Mireille Mentré: Spanische Buchmalerei des Mittelalters, Wiesbaden: Reichert Verlag 2006, 285 S., 146 Abb., ISBN 978-3-89500-196-3, EUR 78,00
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Die spanische Buchmalerei des Mittelalters weist zahlreiche Sonderleistungen auf, Gesamtdarstellungen zu diesem Thema liegen jedoch weit zurück. [1] Insofern könnte das vorliegende Buch ein dringendes Desiderat erfüllen. Leider entspricht der Inhalt nicht seinem deutschen Titel, denn Mireille Mentré handelt allein vom Stil der spanischen Malerei des frühen Mittelalters, genauer des 10. und 11. Jahrhunderts. Der Titel der spanischen und französischen Ausgabe gibt den Inhalt wesentlich genauer an (El estilo mozárabe. La pintura hispánica en torno al año mil, Madrid 1994; La peinture mozarabe. Un art chrétien hispanique autour de l'an mil, Paris 1995), während der Titel der englischen Ausgabe in ungefähr der deutschen entspricht (Illuminated Manuscripts of Medieval Spain, London 1996). Obwohl die deutsche Ausgabe mehr als zehn Jahre nach den anderen erschien, hat sich am Text und insbesondere der Bibliografie nichts geändert, sie befinden sich also auf dem Stand der frühen 1990er Jahre. Mehr noch: Alle genannten Ausgaben beruhen auf der Thèse d'État der Autorin von 1981 [2], die um einige Textpassagen erweitert und in der Bibliografie etwas aktualisiert, vor allem aber um zahlreiche ausgezeichnete Farbtafeln bereichert ist; letztere stellen das eigentliche Verdienst dieser opulenten Publikation dar. In der deutschen Übersetzung des französischen Originaltexts ist eine Reihe von Fehlern zu verzeichnen. So wird durchgängig der Terminus 'haut Moyen Âge' (frühes Mittelalter) mit Hochmittelalter übersetzt.
Die deutsche und englische Ausgabe führen zwar den Terminus 'mozarabisch' nicht im Titel, im Text wird er aber durchgängig als Bezeichnung für den Stil der spanischen Malerei des 10. und 11. Jahrhunderts gebraucht. Der Begriff 'mozarabisch', den vor einem Jahrhundert Manuel Gómez Moreno in die kunsthistorische Fachliteratur eingeführt hat [3], ist schlichtweg irreführend und wird deshalb von der modernen (spanischen) Forschung vehement abgelehnt. [4] Denn mit Mozarabern bezeichnet man gemeinhin die in Südspanien unter maurischer Herrschaft lebenden Christen, während die zur Debatte stehende Buchmalerei nahezu ausschließlich aus den von den Mauren nicht besetzten, nordspanischen Königreichen stammt. Deren Kunst ist zwar in Teilen durch die spanisch-islamische Kunst geprägt, aber diese islamischen Elemente dürften nicht durch die aus dem Süden nach Nordspanien eingewanderten mozarabischen Flüchtlinge vermittelt worden sein, sondern durch die in Nordspanien verbliebenen Araber und Berber sowie durch die vielfältigen Kontakte mit dem kulturell überlegenen Kalifat von Córdoba. [5] Der scheinbar griffige Terminus 'mozarabisch' ist für die nordspanische Kunst des frühen Mittelalters also tunlichst zu vermeiden.
Die spanische Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts wird von Mentré, die seit 30 Jahren über diesen Bereich arbeitet und publiziert [6], prinzipiell als eine stilistische Einheit behandelt, deren Motivrepertoire und formale Besonderheiten sie in fünf Kapiteln vorstellt und geistesgeschichtlich deutet (I. Kontext und Charakteristika mozarabischer Malerei, II. Grundlagen und Entwicklung einer besonderen Kunst, III. Rolle und Funktion von Wand- und Buchmalerei, IV. Grafische und malerische Gestaltung, V. Malerei und Spiritualität). Dabei werden Parallelen wie Unterschiede zur spätantiken, byzantinischen, merowingischen und karolingischen Buchmalerei aufgezeigt (allerdings fehlt im Unterschied zur englischen Ausgabe ein Großteil der entsprechenden Vergleichsabbildungen). Wenn als allgemeine formale Charakteristiken der frühmittelalterlichen spanischen Buchmalerei das Vorherrschen einer schematischen Zeichnung und einer wirklichkeitsfernen, kontrastreichen Farbgebung, die Kombination verschiedener Perspektiven und die Verwendung farbiger Hintergrundsstreifen genannt werden, so ist dies zwar allgemein richtig, wird aber in seiner pauschalen Generalisierung den regionalen und zeitlichen Unterschieden nicht gerecht. Eine historische Entwicklung der frühen spanischen Buchmalerei unter zeitlichen und geografischen Aspekten, in einem Buch solchen Anspruchs eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wird nicht versucht, da die Autorin der Auffassung ist, dass die spanische Buchmalerei dieses Zeitraums zu sprunghaft verlief, um eine solche Darstellung zu ermöglichen (vgl. 42, 59, 197). Eine zeitliche und regionale Entwicklung ist jedoch klar zu erkennen und in der bisherigen Forschung auch aufgezeigt worden (vor allem in dem vergleichbaren Buch von John Williams, ebenfalls in verschiedenen Sprachen erschienen). [7] So muss man unterscheiden zwischen den christlichen Handschriften, die aus dem islamisch besetzten Südspanien stammen (also den 'mozarabischen' Handschriften im eigentlichen Sinne), und der nordspanischen Buchmalerei; vor allem muss innerhalb der letzteren zwischen der asturischen Wand- und Buchmalerei des 9. und frühen 10. Jahrhunderts sowie der leonesisch-kastilischen Buchmalerei ab dem zweiten Drittel des 10. Jahrhunderts differenziert werden. [8] Die Autorin deutet zwar sporadisch an, dass ab 950 der "eigentlich mozarabische Stil" einsetze (vgl. 41f., 64, 197), sie geht aber nicht näher darauf ein und verkennt vor allem, dass in der Tat um 930/40 im Figurenstil und der Ornamentik ein starker karolingischer Einfluss sich bemerkbar macht, der zusammen mit einer erneuten Aufnahme islamischer Motive zu der spezifischen Formensprache führt, die man früher 'mozarabisch' nannte. Sie übersieht ebenso, dass zur selben Zeit eine neue stark erweiterte Fassung der Handschriften des Apokalypse-Kommentars des Beatus von Liébana einsetzt (Beatus-Familie II), welche die aus dem 8. Jahrhundert stammende, ursprüngliche Beatus-Illustration verdrängt. [9] Mentré sieht dagegen in den Handschriften der ersten und zweiten Beatus-Fassung Vertreter unterschiedlicher stilistischer Tendenzen und damit auch eines unterschiedlichen spirituellen Ausdrucks.
Damit kommen wir zu dem wohl problematischsten Aspekt des vorliegenden Buches: Mentrés Deutung der spezifischen Formensprache. Sie greift dabei einen vor allem in den 1930er bis 1960er Jahren beliebten methodischen Ansatz auf, der formale Strukturen mit zeitgenössischen geistigen, kulturellen und sozialen Strukturen assoziiert und dadurch spekulativ zu erklären versucht. So behauptet sie zu dem archaisierenden, retrospektiven Stil des 1109 vollendeten Beatus-Kodex aus Silos (London, British Library, MS Add. 116959) [10], dessen "formale Strenge" entspräche der "intellektuellen Struktur und dogmatischen Dimension" der Bilder (113). Noch bezeichnender ist Mentrés Deutung der Farbgebung und speziell der farbigen Hintergrundstreifen eines Teils der spanischen Beatus-Handschriften. Während die jüngere Forschung gezeigt hat, dass spezifische Merkmale der Farbgebung der spanischen Handschriften sich konkret als bewusste Anwendung bestimmter Farbtechniken und ästhetischer Prinzipien der mittelalterlichen Malerhandbücher (wie denen des Heraclius und Theophilus oder der Mappa Claviculae) erklären lassen [11], deutet Mentré die Farbgebung rein spekulativ-assoziativ. So sollen die farbigen Hintergrundstreifen eine "Zerstörung des Bildraums" bewirken und damit "den Weltzustand nahe dem Ende der Zeiten" zum Ausdruck bringen (147f.), während die "Heftigkeit der Farben sowie die starken Kontraste beim Betrachter eine Art Spannung erzeugen" sollen, "die dem Leser hilft, in seiner Meditation die gewohnte, vertraute Sichtweise aufzugeben, um zu einer mehr spirituellen vorzudringen" ( 176). Eine solche Deutung, für die sich keinerlei Beleg in den Textquellen findet, übersieht, dass in Spanien seit der späten Westgotenzeit eine wirklichkeitsferne Darstellungsweise und Schematisierung vorherrschte, ein solcher Stil im 10. und 11. Jahrhundert also kaum beim Betrachter eine "Verstörung" und "Spannung" hervorrufen konnte.
Insgesamt gibt das Buch von Mentré zwar eine lesbare Übersicht zur frühmittelalterlichen Buchmalerei in Nordspanien, beschränkt sich jedoch weitgehend auf den Stil, ist höchst spekulativ und problematisch in seinen Deutungen und geht zu wenig auf historische Entwicklung und regionale Differenzierung ein. Der historische Kontext fehlt nahezu völlig. Wer sich also adäquat informieren will, ist weiterhin auf das kurze, aber äußerst nützliche Buch von Williams angewiesen.
Anmerkungen:
[1] Einige Übersichtsdarstellungen zur Buchmalerei der spanischen Königreiche sowie zur Buchmalerei in Katalonien und Portugal nun in Joaquín Yarza Luaces (ed.): La miniatura medieval en la Península Ibérica, Murcia 2007.
[2] Publiziert unter dem Titel La peinture mozarabe, Paris 1984.
[3] Manuel Gómez Moreno: Iglesias mozárabes. Arte español de los siglos IX a XI, Madrid 1919.
[4] Vgl. zuletzt José María Mínguez Fernández: Colonización y presencia mozárabe en el reino asturleonés. Un tema de debate, in: El legado de al-Andalus. El arte andalusí en los reinos de León y Castilla durante la Edad Media (Simposio Internacional), hg. von Manuel Valdés Fernández, Valladolid 2007, 43-71; Isidro G. Bango Torviso: Un gravísimo error en la historiografía española. El empleo equivocado del término mozárabe, in: ibid., 75-88.
[5] Außer den in Anm. 4 genannten Arbeiten vgl. u.a. F. Rodríguez Mediano: Acerca de la población arabizada del reino de León (siglos X y XI), in: Al-Qantara 15 (1994), 465-472; Gregoria Cavero Domínguez, Los mozárabes leoneses y los espacios fronterizos, in: La Península Ibérica en torno al año 1000 (VII Congreso de Estudios Medievales), Madrid 2001, 229-254. - Zu den Kontakten zwischen Al-Andalus und den nordspanischen Königreichen und ihrer Auswirkung auf die Kunst siehe u.a. Jerrilyn D. Dodds: Islam, Christianity, and the Problem of Religious Art, in: The Art of Medieval Spain a.d. 500-1200. The Metropolitan Museum of Art [Ausst.-Katalog], New York 1993, 27-37.
[6] Vgl. vor allem ihr Buch Contribución al estudio de la miniatura en León y Castilla en la alta Edad Media, León 1976 und ihre Beiträge zu dem Bestandskatalog der Handschriften spanischer Provenienz in der Pariser Nationalbibliothek, siehe François Avril (ed.): Manuscrits enluminés de la péninsule Ibérique. Bibliothèque Nationale, Paris 1982, Nr. 3-34.
[7] John Williams: Early Spanish Manuscript Illumination, New York 1977 (dt. Frühe spanische Buchmalerei, München 1977). Vgl auch den kurzen Abschnitt in Peter K. Klein: Der ältere Beatus-Kodex Vitr. 14-1 der Biblioteca Nacional zu Madrid. Studien zur Beatus-Illustration und der spanischen Buchmalerei des 10. Jahrhunderts, Hildesheim 1976, 298-304.
[8] Katalonien gehört seit der Zeit Karls des Großen zum karolingischen bzw. französischen Einflussbereich und folgt deshalb nicht der spanischen Entwicklung.
[9] Vgl. zuletzt ausführlich John Williams: The Illustrated Beatus. A Corpus of the Illustrations of the Commentary on the Apocalypse, I, London 1994, 53-97.
[10] Siehe Ann Boylan: Manuscript Illumination at Santo Domingo de Silos, Xth to XIIth Centuries, Ph.D. diss., University of Pittsburgh 1990 (Ann Arbor 1999), 43-115; John Williams: The Illustrated Beatus. A Corpus of the Illustrations of the Commentary on the Apocalypse, IV, London 2002, 31-40.
[11] Vgl. Otto Karl Werckmeister: Art of the Frontier. Mozarabic Monasticism, in: The Art of Medieval Spain (wie Anm. 5), 121-132, bes. 127f.; Jean-Claude Bonne: Penser en couleurs. À propos d'une image apocalyptique du Xe siècle, in: Die Methodik der Bildinterpretation. Les méthodes de l'interprétation de l'image, hg. von Andrea von Hülsen-Esch / Jean-Claude Schmitt, II, Göttingen 2002, 355-378, bes. 364ff.
Peter K. Klein