Michael C. Schneider: Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft. Chemnitzer Maschinenbauindustrie (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte; Bd. 14), Essen: Klartext 2005, 543 S., 8 Abb., 41 Tab., ISBN 978-3-89861-372-9, EUR 39,90
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Im Zentrum der Untersuchung von Michael Schneider steht die seit einiger Zeit in der Literatur wieder verstärkt diskutierte Frage unternehmerischer Handlungsspielräume während der NS-Zeit. [1] Der Autor konzentriert sich dabei auf die Betrachtung von drei Maschinenbauunternehmen aus dem Raum Chemnitz, und demnach auf eine Branche, die zwar eine zentrale Rolle für die Aufrüstung des NS- Regimes spielte, da sie den Großteil der dafür benötigten Investitionsgüter herstellte, die aber, sieht man einmal von der Studie von Astrid Gehrig über württembergische Maschinenbauer ab, auf Unternehmensebene bislang weitgehend noch unerforscht ist. [2] Wenn sich die drei Firmen, die Schneider betrachtet, auch hinsichtlich ihrer Größe unterscheiden mögen, so waren sie doch im Vergleich zu den meisten Unternehmen aus anderen Branchen, die bisher im Blickpunkt der Forschung standen, klein. Aber gerade dieser Umstand, so Schneider, trage zur Beantwortung der Frage bei, ob sich möglicherweise die Ziele und Strategien solcher kleiner Unternehmen von denen größerer unterschieden. War etwa gegenüber den sich seit 1933 massiv veränderten makroökonomischen Rahmenbedingungen die Flexibilität erst genannter Betriebe ausgeprägter? Schneider berücksichtigt zudem bei der Auswahl seiner Unternehmen nicht nur, wie bereits bei Gehrig zu sehen, den regionalen Aspekt, um die, wie sich dann zeigt, allerdings nicht vorhandene, mögliche Bedeutung regionaler Netzwerke zu identifizieren. Er versucht außerdem - und das ist ein Unterschied zu Gehrig - Firmen zu vergleichen, die ähnliche Produkte des Maschinebaus herstellten bzw. eine Schnittmenge an ähnlichen Produkten hatten. Es handelt sich dabei um die Wanderer-Werke AG in Chemnitz, die Schreib- und Rechenmaschinen, Fräsmaschinen, Fahrräder und während des Krieges Lochkartenmaschinen herstellte, um die Maschinenfabrik Kappel GmbH/AG, ebenfalls aus Chemnitz und ein Produzent von Schreibmaschinen und Drehbänken, und schließlich als drittes Chemnitzer Unternehmen die Astrawerke AG, die sich ausschließlich auf Rechenmaschinen spezialisiert hatte. Gegliedert ist die Studie nach chronologischen Gesichtspunkten (Friedenszeit, erste und zweite Kriegsphase), in denen die einzelnen Firmen jeweils betrachtet werden.
Bei der Analyse der Handlungsspielräume geht Schneider insbesondere der Frage nach, in welchem Maß sich die untersuchten Maschinenbauer den vom NS-Regime gesetzten makroökonomischen Anreizen anpassten. An dieser Stelle weist er mit Recht darauf hin, dass Unternehmen zu allen Zeiten auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren mussten und müssen. In diesem Zusammenhang stellt er zudem die Frage, ob eine derartige Anpassung lediglich durch die vom NS-Regime geschaffenen Vorgaben bestimmt war, oder ob etwa in derartige Entscheidungen auch Erwartungen über eine, wie auch immer geartete Normalisierung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen eingeflossen sind, wie etwa hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der der staatlich induzierten Nachfrage.
Wenn auch bei der Wanderer-Werke AG, demjenigen der drei untersuchten Unternehmen, dessen Quellenüberlieferung am besten ist, die Rentabilität ein entscheidendes Kriterium unternehmerischer Entscheidungen blieb, so legte diese Firma jedoch den Schwerpunkt in der Friedenszeit nach wie vor auf die Herstellung ziviler Güter, also solcher wie Büromaschinen, die anders als Werkzeugmaschinen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Rüstungskonjunktur standen. Das war kein Widerspruch, obwohl Mitte der 1930er-Jahre die Rentabilität der Werkzeugmaschinensparte deutlich höher war als die der Büromaschinensparte. Vielmehr ging Wanderer während der gesamten NS-Zeit, und im Übrigen ebenso wie die anderen betrachteten Unternehmen, davon aus, dass die durch die staatliche Wirtschaftspolitik geschaffenen Sonderbedingungen nur einen vorübergehenden Zustand darstellen würden und daher eine baldige Rückkehr zu "normalen Zeiten" über kurz oder lang zu erwarten wäre. Dementsprechend führte etwa Wanderer die massiv gestiegene Inlandsnachfrage nach Werkzeugmaschinen auf den abnormalen Bedarf, hervorgerufen durch die Sonderkonjunktur der Aufrüstung, zurück und versuchte Jahr für Jahr diesen Sondereffekt herauszurechnen. Aus dem gleichen Grund, also der erwarteten "Normalisierung", blieb das Exportgeschäft für das Unternehmen wichtig. Die Aufrechterhaltung eines relativ hohen Exportvolumens wurde zudem dadurch begünstigt, dass auch die staatlichen Lenkungsinstitutionen an einer starken Ausfuhr aufgrund des Devisenbedarfs des Reiches interessiert waren, es also zu einer Interessenidentität zwischen Staat und Privatwirtschaft kam. Diese Befunde von Schneider entsprechen damit den Beobachtungen aus anderen Untersuchungen zu Unternehmen des Maschinenbaus, aber auch solchen aus weiteren Branchen, wie den Herstellern von Chemiefasern oder Firmen aus dem Leichtmetallsektor. [3]
Schneider zeigt weiterhin, dass sich zwar die unternehmerischen Spielräume der betrachteten Maschinenbauer während des Krieges gegenüber der Friedenszeit verengten, diese jedoch keineswegs vollkommen aufgehoben wurden, sondern lediglich in manchen Bereichen, wie im Fall der Planungshoheit in der Büromaschinenproduktion bei Wanderer vorübergehend suspendiert waren. Eine langfristige Strategieplanung und die partielle Verfolgung sowie die Durchsetzung eigener Interessen waren aber auch in dieser Zeit noch möglich. Insgesamt stellt Schneiders Werk einen wichtigen Beitrag zu unserer Kenntnis der Vorgänge in dem für die wirtschaftspolitischen Ziele des NS-Regimes so zentralen Maschinenbau dar. Die Studie weist in einer analytisch klaren, auf gründlichen Archivrecherchen basierenden Art und Weise nach, dass während der gesamten Dauer der NS-Diktatur unternehmerische Spielräume auch für vergleichsweise kleine Unternehmen aus einer strategisch wichtigen Branche vorhanden waren, mithin keineswegs von einer Kommandowirtschaft die Rede sein kann.
Anmerkungen:
[1] C. Buchheim: Unternehmen in Deutschland und NS-Regime: Versuch einer Synthese, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), 351-390.
[2] A. Gehrig: Nationalsozialistische Rüstungspolitik und unternehmerischer Entscheidungsspielraum. Vergleichende Fallstudien zur württembergischen Maschinenbauindustrie, München 1996.
[3] J. Scherner: Zwischen Staat und Markt. Die deutsche halbsynthetische Chemiefaserindustrie in den 1930er Jahren. in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), 427-448; J. Scherner: Das Verhältnis zwischen NS-Regime und Industrieunternehmen - Zwang oder Kooperation?, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. Journal of Business History, Heft 2 (2006), 166-190.
Jonas Scherner