Rezension über:

Monika Wienfort: Der Adel in der Moderne (= Grundkurs Neue Geschichte), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 192 S., ISBN 978-3-8252-2857-6, EUR 14,90
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Rezension von:
Walter Demel
Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Walter Demel: Rezension von: Monika Wienfort: Der Adel in der Moderne, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/07/12005.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Einführungsliteratur" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 7/8

Monika Wienfort: Der Adel in der Moderne

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Bis vor dreißig Jahren hat sich - von Ausnahmen wie Heinz Gollwitzer mit seinen "Standesherren" abgesehen - kein deutscher Forscher mit dem Adel des 19./20. Jahrhunderts beschäftigt. [1] Das hat sich, wie die Bibliografie der Verfasserin beweist, seitdem gründlich geändert. Höchste Zeit also, die neuen Forschungsergebnisse in einer komprimierten, gut lesbaren Darstellung zusammen zu fassen. Monika Wienfort hat sich dabei auf den deutschen Adel konzentriert, aber durchaus des Öfteren treffende Vergleiche zu anderen europäischen Adelsgesellschaften eingebaut. Vereinzelt fügt sie sogar Resultate eigener Quellenarbeit hinzu.

Am Beginn des kleinen Buches steht eine Einleitung, welche die Perspektiven der Adelsgeschichte im Allgemeinen wie der folgenden Kapiteln im Besonderen skizziert und reflektiert und dabei der Frage nach dem demografischen Gewicht und der Homogenität bzw. Heterogenität des deutschen Adels (Adelslandschaften, Adelstypen, Vermögensunterschiede) nachgeht. Dem anschließenden Darstellungsteil folgen noch ein kleiner Abschnitt mit fünf geschickt ausgewählten Quellenauszügen, eine knappe Zeittafel, die Anmerkungen und eine immerhin elfeinhalbseitige, mit viel Sachverstand zusammen gestellte Bibliografie.

Der eigentliche Darstellungsteil beginnt mit einem Kapitel über "Adelspolitik und 'Adelspolitiker'". In chronologischer Folge vom Zeitalter der Säkularisation und Mediatisierung bis zur Bundesrepublik voran schreitend, wird in sachlichen, überzeugenden Worten skizziert, wie und in welcher Intensität sich Adelige den jeweiligen politischen Richtungen zuordneten, und was sie umgekehrt von deren Politik erwarteten bzw. erlebten. Der zweite Teil widmet sich "Grundbesitz und Vermögen". Auch hier weiß die Verfasserin Substantielles zu sagen. Doch an einigen Stellen vermisse ich weiter gehende Differenzierungen - etwa angesichts der fehlenden Unterscheidung zwischen (zum Teil verpachtetem) Volleigentum einerseits und Obereigentum (im Rahmen der Rechtsfigur des "geteilten Eigentums") andererseits (62), mit Blick auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen bäuerlichen Dienst- und Abgabenverpflichtungen (63), oder bei ihrer Formulierung: "Die Ablösungsbestimmungen sahen für die Grund- und Gutsherren großzügig bemessene Entschädigungen vor" (68).

Kapitel drei untersucht "standesgemäße Karrieren: Militär, Verwaltung, Diplomatischer Dienst". Dieser Abschnitt wirkt teilweise - wie auch vereinzelt andere Stellen - ein wenig "preußenlastig". Außer über die Rolle von Adeligen in der Justiz und auf den unteren Verwaltungsebenen auch nichtpreußischer Staaten würde man gerne etwas über "unstandesgemäße Karrieren" bis hin zum Adelsverlust erfahren. Doch kann man einer Überblicksdarstellung höchstens vorwerfen, diese Punkte kaum angesprochen zu haben. Manche Aspekte des Themas sind eben, wie Monika Wienfort ansonsten des Öfteren zu Recht betont, einfach so gut wie noch nicht erforscht. Besonders gelungen scheint mir das folgende Kapitel über "Ehe und Familie, Erziehung und Ausbildung". Die Beispiele, welche die Verfasserin hier bietet, sind durchgehend als höchst anschaulich zu bezeichnen. Offenbar schöpft sie gerade hier aus einem reichen Fundus an Kenntnissen.

Der letzte Abschnitt des Hauptteils zielt auf "Selbstverständnis, Selbststilisierung und Adelskultur". Abgesehen von einer etwas problematischen Formulierung - " bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts auch Österreich-Ungarn" (das unter dieser Bezeichnung doch erst seit 1867 existierte) - und der Verwendung des Begriffs "Weimarer Musenhof" (ebenfalls 135; man vergleiche dazu den von Joachim Berger herausgegebenen Sammelband [2]) besticht auch dieser Teil durch seine klaren Aussagen und seine treffsichere Auswahl der Beispiele. Ein wenig zu knapp erscheint mir lediglich der Verweis auf den "'Europa-Diskurs' einiger katholischer Adeliger wie Karl Rohan und Coudenhove-Calergi" (153), bei dem es sich freilich nicht um ein spezifisch deutsches Phänomen handelte.

Das nicht sonderlich umfangreiche Schlusskapitel (159-164) wendet sich dann noch einmal der Forschungsgeschichte, vor allem aber der Frage zu, welche Rolle der deutsche Adel - oder jedenfalls bestimmte Teile davon - in der heutigen Bundesrepublik Deutschland spielen. Monika Wienfort hebt hier besonders auf das generationsübergreifende Denken und die wirtschaftliche Bedeutung einiger süddeutscher Hochadelsfamilien ab, und dies mit Hilfe eindrucksvoller Angaben zu deren Vermögensbestandteilen und Beschäftigtenzahlen. Überhaupt gehören die zahlreichen, teilweise auch in Tabellenform dargebotenen statistischen Angaben meines Erachtens zu den größten Stärken des Buches. Darüber hinaus dürften die durch Kästchen abgesetzten Erläuterungen zentraler Begriffe (Junker, Primogenitur, Majorat, Grundherrschaft, Nobilitierung und ähnliches) insbesondere für Studierende nützlich sein. So ist insgesamt eine flüssig, konzise und hochkompetent verfasste Darstellung eines wichtigen Gegenstands des neueren Forschung entstanden.


Anmerkungen:

[1] Heinz Gollwitzer: Die Standesherren : die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 - 1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, Stuttgart 1957.

[2] Joachim Berger (Hg.): "Der 'Musenhof' Anna Amalias", Köln / Weimar / Wien 2001.

Walter Demel