Rezension über:

Michaela Völkel: Schloßbesichtigungen in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Frage nach der Öffentlichkeit höfischer Repräsentation, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 79 S., ISBN 978-3-422-06714-1, EUR 14,80
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Rezension von:
Christine Tauber
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Christine Tauber: Rezension von: Michaela Völkel: Schloßbesichtigungen in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Frage nach der Öffentlichkeit höfischer Repräsentation, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/13372.html


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Michaela Völkel: Schloßbesichtigungen in der Frühen Neuzeit

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Wie öffentlich war die höfische Repräsentation der Frühen Neuzeit? Wesentlich stärker jedenfalls, als uns die diplomatischen Korrespondenzen von ausländischen Botschaftern oder die Berichte von hochgestellten politischen Besuchern an den europäischen Höfen suggerieren, behauptet Michaela Völkel. Ihre Hauptthese ist die einer frühneuzeitlichen Publikumsbildung jenseits der höfisch-zeremoniellen Repräsentation: Seit dem 17. Jahrhundert habe sich eine weniger politische als frühmodern-"kulturindustrielle" Öffentlichkeit herausgebildet, die die Schlösser der Fürsten und Monarchen und deren Ausstattungen als Teil des öffentlichen Raumes rezipierten. Mechanismen der Residenzenbesichtigung, die noch das 16. Jahrhundert geprägt hatten, wurden zunehmend von einer neuen Form der Zugänglichkeit flankiert.

Hatte der Hausherr ursprünglich im diplomatischen Spiel höfischer Selbstdarstellung durch Strategien der Inklusion und Exklusion den Blick des Besuchers subtil auf dasjenige beschränkt, was er ihm tatsächlich zeigen wollte, und mittels dieser räumlichen und zeitlichen Dosierung des Einblicks seine Deutungshoheit über die von ihm geförderte Kunst demonstriert, so erhielt der Reisende in der seit etwa 1600 einsetzenden Frühphase des Tourismus nun Zugang auch zu den "intimeren" Bereichen des Schlosses - wenn er bereit war, dem eigens beschäftigten Führungspersonal einen Türen öffnenden Obolus zu entrichten. Die zeremoniale Raumdisposition, die sich streng um den anwesenden Fürsten gruppiert hatte, wurde bei dieser neuen Form der Schlossbesichtigung außer Kraft gesetzt. Das Geheimnis und die streng ständische Beschränkung des Zugangs zur herrscherlichen Residenz im Sinne arkaner Herrschaftspraxis des 16. Jahrhunderts verkommt bereits Anfang des 17. Jahrhunderts zur reinen Inszenierung, wie anhand des Geheimgangs vom Florentiner Palazzo Pitti zu den Uffizien gezeigt werden kann, der zur gefragten touristischen Insider-Attraktion wird.

Völkel kann anhand von Reiseberichten und Reiseführern der Zeit (naturgemäß die aufschlussreichsten Quellen zur Stützung ihrer Thesen) nachweisen, dass die beiden Formen von Öffentlichkeit längere Zeit nebeneinander existierten. Paradoxerweise waren hierbei die Einblicke für die dilettantischen Bildungsreisenden häufig viel weitgehender als für die offiziellen Besucher des Hofes. Als Indiz für die Richtigkeit einer solchen Annahme zweier strikt getrennter Öffentlichkeiten führt Völkel das Faktum an, dass allein während der Anwesenheit des Hofes in der jeweiligen Residenz den Reisenden striktere Zugangsbeschränkungen auferlegt wurden und der touristische Betrieb weitgehend zum Erliegen kam. Zugleich aber wurde damit der mühsam erhaschte Blick auf den Fürsten oder Monarchen zu einer besonders herausragenden Touristenattraktion. Eine späte Blüte trieb diese Kuriosität auf High Society noch 1806, als Heinrich August Ottokar Reichard in seinem "Passagier auf Reisen" über die Pariser Tuilerien schrieb: "Die erste Sehenswürdigkeit ist der Kaiser Napoleon. Die zweyte sind die vielen trefflichen Statuen, die den Garten schmücken." (63)

Die Blicklenkung der Reisenden erfolgte durch eine anwachsende Guidenliteratur, die - hierin den Baedeker gleichsam vorwegnehmend - den Kanon des zu Besichtigenden etablierte. So schrieb beispielsweise Martin Zeiller 1653 in seinem "Fidus Achates, oder Getreuen Reisegefert" die folgenden im Besichtungsparcours abzuarbeitenden Punkte vor: "Lage / Grösse / Gezeug / Gestalt [...] Reinlichkeit / Zierde / Thürgestell / Vorhoff / Capell / Zimmer / Kuchen / Keller / Speiskammer / Kranckenstuben / Badstüblein / Apothek / Getreidbögen / Städel oder Scheure / Stall / Brunn / Fischerey / Gärten / Gemälde / Bilder / Vogelhaus / alte Münze / Bücherstand / Kunst- und Rüstkammer / Hausrath / und andere zu häuslichem Gebrauch nothwendige Sachen." (37) Größe, Material, Anzahl, Preis und Gewicht (z. B. des Kronleuchters) sind früh sich ausprägende Wertkategorien in der dilettantischen Schlossbesichtigung - wohingegen korrekte Angaben zu Ikonographien bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts weniger gefragt waren.

Die professionelle Organisation der Schlossbesichtigung lässt sich sehr früh belegen: "Ciceroni" werden angestellt, Öffnungszeiten festgelegt, die ursprünglich feinsinnig eskamotierend als "Verehrung" bezeichneten Trinkgelder verfestigen sich zu Eintrittspreisen, von Innsbruck aus wird ein veritabler "Shuttledienst" nach Schloss Ambras organisiert, Vorläufer heutiger Museumscafés boten den Reisenden Imbisse an. Erst mit der Ausgliederung der Kunstsammlungen aus dem räumlichen Kontext des Schlossbaus ist allerdings der von Völkel postulierte Schritt zur Institutionalisierung einer Frühform des Museums wirklich vollzogen. Hinter all diesem Aufwand vermutet die Autorin sicher zu Recht ein gewisses Kalkül der Schlossbesitzer, waren doch die von weit her angereisten Fremden besonders geeignete Promulgatoren für den "Überschuß an Repräsentation" (68), der sich in den fürstlichen und königlichen Residenzen entfaltete.

Nach Lektüre dieses Bändchens voller hochinteressanter alltagsgeschichtlicher Details und kluger Fragen an das untersuchte Material bedauert man, dass sich die Autorin auf einen essayistischen Abriss beschränkt hat - das Thema würde durchaus der umfassenderen Behandlung lohnen. Kritisch anzumerken ist die mangelnde zeitliche wie geographische Differenzierung des Untersuchungsgegenstands und die nicht hinreichend breite Materialbasis, die den genannten Beispielen eher punktuelle als exemplarische oder gar statistische Relevanz verleiht. Doch dies ist in der Tat in einem thesenhaften Aufriss im Umfang von 76 Seiten kaum zu leisten.

Christine Tauber