Barbara Wolbring: Neuere Geschichte studieren, Stuttgart: UTB 2006, 270 S., ISBN 978-3-8252-2834-7, EUR 17,90
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Die geschichtswissenschaftliche Lehre befindet sich seit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge in einer Phase des Umbruchs. Ein unübersichtliches Angebot an Studiengängen und -abschlüssen sowie unklare Berufsperspektiven bieten Verlagen eine willkommene Gelegenheit, der allerorten vorhandenen Verunsicherung mit Ratgebern und Grundlagenliteratur zu begegnen. Die UTB-Verlagsgruppe wirft nun nach dem "Kursbuch Geschichte" und "Geschichte online" gleich vier weitere Einführungen in das Geschichtsstudium auf den Markt. So genannte "basics"-Lehrbücher zur Alten, Mittelalterlichen, Frühneuzeitlichen und Neueren Geschichte sollen zukünftigen Generationen von Studierenden das wesentliche Handwerkszeug für ein erfolgreiches Geschichtsstudium zur Verfügung stellen. Der Zeitpunkt für derartige Einführungen ist allerdings ungünstig, denn die Bände sollen Orientierung schaffen in einer Studienlandschaft, in der die Auswirkungen der miteinander konkurrierenden neuen Studiengänge auf die universitäre Lehre wenn überhaupt erst in Ansätzen erkennbar sind. Und sie sollen dies offensichtlich mit einem deutlichen Akzent auf den spezifischen Problemen und Bedingungen der jeweiligen Epoche tun: "Neuere Geschichte studieren" lautet der Titel des hier zu besprechenden Buches der Frankfurter Historikerin Barbara Wolbring. Um die Tauglichkeit dieses "basics"-Lehrbuchs an den praktischen Erfordernissen universitärer Lehre zu erproben, wurde "Neuere Geschichte studieren" im Frühjahrssemester 2007 an der Universität Mannheim zur Vorbereitung einzelner Sitzungen in einem tutorenbegleiteten und überwiegend von BA-Studierenden besuchten Proseminar herangezogen. Insgesamt wurde die Nützlichkeit der Einführung für das Studium von den Seminarteilnehmern auf einer Notenskala von 1 bis 6 im Durchschnitt mit einer 2 bewertet. Dennoch wird dieser Band dem doppelten Anspruch einer spezifischen Einführung in die Neuere Geschichte wie auch der Berücksichtigung einer sich verändernden Studienlandschaft nur unzureichend gerecht.
Überzeugt hat vor allem der Aufbau von Wolbrings Band: Studienanfänger werden beim Abitur "abgeholt" und in sechs Kapiteln zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten im Studium angeleitet. Detailliert und teilweise mit ausgeprägt erzieherischem Auftrag werden Grundlagen und Arbeitstechniken des Geschichtsstudiums vermittelt. Das erste Kapitel behandelt Allgemeines zu Universität, Studienorganisation und -voraussetzungen bis hin zu Perspektiven des Geschichtsstudiums für die spätere Berufswahl. Das zweite Kapitel problematisiert "Geschichte" als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung, gefolgt von dem mit Abstand ausführlichsten dritten Kapitel, das Aspekte der Quellenkunde thematisiert. Auf die Quellen folgen die verschiedenen wissenschaftlichen Darstellungsformen vergangener Wirklichkeit. Vorgestellt und selektiv kommentiert werden die wichtigsten geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften, Handbücher, Nachschlagewerke und Rezensionsorgane. Die Unterkapitel zum systematischen Bibliografieren und zur Methode wissenschaftlichen Lesens seien jedem Studienanfänger ans Herz gelegt. Ausdrückliches Lob der Seminarteilnehmer erhielten die kompetenten Ausführungen über die Chancen und Risiken des Internets für die geschichtswissenschaftliche Forschung im fünften Kapitel. Neben der nur zu unterstreichenden Warnung vor Wikipedia finden sich nützliche Kriterien zur Qualifikation von Webseiten sowie kurze Beschreibungen der wichtigsten historischen Datenbanken und Informationsportale. Ein abschließendes Kapitel widmet sich den verschiedenen Formen selbstständigen wissenschaftlichen Arbeitens im Studium. In sämtlichen Kapiteln finden sich auflockernde Visualisierungen sowie Zusammenfassungen wichtiger Inhalte in farblich abgesetzten Info-Boxen, die sich als hilfreich für die Aufbereitung und Wiederholung des behandelten Stoffes im Seminar erwiesen.
Doch stehen der Nützlichkeit der von Barbara Wolbring vermittelten propädeutischen Grundlagen diverse Unzulänglichkeiten entgegen. Fast in jedem Kapitel finden sich Ungenauigkeiten und Oberflächlichkeiten, welche in der Summe die Brauchbarkeit des Buches als Studienbegleiter entscheidend mindern. Wer Studienanfängern die Empfehlung gibt, auf die jeweils neueste Auflage eines Buches zu achten (154), sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen (175, 257: Schulze; 185: Kürschner, Vademekum). Bei der Quellenkunde, die Urkunden vier mal so viel Platz gewährt wie der Oral History, hätte man sich eine stärkere Fokussierung auf die relevanten Quellengattungen des 19. und 20. Jahrhunderts gewünscht. Eine über mehrere Seiten unternommene Kategorisierung von Quellen in Tradition und Überrest bzw. Primär- und Sekundärquellen wurde im Seminar als für das 19. und 20. Jahrhundert weitgehend irrelevant empfunden.
Einige der diskutierten Themen und Beispiele sind auch dann noch unbefriedigend, wenn man die dem Band auferlegte Notwendigkeit zu Selektion und Verknappung zugute hält. Die These vom deutschen Sonderweg als Abweichung "von der 'normalen' Entwicklung der europäischen Nationalstaaten" (159) zu bezeichnen, ist in dieser Pauschalität zumindest irreführend, und der Gegenstand von Kulturgeschichte beschränkt sich eben nicht nur auf die von Wolbring herausgehobenen "Denkstrukturen, Lebensauffassungen und Mentalitäten" (75). Die epistemologische Fundamentalkritik des "linguistic turn" wird hingegen nur kurz gestreift und auf die Problematik der Narrativität verkürzt. Eine Problematisierung der sprachlichen Bedingtheit historischer Erkenntnis sucht man vergebens. Im wenig nützlichen Glossar, das laut Buchrücken "wichtige Fachbegriffe" erläutern soll, findet man zwar "Pop-Up", "Spektabilis" und "Magnifizenz", aber keinen Eintrag zu "Diskurs" oder "Gender".
Das Kapitel über den Gegenstand von "Geschichte" stiftet mehr Verwirrung denn produktive Verunsicherung. In gut eurozentrischer Tradition wird der Beginn von "Geschichte" mit dem Einsetzen einer schriftlichen Überlieferung im antiken Griechenland angesetzt (43) - dass diese enge Assoziation von Geschichte und Schriftlichkeit bis vor wenigen Jahrzehnten auch dazu diente, außereuropäischen Gesellschaften Historizität, Entwicklung und Kultur abzusprechen, müssen Studienanfänger anscheinend nicht unbedingt wissen. Problematisch sind Wolbrings Versuche, Geschichte über die "Verbindung zur Gegenwart durch Tradition" (47) zu definieren - hier hat die Nationalismusforschung des letzten Vierteljahrhunderts den Konstruktcharakter vermeintlich traditioneller Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit überzeugend herausgearbeitet.
Am schwersten wiegt jedoch die Tatsache, dass in einem Buch, das dezidiert als Anleitung zum Studium der "Neueren Geschichte" angeboten wird, keinerlei Ausführungen über Ort, Charakter und Grundzüge der Neueren Geschichte zu finden sind. Scheinbar selbstverständlich fand sie im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts statt. Nicht nur sind nahezu alle Beispiele des Buches der deutschen Geschichte entlehnt, auch die Auswahl der Datenbanken und geschichtswissenschaftlichen Organe bleibt auf Deutschland - mit wenigen europäischen Ausnahmen - beschränkt. In didaktischer Hinsicht mag einiges für einen starken Fokus auf bekannte Beispiele aus der Nationalgeschichte sprechen. Als Einführung in ein Teilfach, das gegenwärtig einer doppelten Internationalisierung - als Studiengang durch den Bologna-Prozess, in der Forschung durch die Ergänzung, Erweiterung und Überwindung nationalgeschichtlicher Perspektiven - unterliegt, erscheint Barbara Wolbrings Verständnis von Neuerer Geschichte gleichwohl als allzu konventionell.
Der Hauptkritikpunkt der Studierenden war allerdings ein anderer: Sie störten sich vor allem am Preis. Für 17,90 Euro wollte sich keiner das Buch selbst anschaffen. Trotz manch nützlicher Handreichungen und Tipps ist dies auch nur bedingt zu empfehlen.
Bernhard Gißibl / Eva Maria Verst