Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Staatlichen Museen - Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Hgg.): preußisch korrekt. berlinisch gewitzt. Der Maler Franz Krüger 1797-1857. Eine Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und der Nationalgalerie und des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 256 S., ISBN 978-3-422-06688-5, EUR 29,90
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Franz Krüger gehört zu den Künstlern, die im späten 19. Jahrhundert "wiederentdeckt" wurden. Seine Bilder nehmen - zumal, wenn es um das Berlin der Biedermeierzeit geht - einen festen Platz im kollektiven Bildgedächtnis ein. Einzelausstellungen zu diesem Künstler gab es freilich bislang selten. Umso verdienstvoller ist es, dass 2007 aus Anlass seines 150sten Todestages eine Ausstellung in Berlin einen Einblick in dessen facettenreiches Schaffen bot.
Der hervorragend ausgestattete Katalog liest sich als ein überzeugendes Plädoyer für die Bedeutung und das Können dieses Künstlers. Dem chronologisch geordneten Katalogteil sind sieben Aufsätze vorgeschaltet, die verschiedene Facetten von Krügers Schaffen beleuchten. Eine Einführung in Leben und Werk bietet Gerd Bartoschek. Helmut Börsch-Supan vertieft den biografischen Ansatz, indem er die künstlerische Laufbahn des Malers in den Blick nimmt und kontextualisiert. Renate Franke deutet Krügers "Paradebilder" als "Zeitgeschichtsbilder". Wasilissa Pachomova-Göres verfolgt die bislang unterschätzten Verbindungen zu Russland, wobei sie aufgrund des gesichteten Materials neue Ergebnisse zur Entstehung von Krügers Hauptwerken beizubringen vermag. Als bedeutender Zeichner und Grafiker wird der Künstler von Sigrid Achenbach behandelt. Dem Stellenwert der Pferdemalerei in der Zeit des als "Pferde-Krüger" bekannt gewordenen Malers geht Bernhard Maaz in "hippologischen" Studien nach. Birgit Verwiebe thematisiert schließlich die Rezeption Krügers von der "Wiederentdeckung" in der von Max Jordan organisierten Berliner Ausstellung von 1881 bis hin zur gegenwärtigen Präsentation seiner Bilder in der Berliner Nationalgalerie.
In Krügers Œuvre nehmen die Paradebilder eine besondere Stellung ein: Mit der "Parade auf dem Opernplatz in Berlin" von 1829/30 entwickelt er einen gattungsgeschichtlich neuen Typus. Dabei kehrt er die traditionellen Wertigkeiten um, verlegt die eigentliche Parade in den Hintergrund und erhebt das in Porträts wiedergegebene, größtenteils bürgerliche Publikum zum Hauptakteur. Die Radikalität dieser Umkehrung wird in den meisten Beiträgen herausgestrichen: Krüger habe "die Welt auf den Kopf" gestellt (Bartoschek, 12). Pachomova-Göres betont das Risiko, das Krüger hierbei einging und bezeichnet dessen Vorgehen als eine "nach damaligen Vorstellungen unerhörte Dreistigkeit." (45) Während sie die Frage offen lässt, ob hier ein "bewusster Akt der Aufhebung herkömmlicher Paraden-Bildordnung" vorliegt oder ob "Krüger, was eher scheint, sich einfach mit der naiven Sicherheit eines Naturtalents von seinem künstlerischen Instinkt leiten ließ" (47), wertet Renate Franke Krügers "kühne und eigenmächtige Initiative zur Neubesetzung der alten Bildhierarchien" (35) als bewussten Akt. Generell sieht sie ein gesellschaftskritisches Moment in den Bildern dieses Künstlers, das sie nicht zuletzt am Atmosphärischen festmacht: So deutet sie den "Marsch preußischer Kavallerie" von 1820 als "realistisch gefasste[s] Sinnbild der von 'Demagogenverfolgung', Versammlungsverbot, Zensur und Polizeiüberwachung geprägten Zeit" (35) und die "Parade in Potsdam im Jahre 1817" von 1849 als "Stimmungsbild der als 'unglückselig' empfundenen Gegenwart." (40)
Mit dem Hinweis, dass Friedrich Wilhelm III. selbst den "Marsch preußischer Kavallerie" erwarb, tritt Börsch-Supan einer solchen Deutung entgegen (23). Dies führt zu einem Grundproblem bei Krüger: Dass sich gerade in den Paraden das bürgerliche Selbstverständnis zu spiegeln vermochte, belegen zahlreiche zeitgenössische Quellen (vgl. Franke, 35). Gleichzeitig ist aber auch der Erfolg des Malers bei seinen adligen Auftraggebern unbestreitbar. Es ist daher zu fragen, wie "subversiv" dessen Bilder tatsächlich sind und ob sie von den Auftraggebern wirklich nur aufgrund von "Charme, Geschick, Kunst und Witz" akzeptiert wurden (Franke, 36). Letztlich repräsentieren sie ja auch ein Einverständnis des Bürgertums mit den höfischen Zeremonien. Das Bemerkenswerte an Krügers Paraden scheint gerade ihre Konsensfähigkeit zu sein. Offensichtlich erwiesen sie sich sowohl für das dargestellte Bürgertum als auch für den auftraggebenden Adel als überaus attraktiv. Franke selbst belegt mit ihren spannenden Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Huldigungsbildes für Friedrich Wilhelm IV. von 1840-43, wie ein von den "niederen Ständen" in Auftrag gegebenes Werk vom Monarchen zu einem Beleg für die Königstreue des Volkes instrumentalisiert wurde. Krügers Bilder stellen sich einer solchen interpretatorischen Aneignung nicht entgegen. Sie erweisen sich geradezu als "deutungsoffen".
Man kann die Frage nach der "Verbürgerlichung" auch auf der Ebene der Bildauffassung stellen. Franke verortet das Werk Krügers in einer Zeit, in der "die von Allegorie und Symbolik bestimmte Historienmalerei der höfischen Welt [...] nicht länger aussagefähig" gewesen sei (32). Sie konstatiert allerdings auch, dass im Zuge der Restauration das "Interesse am Zeitgeschehen" rasch versiegte und die Malerei sich insbesondere der Geschichte zuwandte, wobei sie auf die Düsseldorfer Malerschule (Carl Friedrich Lessing) verweist (35). Die Entgegensetzung von Krügers "ernüchternden Wirklichkeitssinn" und den "gedankenschweren, ebenfalls perfekt gemalten Historienbildern" der Düsseldorfer findet man auch bei Börsch-Supan (24). Wenn Franke zu der Feststellung gelangt, dass Krüger nunmehr "zu den sehr wenigen Malern" gehörte, "die zur eigenen Zeit Stellung bezogen" (35), so wird damit das paradoxe Verhältnis von Geschichte und Gegenwart im Vormärz allerdings nicht angemessen erfasst. Für das bürgerliche Selbstverständnis waren die Historien Lessings letztlich doch von größerer Gegenwartsrelevanz als die Paraden Krügers. Zweifel weckt auch Frankes Zuordnung von Allegorie und höfischer Malerei einerseits und Realismus und Bürgerlichkeit andererseits. Es wäre eine Untersuchung wert, ob nicht der unterhaltsam-deskriptive Realismus Krügers gerade auch dem adligen Kunstverständnis weitaus besser entsprach als etwa die hochfliegenden, aufgrund ihrer Komplexität schwerer "beherrschbaren" Allegorien der Nazarener, in denen das Königtum letztlich unter die Herrschaft der Kunst gestellt wird. Man kann hier auf die Malerei der Cornelius-Schule in München verweisen, die Ludwig I. von Bayern feierte, ohne sich mit den Kunstvorstellungen des Königs zu decken.
Generell erfährt die schon im späten 19. Jahrhundert konstruierte Verbindung von "Realismus" und "Bürgerlichkeit" im Ausstellungskatalog eine Fortschreibung. Bereits 1881 sah Adolf Rosenberg in Krüger ein "Missing Link" zwischen Daniel Chodowiecki und Adolf Menzel. Dies wird in den meisten Aufsätzen des Katalogs aufgegriffen, welche Krüger in eine dem "Realismus" verpflichtete Berliner Lokaltradition einordnen (u.a. bei Börsch-Supan, 20; Franke, 31; Achenbach, 65 mit unmittelbaren Bezug auf Rosenberg). Dies ist an sich durchaus plausibel und nur dann problematisch, wenn man die konstruierte Teleologie solcher Verortungen nicht reflektiert oder sie gar mit einer Wertung verbindet. Dieser Gefahr entgeht der ansonsten überaus verdienstvolle, anschauliche und informative Katalog nicht immer. Neben der Reflexion über die historische Wiederentdeckung Krügers im späten 19. Jahrhundert findet sich immer wieder eine bruchlose Fortschreibung der polemischen Grundhaltung, aus der diese Revision erfolgte. Und so fragt man sich, ob die Kunstgeschichte nicht mittlerweile einen Stand erreicht haben sollte, von dem aus sie den unzweifelhaften Qualitäten Krügers gerecht werden kann, ohne diese gegen andere, mittlerweile wiedererschlossene Felder der Kunst des 19. Jahrhunderts ausspielen zu müssen.
Christian Scholl