D.S. Chambers: Popes, Cardinals and War. The Military Church in Renaissance and Early Modern Europa, London / New York: I.B.Tauris 2006, xxii + 234 S., ISBN 978-1-84511-178-6, GBP 25,00
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Ist es möglich, Gewalt geistlich zu begründen und den Krieg als Mittel zur Behauptung christlicher Werte gegenüber einer feindlichen Welt zu legitimieren? Die Kirche vergangener Zeiten hat darauf bekanntlich mit Ja geantwortet: Die Kreuzzüge waren das berühmteste - und heute nach wie vor erinnerte - Beispiel der Legitimation des Krieges seitens der Kirche. Das Verdienst dieses Buches ist es, uns daran zu erinnern, dass das Papsttum lange Zeit hindurch Gewaltanwendung noch zu einem anderen Zweck gerechtfertigt hat, nämlich im Hinblick auf die Bewahrung und Erweiterung des territorialen Besitzes des Apostolischen Stuhls, d.h. des Kirchenstaates.
Um diese beiden konzeptionellen Ansätze zu unterscheiden, die sich in der Wirklichkeit oft überlagern, aber in der Theorie durchaus divergieren, verwendet Chambers die zwei verschiedenen Begriffe des "heiligen Kriegs" bzw. des Kreuzzugs und des "päpstlichen Kriegs" (papal warfare). Dieses letztere Phänomen, d.h. der päpstliche Krieg erscheint sogar früher als der Kreuzzug, war aber auch ein heiliger Krieg, der sich für die Päpste des Frühmittelalters aus der Notwendigkeit ableitete, die Stadt Rom und das so genannte Patrimonium Petri (d.h. das nördliche Latium) gegen die Anschläge christlicher oder heidnischer Feinde zu verteidigen.
Der territoriale Besitz der Kirche wurde als unerlässliche Garantie für die politische Unabhängigkeit des Papsttums angesehen und insofern sakralisiert: Seine Verteidigung erlaubte Gewaltanwendung, die geradezu verdienstvoll wurde für den, der sein Leben für diesen Zweck opferte. Wie gesagt, der "päpstliche Krieg" war konzeptionell gesehen etwas anderes als der Kreuzzug; dennoch konnten sich in der Praxis beide Phänomene überlagern. Im Fall äußerster Notwendigkeit haben die Päpste des Mittelalters nicht gezögert, den Kreuzzug auszurufen, auch wenn es darum ging, Teile ihres territorialen Besitzes zu erobern oder zurückzuerobern, z.B. in der Gegend der Romania. Kurzum, päpstlicher Krieg und Kreuzzug waren austauschbar, zumindest in kritischen Augenblicken.
Ein besonders gut behandelter Aspekt in diesem Buch ist die Gestalt des Kardinals, der mit der Durchführung des päpstlichen Kriegs betraut ist. Aus dem systematischen Einsatz von Gewalt zum Schutz und zur Erweiterung des territorialen Besitzes der Kirche ergab sich für die Päpste die Notwendigkeit, über einen verlässlichen wehrhaften Handlanger zu verfügen. Zunächst wählten die Päpste zu Anführern ihrer Heere ihre weltlichen Neffen oder andere Verwandte in Anbetracht der Regel des kanonischen Rechts, die den Geistlichen das Blutvergießen verwehrt; aber auch wenn sie niemals verschwand, war die Gestalt des Laienneffen nicht vorherrschend. An ihrer Stelle setzte sich die Figur des Kardinal-Kondottiere durch, dessen Prototyp der berühmte spanische Kardinal Egidio Albornoz war, der zwischen 1353 und 1367 mit gnadenlosen Methoden einen Großteil Mittelitaliens zugunsten des Papsttums unterwarf, das damals in Avignon residierte.
Nach dem Machtverfall, wie er sich aus dem Schock des großen Schismas im Abendland ergab, machte sich das römische Papsttum in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts an das Werk des Wiederaufbaus des Kirchenstaates und bediente sich dabei erneut der Kardinal-Kondottiere. Der erste war Giovanni Vitelleschi, den Eugen IV. berief, um die Vormacht der Colonna zu brechen, jener Familie, der sein Vorgänger Martin V. angehörte, und um die Kontrolle über Latium wiederzuerlangen. Als Vitelleschi eine Machtstellung erlangte, die dann eben jenen Eugen IV. erschreckte, beschloss dieser, ihn auszuschalten. Dazu bediente er sich eines anderen Kardinals mit kriegerischem Temperament, Ludovico Trevisan, der zum neuen Anführer des päpstlichen Heeres berufen sowie mit dem Amt des Kämmerers betraut wurde, was ihm beträchtliche Renditen und die Oberaufsicht über die Regierung des Kirchenstaates eintrug.
Nach dem Tod Eugens V. blieb Kardinal Trevisan, wie vorauszusehen war, im Kardinalskollegium einer der gefürchtetsten Widersacher der folgenden Päpste: Er verkörperte also ein Modell, das keinesfalls nachahmenswert war. Die Entflechtung von militärischen und institutionellen Ämtern, die unterschiedlichen Typen von Kardinälen zuzuweisen waren: Dies war das vernünftige Prinzip, das Pius II. Piccolomini befolgte, der berühmte Papst und Humanist, der auch ein aktiver Kriegstreiber und Spezialist für Militärgeschichte war. Mit bemerkenswertem Augenmaß wählte Pius II. Kardinal Niccolo Forteguerri zu seinem wichtigsten militärischen Mitarbeiter, einen weitläufigen Verwandten, der weder Renditen noch Ehren erhalten, sondern nur getreulich seine eigenen Befehle ausführen sollte. Zur Zeit des Papstes Piccolomini geriet die römische Kirche nunmehr in eine Situation quasi permanenter Kriegführung gegen die anderen italienischen Staaten, die ihre politische und militärische Macht fürchteten; aber gelegentlich konnte das Papsttum mit einigen von ihnen Bündnisbeziehungen eingehen. Im Allgemeinen war eine der größten Gunstbezeugungen, die der Papst einem Fürsten gewähren konnte, die, einem Angehörigen der Dynastie den roten Hut zu verleihen. Auf diese Weise entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine neue Kategorie von Kardinälen, der fürstliche Kardinal aus einer italienischen Adelsfamilie: Zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert wurden verschiedene Mitglieder dieser Kategorie als Kardinals-Kondottiere zur Befehligung der päpstlichen Truppen beschäftigt.
Der erste Vertreter dieser Kategorie war Francesco Gonzaga, ein Sohn des Markgrafen von Mantua, dem Chambers schon eine gut dokumentierte Biographie und eine Reihe von Einzelaufsätzen gewidmet hat. Es folgten andere Mitglieder berühmter Fürstendynastien wie Giovanni d'Aragona, Ascanio Sforza und Hippolit d'Este, die alle im Umkreis von Waffen und Soldaten aufgewachsen waren. Aber selbst die Kardinals-Neffen nahmen in diesen Zeiten entschieden martialische Gesichtszüge an, wie der Fall von Giuliano della Rovere beweist, der Kardinals-Neffe von Sixtus IV., der seinerseits als Julius II. Papst wurde: Der Pontifex der Renaissance, der sich unsterblichen Ruhm erwarb, sowohl als Mäzen wie auch als Kriegsheld.
Mit der Gestalt Julius' II. können wir diese Rezension abschließen, mit dem Hinweis allerdings, dass das Buch nicht hier endet, sondern die kriegerischen Aktivitäten des Papsttums noch weiter in den folgenden Jahrhunderten bis hinein ins 19. Jahrhundert Revue passieren lässt. Jedoch ist in unseren Augen der der Renaissance gewidmete Teil der interessanteste und lebendigste des ganzen Werkes, auch auf Grund der starken Persönlichkeiten, die dort heraufbeschworen werden. Giuliano della Rovere häufte im Lauf der langen Jahre seiner Amtszeit eine beträchtliche Reihe von Erfahrungen auf militärischem Gebiet an, sei es als mit der Kriegführung betrauter Kardinal, sei es als Mitstreiter der französischen Könige bei ihren Expeditionen in Italien zwischen 1494 und 1499. Noch als Papst nutzte er seine Vertrautheit mit militärischer Führung und bei wohl zwei Gelegenheiten stand er persönlich an der Spitze des päpstlichen Heers. Das erste Mal 1506, als er Perugia und Bologna der direkten Herrschaft des Heiligen Stuhls unterwarf. Das zweite Mal 1511, als er die Festung von Mirandola eroberte, wobei er selbst die Rüstung anlegte und seine Soldaten zu Ungeheuerlichkeiten antrieb, die der Himmel einst verzeihen würde. Bekanntlich erregten solche Vorgehensweisen das Missfallen der Zeitgenossen und wurden zur Zielscheibe des Julius exclusus, jenes anonym erschienenen satirischen Gedichtchens, das traditionellerweise dem Erasmus zugeschrieben wird, das allerdings Chambers in seinem Werk der Feder des englischen Humanisten Richard Pace, des Sekretärs von Kardinal Bainbridge, zuschreiben möchte.
Wenn wir zum Schluss die Stärken und die Schwächen dieses Werks zusammenfassen, so ist zu sagen, dass die ersteren die letzteren überwiegen. Ein gewichtiger Vorzug von Chambers' Untersuchung liegt in der überaus reichhaltigen Dokumentation, die sie zu einer Fundgrube für bisweilen noch unveröffentlichte Informationen macht; hinzukommt zu all dem das Vergnügen der Lektüre, bei der auch die pfiffige, typisch englische Ironie nicht fehlt. Einen Schwachpunkt kann man in dem ausschließlich deskriptiven und phänomenologischen Zuschnitt erkennen, also in seinem Verzicht a priori auf irgendeine Form der Konzeptualisierung und der Kategorisierung eines Phänomens wie etwa der päpstliche Krieg, der komplexe interpretative Probleme stellt, nicht zuletzt solche theologischer Art. Der angelsächsische Empirismus des Verfassers überlässt diese Aufgabe dem theoriefreudigen deutschen Leser.
Marco Pellegrini