Karl Schawelka: Farbe. Warum wir sie sehen, wie wir sie sehen, Weimar: Bauhaus-Universität 2007, 274 S., ISBN 978-3-86068-314-9, EUR 19,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Endlich ist eine lange überfällige Lektüre zur Farbe im deutschsprachigen Raum erschienen. Kein Itten, kein Küppers, keine ideologische, dogmatische oder normative Farbenlehre, sondern ein sorgfältig recherchiertes und fundiertes Buch, das in lose aneinandergereihten Kapiteln einzelne Aspekte des Phänomens Farbe dem heutigen Kenntnisstand weitgehend entsprechend und in gut lesbarer Form darstellt. Der Autor, Karl Schawelka, Professor an der Bauhaus-Universität Weimar und langjähriger Vorsitzender des Deutschen Farbenzentrums, hat vor allem die Zielgruppe der Gestalter, Künstler, Kunstwissenschaftler und Kunstpädagogen im Blick.
Im ersten Kapitel wird zunächst auf die Alltagserfahrung eingegangen, bei der Farben sehr eng mit Materialien und Substanzen in Verbindung gebracht werden, obwohl sie doch in erster Linie reine Sinnesempfindungen sind, worauf sich dann das zweite Kapitel konzentriert. Es schließt sich das Kapitel über das Verhältnis von physikalischem Reiz und der Farbempfindung an, wo der Verfasser gleich zu Beginn herausstellt, dass es in der Physik keine Farben gibt, sondern dass dazu ein lebendiger, beobachtungsfähiger Organismus notwendig ist, in dessen Gehirn sich die Farbempfindung einstellen kann. Die besondere Rolle, die der Farbkonstanz in diesem Zusammenhang zukommt, welche trotz großer Schwankungen bei den physikalischen Reizkonstellationen für eine gewohnte Wahrnehmung unserer Umwelt sorgt, wird dann im Kapitel über Lokalfarben, Oberflächenfarben und die Farbkonstanz behandelt.
In den folgenden drei Kapiteln zeichnet Schawelka zunächst sehr unterhaltsam "Die Evolution des menschlichen Farbensehens" nach, wobei es interessant ist, nachzuvollziehen, wie und aus welchen möglichen Gründen sich unsere Vorfahren vor circa 35 Millionen Jahren von Di- zu Trichromaten entwickelt haben. Es folgt das umfangreichste Kapitel des Buches, welches der Frage nachgeht, wie die Reizverarbeitung im Gehirn vonstattengeht und wie die Farbe dort zustande kommt. Hier werden die neuesten Erkenntnisse der Kognitionsforschung detailliert in vielen Einzelaspekten aufgezeigt, wobei allerdings der Eindruck entsteht, als seien die meisten und wesentlichen Vorgänge im Gehirn schon erforscht, während doch tatsächlich heute immer noch alles in einer unergründlichen "Blackbox" endet. Abgerundet wird dieser Block mit einem Kapitel über "Qualia und Synästhesien", dem Mit- oder Zusammenempfinden verschiedener Sinnesempfindungen wie beispielsweise von Farben und Tönen, für die bestimmte neuronale Verknüpfungen im Gehirn verantwortlich gemacht werden.
Es folgt ein speziell für die Zielgruppe des Buches eminent wichtiges Kapitel über "Das Problem der Grundfarben". Hier betont Schawelka gleich zu Beginn wiederum, "dass Grundfarben - wenn es sie denn gibt - nicht 'da draußen' in den Photonen oder Reflektanzen existieren, sondern Eigenschaften unserer neuronalen Schaltkreise bleiben" (131), sprich - wenn wir von Farben reden, sind Farbempfindungen gemeint, also kann es auch konsequenterweise bestenfalls psychologische Grundfarben geben, wie sie etwa Hering definiert hat, was von Schawelka am Ende dieses Kapitels auch entsprechend resümiert wird. Diese wichtige Erkenntnis wird jedoch im Laufe des Kapitels durch die begrifflich unsaubere Verwendung des Begriffs Farbe, der manchmal im (richtigen) Sinne von Farbempfindung, manchmal im Sinn von Farbmittel und manchmal in der Bedeutung von Farbreiz verwendet wird, immer wieder konterkariert. Schon zu Beginn, wenn er die additive Mischung behandelt, schreibt Schawelka: "Zwei Farben an ein und derselben Stelle des Gesichtsfeldes werden als eine einzige (Misch)farbe wahrgenommen." (131) Korrekt sollte es jedoch heißen, dass zwei verschiedene Farbreize (Lichtarten), die auf dieselbe Stelle des Gesichtsfeldes fallen, in einer homogenen Farbempfindung resultieren, die sich von denen unterscheidet, die die beiden Farbreize einzeln hervorrufen. Diese begrifflichen Unklarheiten ziehen sich leider durch das gesamte Kapitel hindurch. Erfreulich ist, dass der Verfasser mit dem immer noch weitverbreiteten Vorurteil aufräumt, dass sich aus sogenannten drei "Grundfarben" alle übrigen Farben erzeugen lassen, was weder bei der additiven, noch bei der subtraktiven Mischung der Fall ist, wobei gerade im letzteren Fall dem Grundfarbentripel "im allgemeinen Bewusstsein und besonders in Künstlerkreisen ein besonderer, geradezu mythischer Status eingeräumt wird." (138) Umso verwunderlicher ist daher Schawelkas Empfehlung, dass die Maler besser mit mindestens sechs bunten Grundfarben arbeiten sollten (135), wobei zum einen der Begriff "Grundfarben" wieder durch die Bezeichnung "Farbmittel" ersetzt gehört und zum anderen durch die willkürlich genannte Zahl Sechs wiederum eine ideologische Theoriebildung gefördert, beziehungsweise immer noch weitverbreiteten und fragwürdigen Farbenlehren wie etwa der von Küppers in die Hände gespielt wird. Auch die Behauptung, dass Gelb, Cyan und Magenta die augenblicklich besten "Grundfarben" für die Druckindustrie seien (137), ist falsch, denn im sogenannten 7-Farbendruck beispielsweise lässt sich ein wesentlich größerer Farbumfang erreichen. Ein weiteres Problem in diesem Kapitel ist, dass Schawelka bei der subtraktiven Mischung zu große Betonung auf ihre Reinform mit idealen Filtern legt, während dort, wo die Zielgruppe des Buches die meisten und für sie grundlegenden Erfahrungen macht, nämlich im Umgang mit Farbmitteln, der Eindruck erweckt wird, als ob hier noch vieles ungeklärt sei oder dem Zufall überlassen werden müsste. Dabei verwendet die Farbmetrik die Gesetzmäßigkeiten für diese Arten der subtraktiven Mischung seit Jahren erfolgreich und mit hoher Genauigkeit bei der Rezepturberechnung. Hierbei ist das Lambert-Beer'sche Gesetz für gelöste Farbmittel zuständig und bei Pigmenten in Anstrichmitteln kommt das Kubelka-Munk Gesetz erfolgreich zur Anwendung. Auf beides geht der Verfasser nicht ein.
Im folgenden Kapitel über "Farbsysteme" wird auf die Vielzahl möglicher Ordungsansätze der Farbengesamtheit hingewiesen. Auch die Grenzen der Farbsysteme werden aufgezeigt, indem beispielsweise hervorgehoben wird, dass sich keine Harmoniegesetze aus den Ordnungsschemata ableiten lassen. Die Auswahl der zur Sprache kommenden Systeme ist etwas willkürlich und unter den aktuell zur Verfügung stehenden wichtigen Systemen, zu denen es auch Farbatlanten gibt, werden gerade einmal Munsell, NCS und das "Ral-System" (korrekt "RAL Design System") eher beiläufig genannt. Gerade für den Leserkreis dieses Buches wäre es jedoch hilfreich gewesen, alle im deutschsprachigen Raum verfügbaren Farbsysteme, zu denen neben anderen auch noch das DIN 6164 und das ACC zählen, aufgelistet, beschrieben und wenigstens in Ansätzen verglichen zu bekommen.
Im Anschlusskapitel "Farbkategorien und Sprache" folgt Schawelka im Wesentlichen der Hypothese von Berlin-Kay, die allerdings aktuell kontrovers diskutiert wird und von Kay, dem einen noch aktiven Autor, inzwischen auch schon abgeändert wurde. [1]; [2] Hier lohnt es sicherlich, den aktuellen Diskurs weiter zu verfolgen.
Das Kapitel "Ressource Aufmerksamkeit" befasst sich damit, wie durch die Farbe bestimmte Dinge in der Natur, in unserer gestalteten Umgebung oder auch in der Kunst hervorgehoben oder auch weggetarnt werden (können).
Das Kapitel "Showing Pink - Zur Biologie der Farbe Rosa" beherbergt ein unterhaltsames Sammelsurium zur Funktion der Farbe Rosa bei Tier und Mensch, angefangen von der sexuellen Anziehungskraft eines Bonobo-Hinterteils über das Schminken der Lippen bis hin zur Kirschblüte in Japan.
Das Kapitel "Farbe mit und ohne Oberfläche - Farbe in Bildern" behandelt das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit und zeigt die komplexen Faktoren und Bedingungen auf, unter denen wir Bilder wahrnehmen und welche besondere Rolle die Farbe dabei spielt.
Im abschließenden Kapitel über "Farbstile" kommen die Besonderheiten und Einflüsse von Farben in verschiedenen Kulturen und Zeiten zur Sprache.
Der günstige Preis des Buches wirkt sich auf die Bebilderung aus, die etwas spärlich ausfällt. Was leider fehlt, sind Personen- und Sachregister sowie ein Glossar, da das Buch gerade als Nachschlagewerk von Nutzen wäre.
Insgesamt betrachtet, stellt Schawelkas Buch - mit geringen Einschränkungen - ein fachwissenschaftliches Grundlagenwerk dar, dessen sorgfältiges und kritisches Studium zu einem hohen Grad an Mündigkeit zur Bewertung und Einordnung der einschlägigen Literatur im Bereich der Farbenlehre führen kann, der gerade auf dem Gebiet der Gestaltung, Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik noch lange nicht erreicht, aber doch so dringend notwendig ist!
Anmerkungen:
[1] P. Kay & T. Regier: Language, thought, and color. Recent developments, in: Trends in Cognitive Sciences 10 (2006), No. 2, 1-4.
[2] http://www.icsi.berkeley.edu/~kay
Andreas Schwarz