Rezension über:

Sebastian Ristow: Frühes Christentum im Rheinland. Die Zeugnisse der archäologischen und historischen Quellen an Rhein, Maas und Mosel, Münster: Aschendorff 2007, XI + 450 S., 88 Tafeln, ISBN 978-3-402-08121-1, EUR 49,00
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Rezension von:
Georg-D. Schaaf
Christlich-Archäologisches Seminar am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Georg-D. Schaaf: Rezension von: Sebastian Ristow: Frühes Christentum im Rheinland. Die Zeugnisse der archäologischen und historischen Quellen an Rhein, Maas und Mosel, Münster: Aschendorff 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12791.html


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Sebastian Ristow: Frühes Christentum im Rheinland

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Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten der Christianisierung des Gebietes um Rhein, Maas und Mosel gewidmet. Das Erscheinen des hier anzuzeigenden Buches steht in engem Zusammenhang mit der Ausstellung "Von den Göttern zu Gott: frühes Christentum im Rheinland", die bis April 2007 in Bonn zu sehen war und an deren Konzeption Ristow maßgeblichen Anteil hatte. An Stelle eines Katalogs sollten die vorliegende Studie und ein Begleitführer treten. Während letzterer wie die Ausstellung das breite Spektrum religiöser Kulte ins Auge fasst, beschränkt sich die Studie auf die christlichen Zeugnisse. Neue Befunde aus mehreren Kirchengrabungen rechtfertigen diesen jüngsten Versuch einer Bestandsaufnahme.

Die aktuelle Forschung zeichnet ein deutlich nüchterneres Bild von den Möglichkeiten, die Anfänge des Christentums und dessen Rolle als Kontinuitätsträger im Übergang zum Frühmittelalter archäologisch nachzuweisen, als es bisher Geltung hatte. Nur in einem einzelnen Fall lässt sich eine seit dem 4. Jahrhundert bestehende Kultkontinuität belegen (Trier, Dombezirk). Ansonsten ist Kirchenbau in der Region erst ab dem 6. Jahrhundert greifbar (Trier, St. Maximin; Köln, Dom; Boppard, St. Severus). Ältere Architekturreste unter mittelalterlichen Sakralbauten erweisen sich oft als - möglicherweise christliche - coemeteria subteglata oder als Sondergrablegen hochrangiger Personen ohne erkennbare Anzeichen christlichen Bekenntnisses. Als solche können weder die Ausrichtung der Bestatteten noch das Fehlen von Beigaben gewertet werden, sondern allein die Nähe zu Heiligengräbern und Kirchen sowie Inschriften und Beigaben mit spezifischen Symbolen oder Bilddarstellungen.

Auf diesen Ergebnissen aufbauend, an denen auch Ristow mehrfach Anteil hat - genannt sei die Monographie "Die frühen Kirchen unter dem Kölner Dom" von 2002 -, versucht der Verfasser eine kritische Sichtung der größtenteils schon lange bekannten archäologischen Zeugnisse des Rhein-Maas-Mosel-Raums. Seine Materialsammlung ist auf die vollständige Erfassung der relevanten Befunde aus Spätantike und Merowingerzeit angelegt. Die Katalogauswahl berücksichtigt publizierte Objekte, denen ein christlicher Bezug sicher oder mit gewisser Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden kann (1). Der Textteil beinhaltet eine Einleitung (1-56), eine detaillierte topographische Untersuchung der Fundplätze, ergänzt durch Karten, Pläne und Umzeichnungen (57-264), eine Untersuchung der Gräberfelder im ländlichen und suburbanen Raum (265-289) sowie eine Zusammenfassung, ein Summary und ein Résumé (291-302). Es folgen der Katalog mit 562 Einträgen und, mit einem hohen Farbanteil, 88 Bildtafeln von bestechender Aufnahme- und Druckqualität. Sechs thematische Karten im vorderen Vorsatz und zu Beginn des Tafelteils zeigen die Fundorte und die Siedlungsentwicklung in der Region. Ein Literaturverzeichnis und ein Register runden die Studie ab.

Eine Einführung in das Verhältnis des Christentums zu den nichtchristlichen Kulten unter römischer und fränkischer Herrschaft eröffnet das einleitende Kapitel (2-10). Gefordert sind demnach, angesichts des Fortbestehens paganer Kulte bis ins frühe Mittelalter, eindeutige Kriterien zur Deutung archäologischer Befunde und deren Zuordnung zu bestimmten religiösen Kontexten. Eingebettet in diese Ausführungen erläutert Ristow die verwendeten chronologischen und geographischen Begriffe und zeigt damit, im Vorgriff auf die folgenden Unterkapitel der Einleitung, den äußeren Rahmen seiner Untersuchung auf (4 f., 7). Nicht jeder Leser mag es für eine glückliche Wahl halten, wenn die eng an die Spätantike gebundene Bezeichnung "frühchristlich" auch für das frühe Mittelalter Anwendung findet (1, 8 und öfter). Die parataktische Anordnung der Begriffe Gallien und Germanien trifft nicht den richtigen Sachverhalt, da die provinciae Germania I und II Teil der dioecesis Gallia waren (5 und öfter).

Zu Recht dehnt Ristow sein Untersuchungsgebiet über die herkömmliche Umschreibung des Rheinlands aus und nimmt weitere wichtige Fundplätze auf (5, 10 f.). Den Kernraum um Mittel- und Niederrhein ergänzen der nördliche Bereich des Oberrheins, die Rheinmündung, das Maasgebiet, das Moseltal mit Trier und der Luxemburger Raum. Historisch gefasst liegen der Auswahl der größte Teil der Germania I und II und ein kleiner Bereich der Belgica I zugrunde. Mit einer naturräumlichen Charakterisierung der untersuchten Region leitet Ristow über zu einer Schilderung der Entwicklung von wirtschaftlicher Nutzung und Besiedlung der ländlichen Gebiete (11-14). Der zeitliche Rahmen überspannt vier Jahrhunderte, beginnend um 300 über den Zusammenbruch der römischen Herrschaft kurz nach der Mitte des 5. Jahrhunderts bis zum Ende der Selbständigkeit des rheinfränkischen Gebietes im ausgehenden 7. Jahrhundert (14-25). Ristow widmet den größten Teil seiner Einleitung der Forschungsgeschichte, in der anschaulich die Problemstellung, die Quellensituation, die relevanten Befundgruppen und methodische Fragen zur Sprache kommen (25-56).

Die topographische Befundbeschreibung im zweiten Kapitel des Buches erschließt die zahlreichen Fundorte jeweils flussaufwärts entlang von Maas, Rhein und Mosel. An den Anfang eines Ortslemmas stellt Ristow, wenn bekannt, die schriftlichen Belege zu kirchenhistorischen Ereignissen, Sakralbauten und Bischofsnamen. Die archäologischen Zeugnisse werden kurz im Fundkontext vorgestellt, datiert und interpretiert, soweit die Publikationslage das zulässt. Zahlreiche Lagepläne, Grundrisse und Umzeichnungen im Text dienen der Veranschaulichung. Bei mehreren Grundrissen jedoch leidet die Lesbarkeit unter einer zu starken Verkleinerung (113 Abb. 25; 123 Abb. 32 und öfter). Manche Pläne lassen eine Legende vermissen (174 Abb. 52; 220 Abb. 71 und öfter). Eine in Wasserbillig gefundene Inschrift muss mit [D]OCEBO VOS wiedergegeben werden (216; richtig im Kat. 526, Taf. 51a,b).

Das dritte Kapitel ist zum einen den Gräberfeldern in den ländlichen Gebieten gewidmet. Die Funde deuten auf eine Christianisierung dieses Raums erst ab dem Ende des 6. Jahrhunderts hin (265-270). Untersucht werden ferner für den gesamten Raum die Grabsteine und Inschriften (270-274) sowie die hauptsächlich aus Gräbern stammenden Kleinfunde (274-289). Epigraphische Zeugnisse christlicher Bestattungen gibt es vor allem im städtischen Raum - selbst, wenn auch ungleich seltener, im 5. Jahrhundert. Beigaben dezidiert christlich-religiösen Charakters sind jedoch kaum belegt; oftmals erscheinen christliche Bildmotive und Symbole sinnentleert auf Gegenständen der Alltagskultur, als Rangabzeichen, Ehrengeschenke oder auf Amuletten.

Den Katalog zeichnet eine übersichtliche Gestaltung aus. Die Funde sind in alphabetischer Reihe nach Provenienz geordnet. Beschreibung und Deutung beschränkt Ristow auf das notwendige Maß. Bei zwei Lemmata ist der Verweis auf die Tafeln irrig: Kat. 250 muss zu Taf. 38c führen, Kat. 273 zu Taf. 37a. Umgekehrt gehört Taf. 8 zu Kat. 230. Verschiedene Lemmata haben keine Angabe des Verbleibs (Kat. 6, 41, 119 und öfter) oder nennen nur den Aufbewahrungsort eines Abgusses (Kat. 32-34). Gelegentlich fehlen auch die Hinweise auf Publikationen (Kat. 380, 388) und Abbildungen (Kat. 532, 536 und öfter).

Mit einem hohen Anspruch greift Ristow in die anhaltende Diskussion um die Anfänge des Christentums im Rheinland und die Rolle der frühen Kirche für die kulturelle und politische Entwicklung der Region ein. Trotz der großen Materialfülle gelingt es dem Verfasser, sein Anliegen auf das Ganze gesehen überzeugend und anschaulich umzusetzen und so tragfähige Erklärungsmodelle für die weitere Diskussion zu entwickeln. Das Buch erfüllt damit gleichermaßen die Aufgabe eines fundierten, vielseitigen Nachschlagewerks wie einer soliden Grundlage für die künftige Forschung.

Georg-D. Schaaf