Rezension über:

Kirk Varnedoe: Pictures of Nothing. Abstract Art since Pollock, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2006, XVII + 297 S., ISBN 978-0-691-12678-4, GBP 29,95
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Rezension von:
Regine Prange
Kunstgeschichtliches Institut, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Regine Prange: Rezension von: Kirk Varnedoe: Pictures of Nothing. Abstract Art since Pollock, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12883.html


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Kirk Varnedoe: Pictures of Nothing

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Varnedoe zeigt an zahlreichen Werkbeispielen die Aneignung und Transformation von Pollocks Erbe, das als Ausgangspunkt für eine antiidealistische, die europäische Tradition hinter sich lassende Abstraktion verstanden wird. Der Titel "Pictures of Nothing", mit Bezug auf eine zeitgenössische Äußerung zu Turners Werk gewählt, impliziert dabei nicht die Beschränkung auf das Medium Bild. Vielmehr stehen mit der minimalistischen und postminimalistischen Kunst ganz besonders auch Plastik und Installation im Zentrum. Auch zur popartistischen Verarbeitung der Abstraktion nimmt der Verfasser des Buches ausführlich Stellung.

Die Publikation hat Varnedoe selbst nicht mehr besorgen können. Zum Abdruck gelangte der von Audiokassetten transkribierte Text jener sechs A.W. Mellon Lectures, die er im Frühjahr 2003, wenige Monate vor seinem Tod, an der National Gallery of Art in Washington gehalten hat. Die Herausgeber waren bemüht - so Judy Metro - den persönlichen Duktus des Vortrags - "extempore and with vibrance" (XVII) - zu erhalten und dabei durch Straffungen und (wenige) Anmerkungen den Text dichter zu gestalten. Seinen dennoch notwendig unfertigen Charakter deutet Gopnik als eine durch die bittere Ironie des Schicksals herbeigeführte Einlösung von Varnedoes Streben nach einem offenen kommunikativen Prozess. Varnedoe selbst stellt ausdrücklich den Wert quellenkritisch distanzierter Herangehensweisen in Frage, wenn er sich zu seinem "Glauben" an die abstrakte Kunst bekennt (u. a. 272).

Prägnant erfasst Varnedoe Formcharaktere, markiert er künstlerische Intentionen, gruppiert, reiht und differenziert er die Phänomene, orientiert allerdings an jenem konventionellen, einst von Newman eingeführten Denkraster, das Europa und Amerika, quasi wie Antike und Moderne, einander gegenüberstellt, samt dem zugehörigen Fortschrittsgedanken. Varnedoe wendet sich gegen Barbara Roses Vorschlag, in Malewitsch und Duchamp die Ahnherren des Minimalismus anzuerkennen und folgt stattdessen dem 1970 formulierten Statement von Phil Leider, der Pollock zum Ausgangspunkt bestimmte und zwischen einer abstraktionistischen (Greenbergschen) und einer literalistischen, von Judd vertretenen Lesweise der Drip Bilder unterschied. Aus der entsprechenden Hierarchisierung von Abstraktion und Literalismus ergibt sich der Maßstab für die Sondierung des "Neuen". Kriterium für den avancierten Charakter eines Kunstwerks ist für Varnedoe der möglichst weit getriebene Sinnentzug, das methodische Ausweichen vor jeder Möglichkeit kognitiver Erfassung. Auf diese These verweist der Titel "Pictures of Nothing", deren Dimension jedoch nur deutlich wird in dem Zusatz des zitierten Turner-Kritikers "...and very like": Indem sie sich kognitiver Festlegungen entzieht, gewinnt die abstrakte Kunst, so der Grundgedanke des Buches, an repräsentativer Geltung. Varnedoe zielt mithin (leider) auf weit mehr als vergleichende, den Blick für die kanonischen Werke der Postmoderne schärfende Einzelbetrachtungen. Er sieht sein Projekt - auch eine Adaption der Europa-Amerika-Antithese - als Fortsetzung und Gegenentwurf zu Gombrichs Buch 'Art and Illusion', das bekanntlich aus dessen 1956 (in Pollocks Todesjahr!) gehaltenen A. W. Mellon Lectures hervorging. Gegen Gombrichs Abwertung der abstrakten Kunst wendet sich Varnedoe mit der Absicht, eine der illusionistischen Kunst gleichwertige "Logik" der Abstraktion herauszustellen, und eben diese meint er in der seit Pollock forcierten Anstrengung zu erkennen, referenzielle Bezüge auszuschließen. Gleichwohl soll, bei aller Negation des Sinns, eine repräsentative Macht der Kunst bewahrt bleiben. Die "Welthaltigkeit" der Abstraktion erklärt sich für Varnedoe schlicht durch das erweiterte, Intention und Konvention sprengende Assoziationsangebot an die Betrachter. Gombrich habe mit seinem programmatischen Vexierbild "Duckrabbit" die Aktivität des Sehvorganges zu Unrecht auf ein eindeutiges Resultat festgelegt.

Da sich Varnedoe nicht über die lange Tradition des ästhetischen Topos sinnverschleiernder Mehrdeutigkeit Rechenschaft ablegt, reflektiert er auch nicht, dass das Argument (von Gombrich wie von Kemp) sowohl für die Wirkungsweise des mimetischen Kunstbildes als auch für die postmoderne Kunst bemüht worden ist (z. B. von Thorsten Scheer). Eine umfassende Produktionsgeschichte des künstlerischen Sinnentzugs wäre, im kritischen Dialog mit Semiotik und Rezeptionsästhetik, noch zu schreiben. Varnedoe entfernt sich jedoch bewusst von einer solchen kritisch historischen Betrachtungsweise. Er folgt einem zyklischen Geschichtsverständnis, das die Autonomie der Kulturen vorsieht und damit zugleich ihre potenzielle Gleichheit behauptet. "Nach Pollock" meint nicht eine historische Entwicklung, sondern die systemische Struktur des Recycling, Ferment einer quasi in sich geschlossenen, von Amerika ausgehenden Bildkultur der Abstraktion, die sich, letztlich um gleichen Status zu beanspruchen, von der europäischen Kultur abhebt. So habe, um ein Beispiel zu nennen, Lichtenstein den falschen Anspruch von Vasarelys vorgeblich egalitärer Op-Art durchbrochen, indem er die wahrhaft demokratische Natur seiner geometrischen Muster in der Profilsohle eines Turnschuhs aufzeigte ('Keds', siehe 199).

Am Ende gelangt der Autor zu dem Resümee, dass "abstract art, and modern art in general, being based on subjective experience and open-ended interpretation, is not universal or the culminating of anything in history but the contingent phenomena of modern, secular, liberal society." (270) Nicht die Geschichte ist für Varnedoe also eine Universalie, sondern die (westliche) liberale Gesellschaft. Hatten marxistische Kritiker einst die künstlerische Kontingenzerzeugung auf Entfremdungsprozesse der kapitalistischen Ökonomie bezogen, feiert Varnedoe sie als Beleg für die Freiheit, als Ausweis für das Fehlen autoritärer Werte und Lehrmeinungen. Mit großer Verve, wenn auch ohne analytischen Aufwand, richtet er sich gegen den "leftist point of view" (u. a. 54), der Pollocks Malerei in ihrer Instrumentalisierung durch die Rhetorik des Kalten Kriegs wahrgenommen und die Minimal Art als technokratisch-korporative Kunst eingeschätzt hatte. Ihm geht es darum, den Blick wieder unverstellt durch Ideologiekritik auf das "essentiell Amerikanische" (z. B. 12) richten zu können, was bedeutet, sich mit der kunsthistorischen Botschaft der Rhetorik des Kalten Kriegs, dem Ideal des freien Individuums, voll und ganz zu identifizieren.

Mit der Anbindung des Minimalismus und des Postminimalismus an Pollocks Erbe ist nicht zuletzt der Versuch verbunden, die in den 1950er-Jahren ausgerufene spezifisch amerikanische, für die "freie Welt" verbindliche Liberalität des Abstrakten Expressionismus auch auf die nachfolgenden Kunstphänomene zu übertragen. Dass sich Judds literalistische, den Realraum aktivierende Auslegung von Pollocks Methode gegenüber der von Greenberg geförderten "malerischen" Variante durchsetzte, führt Varnedoe zu diesem Zweck auf die amerikanische Philosophie des Pragmatismus zurück, denn - so William James - "The pragmatist clings to facts and concreteness..." (101). Von hier aus scheint es auch nicht mehr weit zu Stellas Ausspruch "What you see is what you see".

Americaness bleibt durchweg Thema. Auch der von Rothko ausgehende, auf Entkörperung drängende "Westküsten-Minimalismus" (Irwin, Turrell), den Varnedoe vom literalistischen "Ostküsten-Minimalismus" unterscheidet, zumal er - vermeintlich konträr - die Illusion voraussetze ("what you see is not what you see"), sei durch und durch amerikanisch. Denn auch Turrell stelle die europäische Tradition der Geist-Körper-Trennung in Frage, ein Argument, das zuvor allerdings auf den Franzosen Merleau-Ponty zurückgeführt wurde (104). Die einschlägigen Aufsätze von Krauss bleiben ebenso unerwähnt wie die Arbeiten von Didi-Huberman zu dieser Thematik. Auch bleibt es ein offenes Problem, wie ein phänomenologischer Essenzialismus der sinnlich-intellektuellen Wahrnehmung gegen den Greenbergschen Essenzialismus der Kunst helfen soll. Dafür versammelt Varnedoe mal mehr mal weniger begründete Belege für die Ranggleichheit von minimalistischer Postmoderne und frühneuzeitlicher Kunst. So assoziiert Varnedoe die minimalistischen "Schulen" von New York und Los Angeles mit den Renaissance-Kulturen des plastisch-konkreten Florenz (für New York) und der Lichtmalerei Venedigs (für Los Angeles), um ihren nationalen Zusammenhalt zu bekräftigen. Triftiger wird dieser Vergleich mit der europäischen Klassik im Zusammenhang der Kommentierung des späten Minimalismus, dessen "expansive" Kraft die Potenzialität des reduktiven minimalistischen Formenvokabulars zur Entfaltung bringe. Varnedoes Beobachtungen - dass ein spätes Wandbild Sol Lewitts in seiner heraldischen Simplizität die humanistische Würde der Renaissance aufrufe (126), dass Judd mehr Schönheit zulasse als er intendiert habe (106) und Flavins spätere Lichtplastiken den auratischen Charakter des Meisterwerks wieder etablierten - sind durchaus nachvollziehbar und bedenkenswert. Ob sich in der "imperialen" Geste des späten Minimalismus ("...Flavin's later installations ...eat the world around them", 122f. ) sein genuiner Auftrag erfüllt, mag man zweifelhaft finden, zumal nicht klar wird, wie sich die Tendenz zum Monumentalen zu den von Varnedoe ins Spiel gebrachten linkspolitischen Ambitionen der Akteure verhält. Die Schaffung immobiler Objekte wird (punktuell) auf die Intention zurückgeführt, sich dem Markt zu entziehen; der Industriearbeiterhabitus von Serra, Heizer und Smithson gegen die Galeriekunst der frühen Minimalisten und Pollocks "Lyrik" abgehoben. Eine solche Erwägung gesellschafts- und institutionskritischer Elemente wird im Weiteren jedoch obsolet. Varnedoe nimmt die Land Art zum Anlass, den offenbar für wichtiger erachteten nationalen (und ausgesprochen elitären) Gedanken weiterzuspinnen und die u. a. von Walter de Maria inszenierte "primordiale" Erfahrung an den "open space of the West" zu heften, "where the artist is free to exercise power and control" (135). Dabei gerät wiederum aus dem Blick, dass Andre mit seinen Bodenskulpturen, wie Varnedoe an früherer Stelle erwähnt, angetreten war, das Autoritäre aus der Kunst zu verbannen (109).

Die bewegliche, gedankenreiche Sprache der Kunstkritik, über die Varnedoe verfügt, schmiegt sich subtil den Gegenständen an, wehrt sich aber gegen hermeneutische oder analytische Deutlichkeit. Besonders hervorzuheben ist etwa Varnedoes treffende Beobachtung, dass in Walter de Marias raumgreifenden Installationen die Kostspieligkeit des Bodenbesitzes in der Anschauung als Ingredienz des Erhabenen wirksam werde - "The only way to get this kind of absolute command of the landscape is to own it..." (132). Die Pilgerschaft zu jenen "spacious shrines" (The Lightning Field etc.) ist nur wenigen - "a lucky few" - möglich (137). Dass die minimalistische Kunst irgendetwas mit dem Amerika der Trusts zu tun habe, verneint Varnedoe jedoch erneut (132 f.), unter Hinweis auf die "individuelle" Vision der Mäzene. Übrig bleiben Allgemeinplätze. Es wird etwa konstatiert, auch am Beispiel von Peter Eisenmanns Holocaust Denkmal, dass der Minimalismus zu unserer gegenwärtigen Sprache feierlicher Monumentalität geworden sei (139).

Was als Absage an den herkömmlichen Kunstbegriff eingeführt wurde, erscheint als bloßer Umweg zur Reetablierung des Kunstschönen, dem auch die überzeugende Werkauswahl und exzellente Abbildungsqualität des Bandes dienen und dessen kunsthistorische Neubuchstabierung Varnedoe durch die Entwicklung des Minimalismus legitimiert glaubt. Die geometrische und die malerische Abstraktion ist, so der Verfasser des Buches, nur aufgegeben worden, damit ein der Gegenwart adäquates Vokabular für all das entfaltet werden konnte, was wir an der klassischen Moderne bewunderten: "composition, order, and even painterly values." (121) Damit gliedert Varnedoe dann doch, entgegen seiner Einsicht in ihre Dialektik, die neuere Abstraktion dem Erbe der (vermeintlich) "ja-sagenden" Kunst des Malewitsch ein (vgl. 96f.). Das Erbe der "nein-sagenden" Kunst des Duchamp wird abgewiesen.

Regine Prange