Ernst Schubert: Räuber, Henker, arme Sünder. Verbrechen und Strafe im Mittelalter. Mit einem Nachwort von Thomas Vogtherr, Darmstadt: Primus Verlag 2007, 389 S., ISBN 978-3-89678-612-8, EUR 39,90
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Über "Verbrechen und Strafen" im späteren Mittelalter hat Ernst Schubert schon in ganz ähnlicher, wenn auch ungleich geraffter Form (derselbe, Gerd Althoff, Hans-Werner Goetz: Menschen im Schatten der Kathedrale. Neuigkeiten aus dem Mittelalter, Darmstadt 1998, S. 323-350) geschrieben. Nun liegt ein entsprechender Beitrag in monografischer und chronologisch erweiterter Form vor. Dabei handelt es sich um eine der letzten Arbeiten, die Schubert vor seinem Tod noch angegangen ist, aber nicht die einzige, deren Drucklegung er nicht mehr erlebt hat; auch sein Buch über "Essen und Trinken im Mittelalter" ist posthum erschienen (Darmstadt: Primus, 2006).
Leider wird die redaktionelle Arbeit des Verlages oder Herausgebers an keiner Stelle des Bandes deutlich gemacht, sodass der Leser darauf angewiesen bleibt, rundweg alles der Schubertschen Feder zuzuschreiben. Eine Restunsicherheit bleibt; denn die oft etwas holprigen Formulierungen in den Unterschriften der Abbildungen wollen so gar nicht zu dessen sonst so geschliffenem Stil passen. Wie immer es sich damit verhält, muss man Herausgeber und Verlag ohne Frage dankbar sein, dass sie dieses letzte der Schubertschen Werke der Öffentlichkeit noch zugänglich gemacht haben.
In den ersten beiden von insgesamt drei Großkapiteln, die sich im Wesentlichen chronologisch durch die deutsche Strafrechtsgeschichte seit den Volksrechten arbeiten, verfolgt Schubert zunächst die Grund-Argumentationslinie einer fortschreitenden Entwicklung, vom Bußsystem des Frühmittelalters zur Strafgerichtsbarkeit des Hochmittelalters, wie sie sich in den Landfrieden materialisiert, sodann hin zur Ausbildung des modernen "Strafsystems" (auch bei Schubert in Anführungszeichen) im Verlaufe des Spätmittelalters - was für ihn immer auch das 16. Jahrhundert und zahlreiche Exkurse darüber hinaus selbstverständlich mit einschließt. Der dritte Teil ("Missetaten und Missetäter", 171-287) befasst sich aus sozialhistorischer Perspektive mit einzelnen Konzeptionen, Tatbeständen und Personenkreisen der Strafrechtsgeschichte. Auf diesem Gebiet, vor allem in Sachen der jüngst wieder stärker methodisch kritisierten "Randgruppen-Forschung", ist Schubert in der Vergangenheit schon mehrfach tätig gewesen. Das zeigt sich auch in seinen kenntnisreichen Ausführungen.
Insgesamt legt der Verfasser besonderen Wert auf die kulturelle Verankerung des Strafens in der mittelalterlichen Gesellschaft und sucht das mit einer chronologisch wie geografisch besonders breiten Streuung konkreter Belegstellen zu verdeutlichen. Die beinahe dreitausend [!] Anmerkungen und das rund fünfundzwanzig Seiten umfassende Literaturverzeichnis, die die an sich schlanke dreihundert Seiten umfassende Darstellung begleiten, sprechen für sich schon eine beredte Sprache des reichen Materials, das hier verwertet wurde. Und das bleibt kein Blendwerk: Wenn auch viele dieser Quellenbelege aus allen Teilen des deutschen Sprachraums auf ältere Standardwerke wie Rudolf His' "Das Strafrecht des deutschen Mittelalters" (2 Bände, 1920/35) zurückzuführen sind, ist es Schubert doch meisterhaft gelungen, solche Belegwüsten in eine dichte Geschichtserzählung zu verarbeiten. Dass dabei oft genug eher ein suggestives Bild gezeichnet als argumentativ entwickelt wird, liegt in der Natur der Sache. Wenn beispielsweise bei der Behandlung der Notzucht (212f.) Verweise auf den Sachsenspiegels neben dem Berner Landrecht von 1454/57, dem altfriesischen Hunsingoer Recht und der Carolina stehen, so trägt das streng genommen nichts zu einer systematischen Strafrechtsgeschichte bei, vermittelt aber wohl ein eindrückliches Bild von den unterschiedlichen Antworten, die das Mittelalter auf ein überzeitlich dringliches Rechtsproblem zu geben wusste.
Von des Verfassers erfrischender Neigung zu provokanten Thesen und Lektüren gegen den Strich der Forschungstradition, die noch in seiner letzten großen Arbeit, den "Königsabsetzungen im deutschen Mittelalter" (2005), so deutlich spürbar war, findet man in diesem Band nichts. Das dürfte aber auch am Format liegen, das ganz andere Leserkreise anspricht. Dem Blick auf den Adressaten schließlich mag auch der für den ersten Moment seltsame Umstand geschuldet sein, dass zwar ausgerechnet ein sonst so häufig vermisstes Sach-, aber kein Personen- oder Werkregister die Arbeit beschließen.
Hiram Kümper