Rezension über:

Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn, München: C.H.Beck 2007, 246 S., 13 Abb., ISBN 978-3-406-55810-8, EUR 24,90
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Rezension von:
Winfried Heinemann
Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Heinemann: Rezension von: Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn, München: C.H.Beck 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/13395.html


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Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund

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Wer Peter Hoffmanns beiden Bände "Widerstand - Staatsstreich - Attentat" (München 1967) und "Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Das Geheime Deutschland" (Stuttgart 1992) gelesen hatte, konnte meinen, es gäbe kein Detail mehr, das Hoffmanns Aufmerksamkeit entgangen sei. Jetzt hat der Alt- und Hochmeister der deutschen Widerstandsforschung gezeigt, dass es immer noch etwas Neues zu entdecken gibt.

Major i.G. Joachim Kuhn war Stauffenberg aus gemeinsamer Zeit in der Organisationsabteilung des Generalstabs des Heeres bekannt. Über einen anderen Freund aus der Pioniertruppe hatte er den Sprengstoff für das Attentat besorgt. Anstatt sich gefangen nehmen zu lassen oder sich zu erschießen, nutzte er die ihm von seinem Divisionskommandeur gebotene Gelegenheit, um in sowjetische Gefangenschaft zu gehen. (Hoffmann macht deutlich, dass es durchaus auch Kuhns Absicht gewesen sein könnte, unentdeckt nach Finnland und Schweden zu entkommen.) 1956 kam Kuhn als einer der letzten sowjetischen Kriegsgefangenen nach Deutschland, ein gebrochener Mann und an Schizophrenie erkrankt.

Mitte der neunziger Jahre übergab Boris Jelzin seinem Saunafreund Helmut Kohl im Westen bisher unbekannte Dokumente über die Kriegsgefangenschaft Kuhns. Kohl leitete das Material an Peter Hoffmann weiter, und wie es scheint, hat es diesen seither nicht mehr ruhen lassen. Mit der ihm eigenen Detailtreue hat Hoffmann weitere Quellen aus Moskau, Prag (Reichskriegsgericht), aus Versorgungsämtern und sogar von der Kriminalpolizei der Nachkriegszeit zusammen getragen.

In den frühen Siebziger Jahren hatte sich Hoffmann einmal eine Kontroverse mit dem Stauffenberg-Biografen Christian Müller [1] geliefert, bei der es genau um die Herkunft des Sprengstoffs ging. Jetzt zeichnet er noch einmal minuziös nach, auf welch abenteuerlichen Wegen (einschließlich eines Umwegs bei der Geheimen Feldpolizei und dem Amt Ausland/Abwehr) das Sprengstoffpaket und die Zünder an Stauffenberg gelangt sind. Kuhn hat hierbei eine zentrale Rolle gespielt, aber was er in seinen Vernehmungen über Stauffenberg sagt, wirft ein unabhängiges Licht auf diesen, weil es eben eine völlig andere Überlieferung birgt als das, was die in amerikanische Kriegsgefangenschaft geratenen Widerständler nach mehrfachen gegenseitigen Kontakten zu Protokoll gegeben haben. So werden einige Attentatsversuche hier noch einmal von unabhängiger Seite bestätigt, der Versuch Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorffs im Berliner Zeughaus hingegen wird nicht erwähnt. Dass Stauffenberg vorgehabt habe, mit den Sowjets zusammen zu arbeiten, muss man allerdings nicht für bare Münze nehmen - hier mag Kuhn geschickt auf die Erwartungen seiner sowjetischen Vernehmer eingegangen sein.

Kuhn hatte sich mit einer Cousine Claus Graf Stauffenbergs verlobt; die Verlobung wurde wieder gelöst, weil seine Eltern auf einer protestantischen, die Familie Stauffenberg aber auf einer katholischen Trauung bestanden. Ob Kuhns spätere psychische Erkrankung oder seine Verstrickung in die Umsturzvorbereitungen hier eine Rolle gespielt haben, muss offen bleiben.

Die Sowjets haben Kuhn übel mitgespielt. Sie wussten genug von der pro-westlichen Einstellung der Verschwörer, um keinen davon mit offenen Armen aufzunehmen. Kuhn weigerte sich standhaft, für die sowjetische Propaganda oder das Nationalkomitee zu arbeiten, und wurde dafür mit jahrelanger Einzelhaft und Verbannung nach Sibirien bestraft. Bald entwickelte er eine ausgeprägte Schizophrenie, die Hoffmann ausführlich schildert.

Fragt sich der Leser zunächst, ob es notwendig sei, die psychiatrischen Einzelheiten dieses verdienten Mannes so auszubreiten, wird bald deutlich, warum Hoffmann auch hier nichts weglässt. Im erschütternden letzten Teil seines Buches beschreibt er Kuhns Lebensphase nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft sowie seinen Kampf mit den bundesdeutschen und Westberliner Behörden. Glücklicherweise stand ihm noch sein Vater zur Seite, der Anwalt war, sonst hätte sich der klinisch Wahnsinnige überhaupt nicht zurecht finden können. Er sei zu den Russen übergelaufen und daher zu Recht verfolgt worden, so einer der Vorwürfe gegen ihn. Der Schizophrene hatte sich zeitweise als "Pfalzgraf von Zweibrücken" bezeichnet - jetzt war ein Ermittlungsverfahren wegen unbefugten Titelgebrauchs die Folge. Er sei durch den Ehrenhof aus der Wehrmacht ausgestoßen worden und daher seit August 1944 kein Soldat mehr gewesen, daher könne keine Pension nachgezahlt werden. Gnadenlos führt Hoffmann hier vor, wie schwer es die deutsche Nachkriegsgesellschaft den Angehörigen des Widerstands noch lange nach Kriegsende gemacht hat, wenn diese auch nur eine minimale Versorgung erreichen wollten.

Insgesamt hat Peter Hoffmann noch einmal bewiesen, welche neuen Detailergebnisse zu erwarten sind, wenn man auch heute noch die Detailarbeit mit Archivdokumenten und Zeitzeugen nicht scheut. Sein Buch bereichert unser Wissen um einige Spezialfragen zur Vorgeschichte des 20. Juli, es gibt zugleich Einblick in die sowjetische Haltung zum Widerstand und hält der Ära Adenauer einen kritischen Spiegel vor.


Anmerkung:

[1] Christian Müller: Oberst i.G. Stauffenberg. Eine Biographie, Düsseldorf 1970

Winfried Heinemann