Rezension über:

Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionen der Forschung., München: Wilhelm Fink 2006, 640 S., ISBN 978-3-7705-4282-6, EUR 49,90
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Rezension von:
Knut Görich
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Knut Görich: Rezension von: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionen der Forschung., München: Wilhelm Fink 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/10696.html


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Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung?

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Der vorliegende Band versammelt die Beiträge eines internationalen und interdisziplinären Symposiums, das im Herbst 2004 der Vorbereitung der Ausstellung diente, die von Juli bis November 2006 unter dem Titel "Canossa 1077 - Erschütterung der Welt" das Panorama der spätsalischen Zeit entfaltete. Das knappe Vorwort der Herausgeber begnügt sich mit der nicht übertrieben um problemorientierte Systematisierung bemühten Charakteristik dieser Jahre als "Zeit tief greifender Gegensätze und Umbrüche als auch bedeutender Reformen und Neuansätze" (9). Recht zufällig mutet denn auch das überaus breite Spektrum der Beiträge an, deren schiere Vielzahl und inhaltlich durchaus disparate Akzentsetzung den Versuch einer zusammenfassenden Problematisierung aussichtslos erscheinen lässt. Es bleibt ein Defilee unterschiedlich interessanter "Positionen der Forschung".

Hubertus Seibert: Kommunikation - Autorität - Recht - Lebensordnung. Das Papsttum und die monastisch-kanonikale Reformbewegung (1046-1124), (11-29), ist im Ergebnis sorgfältiger Differenzierung skeptisch gegenüber der häufig anzutreffenden Annahme einer breit angelegten Instrumentalisierung der neuen religiösen Bewegungen durch das Papsttum. Uta-Renate Blumenthal: Gregor VII. und die christliche Hierarchie (31-45), sammelt durch Untersuchung der Beziehungen Gregors VII. zu einzelnen Kanonikern und Kanonikerstiften weitere Indizien für ihre These, der Papst selbst sei Kanoniker gewesen. Hubert Houben: Die Normannen und das Papsttum (47-53), skizziert die gegenseitigen Beziehungen bis zum Vertrag von Benevent 1156 und sieht die Normannen als zwar oft unbequemen, aber doch nützlichen Alliierten des Papsttums. Der Überblick von Tilmann Struve: Heinrich IV. - Herrscher im Konflikt (55-70) mündet in die Charakterisierung des Saliers als "Wegbereiter staatlicher Souveränität" (70). Franz-Reiner Erkens: Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit (71-101) will das Schlagwort von der "Wende von Canossa" nur eingeschränkt verwendet wissen, da die Vorstellung von der Sakralität des Königs ungebrochen lebendig geblieben, freilich der Konsens darüber zerbrochen sei. Bernd Schneidmüller: Canossa und der harte Tod der Helden (103-131) versammelt die von parteiischen Historiographen als Spiegel des Lebens gedeuteten Todesszenen der fürstlichen Kontrahenten. Johannes Laudage: Nochmals: Wie kam es zum Investiturstreit? (133-150), plädiert in Fortführung seiner älteren Kontroverse mit Rudolf Schieffer und in Anknüpfung an Arnulf von Mailand für ein Investiturverbot bereits 1075, warnt freilich vor dessen Überschätzung. Oliver Münsch: Fortschritt oder Propaganda? Die Publizistik des Investiturstreits zwischen Tradition und Innovation (151-167), problematisiert die Funktion der Streitschriften, unbegreiflicherweise ohne Bezugnahme auf die zu diesem Thema von Monika Suchan [1] vorgetragenen Thesen. Philippe Depreux: Investitura per anulum et baculum. Ring und Stab als Zeichen der Investitur bis zum Investiturstreit (169-195), problematisiert die Wahrnehmung der beiden Symbole unter dem Eindruck der Gregorianischen Reform. Hans-Werner Goetz: Geschichtsbewusstsein und Frühscholastik in der spätsalischen und frühstaufischen Weltchronistik (197-218), sieht die hinter der Historiographie der Zeit stehenden, methodischen Erwägungen von der wissenschaftlichen Entwicklung ihrer Zeit beeinflusst. Anne Baud: Cluny. La Maior Ecclesia - 1088 (?) - 1130. Expression monumentale de l'ecclesia cluniacensis (219-230), sieht das cluniazensische Selbstverständnis in der Architektur von Cluny III. gespiegelt. Giles Constable: Cluniac Reform in the Eleventh Century (231-246), diskutiert Veränderungen in Cluny im 11. und 12. Jahrhundert mit Blick auf die Berechtigung des Begriffs Reform. Franz Neiske: Zwischen pusillus grex und ordo cluniacensis. Umbruch und Kontinuität im cluniacensischen Klosterverband (247-273), betrachtet mit forschungsgeschichtlich geschärftem Blick die Wechselbeziehungen zwischen der ecclesia cluniacensis und der durch Reform gestärkten Papstkirche. Steffen Patzold: Monastische Konflikte als geregelte Spiele? Umbruch und Erneuerung in den Klöstern des Reiches im 11. und frühen 12. Jahrhundert (275-291), will Konfliktlösungen in St. Laurent, St. Trond und St. Hubert nicht nur ungeschriebenen Normen verpflichtet wissen, sondern einer komplizierten Gemengelage aus politischen und monastischen Vorstellungen. Sascha Käuper: Verdun, Konstanz und Augsburg. Äbte und Bischöfe im sogenannten Investiturstreit (293-319), verfolgt die gegen den Bischof durchgesetzte Parteinahme der drei städtischen Benediktinerklöster für den Papst, erklärt sie aber überzeugend nicht als Konsequenz hirsauischer Observanz, sondern als Konsequenz von jeweiligen Gegensätzen zwischen Abt und Bischof. Elke Goez: Mathilde von Canossa - Herrschaft zwischen Tradition und Neubeginn (321-339), sieht in ihrer Untersuchung einzelner Elemente der Herrschaftspraxis die Markgräfin als pragmatische Machtpolitikerin. Thomas Zotz: Die Situation des Adels im 11. und frühen 12. Jahrhundert (341-355), verfolgt Wandel und Kontinuität im Verhältnis zwischen Adel und Königtum, Kirche und Reform. Matthias Becher: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte? (357-378), sieht die Ursache des Konflikts jenseits aller Spekulationen der Forschung um sächsische Freiheit in den personellen Konstellationen während der Minderjährigkeit des Königs und betont damit letztlich die Analogie zu den Konflikten in der Frühzeit Ottos I. Horst Wolfgang Böhme: Burgen der Salierzeit. Von den Anfängen adligen Burgenbaus bis ins 11./12. Jahrhundert (379-401), datiert die Genese der Wohnburg bereits in das 10. Jahrhundert und behält der salischen Zeit die Neuanlage vieler Burgen und deren Monumentalisierung vor. Stefan Weinfurter: Heinrich IV. und die Bischöfe im Jahre 1076: "Unheilige Neuerungen" und "neue Religion" (403-416), betont den "Zug zur Hierarchisierung der Bischofsgewalt und ihrer festen kirchenrechtlichen und machtpolitischen Verankerung" (415), aber auch ihre pastorale Strenge als bereits vor Worms einsetzende Entwicklung. Thomas Vogtherr: Handlungsspielräume bischöflicher Parteinahme in Westfalen während des Investiturstreits (417-425), sieht die Bischöfe vor allem in die "politischen Frontstellungen" (424) ihrer Stiftsgebiete und Diözesen einbezogen, in denen dem regionalen Adel und dem Domkapitel besonderes Gewicht zukam. Frank G. Hirschmann: Die Bischofssitze um 1100 - Bautätigkeit, Reform und Fürsorge vor dem Hintergrund des Investiturstreites (427-452), registriert unter den zahlenmäßig eher wenigen Neubauten in den 40 Bischofssitzen aber auch Neuerungen im geistlichen, institutionellen und technischen Bereich, für die der Investiturstreit immerhin als "Impulsgeber" gewirkt haben könnte. Gerhard Weilandt: Krise des Königshofes - Krise der Kunst? Zum Einfluss gesellschaftlicher Kräfte auf die künstlerischen Traditionen im späten 11. Jahrhundert (453-467), plädiert in Abgrenzung von dem üblichen kunsthistorischen Epochenbegriff "ottonische Kunst" für Differenzierung zwischen "ottonisch-frühsalischer Kunst" und der Epoche der späten Salier als "beginnende Romanik" (452) und fragt nach dem Verhältnis zwischen künstlerischem Austausch und herrscherlichem Auftrag. Lutz E. von Padberg fasst den "Abschluss der Missionsphase in Skandinavien durch die Errichtung der Kirchenprovinzen im 12. Jahrhundert" (469-485) im Überblick zusammen und akzentuiert die Nachteile dieser Entwicklung für das Erzbistum Hamburg-Bremen. Torsten Capelle illustriert "Das heidnisch-christliche Spannungsfeld im Norden" (487-497) anhand von Bilddenkmälern und archäologischen Funden. Gerhard Dilcher: Die deutsche Bischofsstadt zwischen Umbruch und Erneuerung. Stadtherrliche Rechtspositionen und bürgerliche Emanzipation im Gefolge des Investiturstreits (499-510), erkennt als Motor der in Gang gekommenen Veränderungen "die Entwicklung der ursprünglich hofrechtlich organisierten Bevölkerungsgruppen zu einer auf Handel und Gewerbe gegründeten Bürgerschaft" (509). Peter Johanek: Frühe Zentren - werdende Städte (511-538), modifiziert in ausdrücklich forschungsgeschichtlicher Perspektive die älteren Vorstellungen von der Vernachlässigung der Herrschaftskräfte bei der Städtegründung und dem krassen Entwicklungsunterschied in der Zentrenbildung in Ost und West. Gabriele Isenberg: Aus der Domburg heraus: Der Aufbruch ins Umland - Gestaltungsmöglichkeiten und Kollisionsgefahren auf dem Weg zur mittelalterlichen Stadt (539-546), präsentiert Ergebnisse der Stadtarchäologie von Minden und Münster. Wolfgang Schlüter: Die Entwicklung westfälischer Bischofsstädte während des hohen Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung Osnabrücks (547-593), verfolgt Gemeinsamkeiten im Urbanisierungsprozess unter Berücksichtigung auch von Paderborn, Münster und Minden. Claudia Zey: Im Zentrum des Streits. Mailand und die oberitalienischen Kommunen zwischen regnum und sacerdotium (595-611), konfrontiert den durch Legatentätigkeit und Förderung des städtischen Kultes geprägten Bedeutungsgewinn des Papsttums für Mailand mit dem Autoritätsverlust des salischen Königtums, der durch einseitige Eingriffe in die Mailänder Bischofswahlen und den Abfall des Königssohnes Konrad von Heinrich IV. verursacht wurde.

Getrost als ärgerlich darf man bezeichnen, dass die für das Verständnis der Herrscherbilder aus salischer Zeit wegweisende Arbeit von Ludger Körntgen [2] in mehreren, für das Thema eigentlich einschlägigen Beiträgen nicht zur Kenntnis genommen wurde, so dass ältere Forschungsmeinungen ohne Hinweis auf die erforderliche Revision in einem Band mitgeschleppt werden, der auf vielen Feldern die Neuorientierung der Forschungen zur Salierzeit markiert.


Anmerkungen:

[1] Monika Suchan: Königsherrschaft im Streit. Konfliktaustragung in der Regierungszeit Heinrichs IV. zwischen Gewalt, Gespräch und Schriftlichkeit, in: Monographien zur Geschichte des Mittelalters 42, Stuttgart 1997.

[2] Ludger Körntgen: Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit, in: Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Band 2, Berlin 2001.

Knut Görich