Rezension über:

Jochen Bedenk: Verwicklungen. William Hogarth und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts (Lessing, Herder, Schiller, Jean Paul) (= Stiftung für Romantikforschung; Bd. XXVIII), Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, 259 S., ISBN 978-3-8260-2894-6, EUR 39,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Ekaterini Kepetzis
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Alexis Joachimides
Empfohlene Zitierweise:
Ekaterini Kepetzis: Rezension von: Jochen Bedenk: Verwicklungen. William Hogarth und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts (Lessing, Herder, Schiller, Jean Paul), Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12 [15.12.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/12/14274.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Jochen Bedenk: Verwicklungen

Textgröße: A A A

Das hier angezeigte Buch von Jochen Bedenk, der seit 2007 als wissenschaftlicher Koordinator der Kooperationsbeziehungen des Exzellenzclusters "Kulturelle Grundlagen der Integration" in Konstanz arbeitet, ist seine im Jahre 2003 von der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Fachgebiet der Germanistik angenommene Dissertation.

Der Autor untersucht in seiner Studie die Rezeption von William Hogarth in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der deutschen Literatur und verlässt die bekannte Fokussierung auf die Besprechungen Lichtenbergs, um spannendes Neuland zu betreten. Der Titel "Verwicklungen" bezieht sich auf den von Hogarth in seinem 1753 publizierten Kunsttraktat Analysis of Beauty geprägten Begriff der "Intricacy" sowie die von ihm als Inbegriff der Schönheit aufgefasste und insbesondere in Darstellungen des Tanzes realisierte s-förmige Schönheitslinie.

Bedenk geht zunächst von Hogarths legendärem letzten Stich, "The Bathos" (1764), aus und legt eine kenntnisreiche und in Teilen neue ikonografische und strukturelle Interpretation des umstrittenen und als künstlerisches Vermächtnis des Grafikers aufgefassten Blattes vor (19-77). Überzeugend gelingt ihm dabei der Nachweis eines engen Zusammenhangs zwischen Hogarths kunsttheoretischen Überlegungen und seiner künstlerischen Arbeit. Rekurrierend auf die von Antal und Busch [1] explizierte Theorie der "Borrowings" - Zitate von Werken Boschs, Dürers, Bruegels u.a. - weist Bedenk deren mithilfe von Modifikationen erzielte Instrumentalisierung durch Hogarth auf. Einzelne Details seiner Analyse könnte man dabei weiter diskutieren. Die immer wieder in der Literatur konstatierte Überfrachtung des Stiches mit diversen Vanitas-Symbolen deutet der Autor plausibel als Kommentar Hogarths zur Debatte um das Erhabene und die angebliche Überlegenheit akademischer Historienmalerei.

Bedenk legt - Bezug nehmend auf Schriften Jacques Derridas - mit seinen Fragen nach Autoreflexionen, der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus, mit Zeitlichkeit und ihrer Visualisierung bis hin zu einer "Negation der christlichen Eschatologie" (33) neue Bezugsebenen des Stiches und seiner ambivalenten Lesarten offen. Interessant ist vor allem Bedenks Erkenntnis, dass Hogarth in diesem Werk letztlich "mehrere fruchtbare Momente" (49) vorführt und so tradierte Sehgewohnheiten nachhaltig erschüttert. "Verschränkungen von Bewegung, Ort und Zeit" (57) verfolgt der Autor nicht nur in dieser Grafik, sondern beleuchtet ihre Diskussion von Platon bis in die zeitgenössische englische Literatur bei Burke, Hume oder Sterne.

Bedenk erkennt in dem Spannungsfeld zwischen dem Schönen und dem Abgründigen ein wesentliches Charakteristikum der Hogarth'schen Werke sowie von dessen Ästhetik und zugleich den Ansatzpunkt der Auseinandersetzungen von Lessing, Herder, Klopstock, Schiller und Jean Paul mit dem englischen Künstler. Die in Hogarths "Bathos" prägnant visualisierte Grenzerfahrung des Abgrundes dient ihm als Leitmotiv für seine weiteren Überlegungen. Er zeichnet nach, inwieweit die von ihm betrachteten Autoren hofften in der Schönheit den unabwendbar scheinenden Nihilismus zu sublimieren, welcher infolge der Infragestellung tradierter christlicher Erlösungsvorstellungen durch Aufklärungsphilosophie und sodann Französische Revolution drohte. Obgleich seine Arbeit hier vor allem eine sprach- und literaturwissenschaftliche Analyse ist, verliert Bedenk nie den konkreten Bezug des jeweiligen Literaten auf Hogarth aus den Augen. Immer wieder gibt er Belege der Rezeption aus dessen Briefen oder Schriften und demonstriert die intensive Beschäftigung deutscher Autoren mit dessen Œuvre.

Nachdem Bedenk mit dieser an den Anfang gestellten Fallstudie wesentliche Punkte seiner Fragestellung angerissen hat, wendet er sich der Rezeption dieser Probleme in der deutschen Literatur der folgenden Jahrzehnte zu. Der Verfasser reflektiert dabei einerseits konkrete Auseinandersetzungen mit Hogarths Werk und seinem Kunsttraktat insbesondere in den ästhetischen Schriften Lessings, Herders, Schillers und Jean Pauls, andererseits die literarisch-poetische Adaption von Tropen, Figuren und Vorstellungen Hogarths in konkreten Texten. Hier seien vor allem Bedenks Ausführungen zu Kloppstocks "Eislaufoden", in welchen Bedenk zu Recht einen Reflex von Hogarths "Line of Beauty" erkennt (129-141), sowie seine intensive Auseinandersetzung mit Jean Pauls "Siebenkäs" (182-233) genannt.

Es gibt nur wenige Wehrmutstropfen in einer ansonsten sehr inspirierenden Lektüre: Die Untergliederung der Bibliografie in nicht weniger als fünf Unterverzeichnisse - Literarische und autobiografische Texte; Ästhetik-, literatur- und kulturtheoretische Texte; Forschungsliteratur zu William Hogarth; Forschungsliteratur zu Jean Paul; Lexika, Nachschlagewerke und sonstige Medien - ist irritierend und erschwert die Suche nach konkreten Titeln unnötig. Bedauerlich ist auch, dass der Autor auf einen Index verzichtet.

Bedenks Untersuchung ist von höchster inhaltlicher und vor allem sprachlicher Komplexität und Dichte, welche - dies sei nicht verschwiegen - dem Leser einiges an Konzentration und auch an wiederholtem Lesen abverlangen. Jedoch ist der Lohn dieser Mühen groß: Der Autor legt eine in großen Teilen innovative Studie zur deutschen Ästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor. Sie erschließt nicht nur kunsthistorische, sondern auch literaturwissenschaftliche, philosophische, wissenschaftshistorische sowie ästhetische Aspekte und Fragestellungen einer Zeit an der Schwelle zur Moderne neu. Diese berühren letztlich auch Probleme unserer eigenen Zeit. Es ist daher nur folgerichtig, dass Bedenk seine Studie mit einem Text Robert Gernhardts einleitet und mit Peter Handke beschließt.


Anmerkung:

[1] Frederick Antal: "Hogarth and his Borrowings", in: The Art Bulletin 29 (1947), 36-48; Werner Busch: Nachahmung als bürgerliches Kunstprinzip. Ikonographische Zitate bei Hogarth und seinen Nachfolgern. Hildesheim / New York 1977.

Ekaterini Kepetzis