbnisstätte. Margrit Hilmers auf zwei Seiten reduzierte skizzenhafte Darstellung der Geschichte der Domgruft während der DDR-Zeit, eine Geschichte der permanenten Vernachlässigung, kann nicht das letzte Wort zu diesem Thema sein. Nicht nur hier offenbart die Lektüre des Bandes, dass eine vollständige Darstellung der Berliner Domgruft, ihrer Ausstattung und ihrer Geschichte nach wie vor fehlt.


Anmerkungen:

[1] Die Hohenzollerngruft und ihre Sarkophage: Geschichte - Bedeutung - Erhaltung. "Alle Erinnerung ist Gegenwart", hrsg. vom Landesdenkmalamt Berlin und der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin, Red. Christine Becker, München/Berlin 2005.

[2] Iselin Gundermann: Sophie Charlottes letzte Reise. Tod und Bestattung der Königin von Preußen, Karwe 2005.

[3] Johann Georg Wachter: Der große Sarg, beschrieben durch den Inventor der Inscriptionen und Basreliefs an dem selbigen Sarge, Berlin 1713. - Theatrum Europäum Bd. 20, Frankfurt am Main 1734 (1713), 288-292. - David Fassmann: Leben und Thaten des Allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Königs von Preußen Friederici Wilhelmi, Berlin 1735, 42-85.

[4] Deník zcesty do Nizozemi v roce 1705 [Das Tagebuch von der Reise in die Niederlande im Jahre 1705], hrsg. von Jiří Kubeš, Prag 2004, 156, 160.

[5] Tilo Eggeling: Studien zum friderizianischen Rokoko. Georg Wenceslaus von Knobelsdorff als Entwerfer von Innendekorationen, Berlin 1980, 35 (2. erw. Aufl. unter dem Titel: Raum und Ornament. Georg Wenceslaus von Knobelsdorff und das friderizianische Rokoko, Regensburg 2003).

Guido Hinterkeuser