Rezension über:

Giovanni Maria Fara: Albrecht Dürer. Originali, copie, derivazioni (= Gabinetto Disegni E Stampe Degli Uffizi. Inventario Generale Delle Stampe; I), Florenz: Leo S. Olschki 2007, XV + 491 S., ISBN 978-88-222-5641-6, EUR 95,00
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Rezension von:
Elena Filippi
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Elena Filippi: Rezension von: Giovanni Maria Fara: Albrecht Dürer. Originali, copie, derivazioni, Florenz: Leo S. Olschki 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/13214.html


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Giovanni Maria Fara: Albrecht Dürer. Originali, copie, derivazioni

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Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um ein grundlegendes Werk: Zum einen allgemein im Hinblick auf die Katalogisierung des Werkes von Albrecht Dürer und das nähere Wissen um den Meister, wenngleich nicht so sehr über ihn selbst als vielmehr über seine italienischen Einflüsse. Zum anderen für die italienische Kunstgeschichtsschreibung, der, wie der Autor bereits im einleitenden Text zeigt, "Alberto Durero" immer etwas fremd geblieben ist. Es ist das erste Unterfangen dieser Art, das eine neue Buchreihe der Uffizien mit dem Titel Inventario Generale delle Stampe einläutet. [1]

Ein solcher Katalog hat einen unverzichtbaren Bezugspunkt in der mustergültigen Ausgabe von Schoch-Mende-Scherbaum. [2] Fara weist ausdrücklich auf diese Notwendigkeit hin, wie er sich auch verschiedenen "Klassikern" verpflichtet sieht, welche das Verständnis der Grafik zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert geprägt haben. Auch in der internen Gliederung orientiert sich Fara am Muster seiner Nürnberger Kollegen: 1. Porträts; 2. Figuren und Landschaften; 3. Bebilderte Bücher; 4. "Meisterstiche"; 5. Das Werk für Kaiser Maximilian I.; 6. Abhandlungen.

Auf zwei einleitende Aufsätze folgen die fünf Hauptteile des Bandes, wobei der zweite Teil davon den eigentlichen Katalog enthält, in dem wiederum exemplarisch Grabstiche, Radierungen, Kaltnadelstiche, Holzschnitte sowie die theoretischen Abhandlungen einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Vor der Lektüre dieser Katalogeinträge sollte der Leser allerdings die Anleitung dazu beachten (Avvertenza per la lettura delle schede, 41-42), damit ihm Verweise auf andere Werke nicht entgehen, wie auf weitere, nur mittelbar, etwa in Kopie erhaltene Werke Dürers, die sich ebenfalls im Besitz des Fondo degli Uffizi befinden (148-248).

Der Bestand der Florentinischen Sammlung sowie die genaue Rekonstruktion ihrer Sammlungsgeschichte stehen im Mittelpunkt des dritten Teils, in dem auch die wichtigsten frühen Inventare abgedruckt sind. Vervollständigt wird dies durch eine Chronologie der Drucke Dürers, die im Katalogteil besprochen werden wie durch eine einschlägige Bibliografie und ein umfangreiches Orts- und Namenverzeichnis. Im Anhang stehen schließlich die Transkription und eine hervorragende Reproduktion der ersten italienischen Übersetzung der "Clavis" für die "Ehrenpforte des Kaisers Maximilians I." (Nr. 130, 369-372).

In seinen "Vite" schrieb Vasari: "Niemand dürfe glauben, Jacopo (Pontormo) sei darum zu tadeln, weil er Alberto Durero in seinen Inventionen nachahmte, da dies kein Fehler ist: so haben schon viele Maler ständig getan..." Nicht zufällig erschien der vorliegende Band gleichzeitig mit zwei Ausstellungen, die das Verhältnis Dürers zu Italien erneut fokussierten [3], wobei sie neue Wege insofern bestritten, als sie weniger die Rolle des kulturellen Milieus der Renaissance für die Entwicklung der Dürerschen Kunst als vielmehr die Art und Weise der Rezeption und die Umarbeitung der "bildnerischen Muster" des Nürnberger Meisters in der Kunstproduktion Italiens ins Zentrum gestellt haben (18), und zwar nicht nur für den Bereich der Grafik, sondern für das gesamte Spektrum der italienischen Kunst. Auch der knappe einleitende Aufsatz von Rainer Schoch geht auf diesen Punkt ein, indem er wichtige Elemente in der Geschichte des Verhältnisses des Künstlers zum italienischen Kulturraum benennt. Schochs sachkundiger Text ist insofern hilfreich, als er nicht nur vermeidet, sich mit den Ausführungen Faras zu überschneiden, sondern dem nicht vorgebildeten Leser den Weg weist, indem er über die neueste Forschungsliteratur informiert, wobei er sich auf das Wesentliche konzentriert und Beiträge, die nicht unmittelbar zum Thema gehören, beiseite lässt. Wenn Schoch mit dem Titel Specchio di due mondi: Dürer in Italia eine neue Perspektive auf den Künstler und sein Werk eröffnet, dann werden diese beiden "Welten" durch Fara nicht als jeweils ausschließlich und gegensätzlich zueinander empfunden: Mit dieser Position bildet er eine willkommene Ausnahme gegenüber einer regen pseudowissenschaftlichen Literatur und übernimmt damit in gewissem Sinne das Erbe des späten Wölfflin, für welchen die "italienische Renaissance" und das "deutsche Formgefühl" stets untrennbare Reisegefährten Dürers sind.

Gleichwohl betont Fara auch, wie der langsame und mühevolle Gewinn einer korrekten Biografie Dürers im italienischen Kulturgebiet "ein fragmentarisches Geschehen war, oft sogar die Geschichte eines Mißverständnisses" (7), auf jeden Fall aber das Resultat einer langen Zeitspanne, die mehr als ein Jahrhundert einnahm, von Vasari bis Baldinucci.

Was an dieser Arbeit aber besonders beeindruckt, ist die gleichermaßen hohe Achtung wie gelehrte Wertschätzung derjenigen Wegbereiter, die in der Vergangenheit ähnliche Forschungsarbeit geleistet haben: Fara weiß aus jenem reichen Vorrat an Informationen das Beste zu nehmen, mit dem Ziel, seine methodischen Werkzeuge zu verfeinern, und es zu ermöglichen, Maßangaben, Wasserzeichen, Bildthemen und Interpretationsvorschläge Blatt für Blatt erneut zu überprüfen. Von den 260 Drucken, aus denen der Corpus der Dürerschen Grafik besteht, sind in den Uffizien 228 aufbewahrt, wobei insgesamt die Stiche, wie Grabstiche, Kaltnadeln und Radierungen, gehäuft vertreten sind. Eher lückenhaft erscheint der Corpus der Holzschnitte (393). Für diese großzügige Sammlung - einstmals Besitz der Collezioni medicee und Zeugnis der "Rezeptionsgeschichte des Druckwerks Albrecht Dürers in Italien (vor 1500 bis 1686)" - setzte sich Fara nicht nur das Ziel, sie nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben zu ordnen, was er im Übrigen mit großer Akribie durchführt. Vielmehr hat er - wie der Untertitel des ersten Teils verrät - auch versucht, "Interpretationsmuster" zu hinterfragen und für den Leser verfügbar zu machen. Wenn er dabei einerseits die Hochachtung zum Ausdruck bringt, die er Bahnbrechern wie Thausing, Wölfflin und Panofsky oder Wegbereitern der späteren Dürer-Forschungen wie etwa Mészáros (1983) entgegenbringt, so verschweigt er andererseits keineswegs, wo er davon abweicht, so dass er am Ende den "eigenen" Weg mit gelassener Entschiedenheit verfolgt. Dieser führt ihn z. B. weg von der lokalen Florentinischen Tradition eines Longhi sowie von so manchen Titeln der Sekundärliteratur, die anlässlich der Fünfhundertjahrfeier 1971 entstanden.

Die Interpretation bewegt sich dabei stets auf zwei Ebenen: der literarischen und der ikonographischen Rezeption. Beide wirken wie Fühler, die die Anwesenheit von Themen und Motiven feststellen wie auch ihre Wirkung und Veränderungen im Geschmack.

Eigentümlich abgehandelt wird der Fall der Unterweisung der Messung. Fara verweist hier statt näherer Erläuterungen auf seinen letzten Beitrag zum Thema [4], und lässt somit die Neugier des Lesers ungestillt. Im Gegensatz dazu wird den verschiedenen Elogia zum Tode des Nürnberger Meisters zu viel Platz eingeräumt, ohne dass dies zum Verständnis seiner Einflüsse wirklich beiträgt. Die Idee Focillons übernehmend, man müsse Dürer aus vielen verschiedenen Perspektiven untersuchen, hat Fara das Verdienst, zum ersten Mal die Möglichkeit angeboten zu haben, den Auswirkungen der Dürerschen "inventiones" in Italien in ganzer Breite nachzugehen. Zusammenfassend kann aber gesagt werden, dass Fara die Herausforderung mit wissenschaftlicher Strenge angeht und immer in dem klaren Bewusstsein, dass eine abschließende Darstellung aller Dürerschen Einflüsse nie zu erreichen sein wird.


Anmerkungen:

[1] Es sind bisher vier Bände über die Zeichnungen erschienen. Eine ähnliche Aufmerksamkeit wurde inzwischen auch dem Bestand der Dürerschen Stiche der Pinacoteca Tosio Martinengo in Brescia geschenkt: Albrecht Dürer: incisioni della Pinacoteca Tosio Martinengo, a cura di Elena Lucchesi Ragni; Maurizio Mondini. Con la consulenza di Roberta D'Adda, Mailand 2006.

[2] Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, hrsg. vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, bearb. von Rainer Schoch, Matthias Mende und Anna Scherbaum, 3 Bde., München u. a. 2001-2004.

[3] Dürer e l'Italia, Ausstellungskatalog Rom 2007, hrsg. von Kristina Hermann Fiore, Mailand 2007; Albrecht Dürer incisore. Originali, copie e derivazioni nelle collezioni del Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi (Ausstellung Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 2007), in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut Florenz, das gleichzeitig eine Tagung veranstaltete mit dem Titel: Linea I. Grafie di immagini tra Quattrocento e Cinquecento.

[4] Albrecht Dürer, Cosimo Bartoli, Institutiones geometricae; Geometrici Elementi di Alberto Durero, hrsg. mit einem einleitenden Aufsatz und Anmerkungen von G. M. Fara, Firenze-Torino, Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento-Aragno 2007.

Elena Filippi