Rezension über:

Torsten Hoffmann / Gabriele Rippl (Hgg.): Bilder. Ein (neues) Leitmedium?, Göttingen: Wallstein 2006, 232 S., ISBN 978-3-8353-0089-7, EUR 22,00
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Rezension von:
Marius Rimmele
Arbeitsgruppe Kunstwissenschaft, Universität Konstanz
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Marius Rimmele: Rezension von: Torsten Hoffmann / Gabriele Rippl (Hgg.): Bilder. Ein (neues) Leitmedium?, Göttingen: Wallstein 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/12141.html


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Torsten Hoffmann / Gabriele Rippl (Hgg.): Bilder

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Dieser Sammelband, das Ergebnis einer Ringvorlesung, organisiert von der Komparatistik der Georg-August-Universität Göttingen und der Amerikanistik der Universität Bern, verspricht in seinem Titel der Frage nachzugehen, ob Bilder die Rolle eines Leitmediums unserer Tage erlangt haben und inwiefern dies tatsächlich das Ergebnis neuester Entwicklungen ist. Die attraktive Titelgestaltung legt zudem nahe, dass Geschwindigkeit (der Rezeption und Distribution?) dabei eine Rolle spielt und die Schrift selbst schon angegriffen bzw. "verbildlicht" wird. Stellen hier nun die genuinen "Textdisziplinen" gleichsam aus der Defensive die Frage nach "den Bildern"? Nein, es sind letztlich mit Gabriele Rippl, die einen Überblick über Fragen der Ekphrasis und der Intermedialität in der Anglistik/Amerikanistik gibt, und dem Germanisten Gilbert Heß, der eine kenntnisreiche, aber weitgehend thesenlose Einführung in das frühneuzeitliche Emblem bietet, nur zwei Literaturwissenschaftler mit Aufsätzen vertreten. Zwei Vertreter der Medienwissenschaften, der Kunstgeschichte und der Philosophie sowie ein Ägyptologe, ein Historiker und ein Vertreter der Europäischen Ethnologie erweitern die - angesichts der Fragestellung - erstaunlich geisteswissenschaftliche und erstaunlich wenig zeitgenössisch orientierte Palette.

In der kurzen Einleitung werden die ambitionierten Ziele der Vorlesung/des Buches ausgeführt, "einerseits die Geschichte des Bildes nachzuzeichnen, andererseits den aktuellen Stand einer facettenreichen, fächerübergreifenden Debatte um Bilder und Bildwissenschaft vorzustellen" (8). Die Frage nach dem (neuen) Leitmedium sei dabei die "Leitfrage der Beiträge" (8). Das stimmt nun nicht, bzw. nur in dem Maße, in dem eben jeder zu dieser Frage beiträgt, wenn er oder sie über Bildtheorie bzw. die Bewertung oder Funktion des Bildes in einem bestimmten (historischen) Verwendungszusammenhang forscht. Das Ganze entpuppt sich als Etikettenschwindel, und man sieht sich mit einem weiteren Sammelband konfrontiert, der die Frage nach dem Bild als solche für so aktuell hält, dass man sie als Klammer für die Beiträge verschiedenster Couleur nutzen kann. Mit diesem zu Druckdatum seit deutlich über zehn Jahren erprobten Konzept kann man tatsächlich nach eineinhalb Seiten Einleitung mit einer Zusammenfassung der Beiträge beginnen, denn fast jeder Interessierte kennt dergleichen bereits.

Nachdem die spezifische Qualität dieses Bandes also doch nicht in der Kohärenz seines theoretischen Zugriffs gesucht werden kann, wird man als Leser wie als Rezensent auf die Qualität der Einzelbeiträge zurückgeworfen, die zum großen Teil von namhaften Vertretern ihrer Fächer stammen. Dies macht einen Unterschied aus zu denjenigen bildwissenschaftlichen Publikationen, die aus Nachwuchsforschergruppen stammen [1], muss aber nicht zwingend ein Vorteil sein, wenn man sich in der Materie bewegt und auf der Suche nach neuen Stimuli oder Einsichten ist. So war der Vortrag von Sybille Krämer über die bildhaften Aspekte von Schrift und anderen Notationssystemen, die Informationen auf einer zweidimensionalen Fläche topologisch organisieren, ohne Zweifel ein Highlight für die anwesenden Studierenden, inhaltlich speist er sich nahezu vollständig aus früheren Publikationen. Ähnliches gilt für den Entwurf einer Bildwissenschaft als interdisziplinärem Unternehmen von Klaus Sachs-Hombach. Sollte jemand die fraglichen Ansätze der beiden Autoren noch nicht kennen, so bieten die Aufsätze klar verständliche und präzise Darstellungen zentraler bildwissenschaftlicher Probleme. Auch Christiane Kruse lässt sich vonseiten der Kunstwissenschaft hier zurechnen und auch ihre Ausführungen über den "Ursprung der Bilder aus der Furcht vor Tod und Vergessen" greifen zu weiten Teilen auf Analysen und Thesen ihrer Habilitationsschrift zurück, ergänzt um eine überzeugende Lesart der Portraits-Serie von Hiroshi Sugimoto als interkulturellem Kommentar zu den Merkwürdigkeiten memorialer Bildfunktionen unserer Tradition. Unzweifelhaft sind das wichtige und lesenwerte Beiträge zur bildwissenschaftlichen Großbaustelle, aber eine thematisch derart offene Zusammenführung wäre doch eigentlich nur dann noch ein Desiderat, wenn man die Ansätze nicht ohnehin schon vor diesem Horizont verorten würde.

Anregender sind da für den Kunsthistoriker naturgemäß die Beiträge weniger vertrauter Fächer wie der des Ägyptologen Gerald Moers, der unter dem Titel "Bildfunktionen im pharaonischen Ägypten" aufschlussreiche Einblicke in das Verhältnis eines kollektiv geteilten Menschenbilds zu seinen materiellen Ausprägungen in Bild und Text erlaubt. Er zeigt, wie gerade der Körper des Menschen, real wie repräsentiert, als "primäre Projektionsfläche zur Auszeichnung von Differenzen in Menschenbildfragen" (163) diente. Je weniger markiert und je statischer, desto mehr bot der Körper Evidenz einer gesellschaftlich respektablen Position. Nebenbei macht er die Voraussetzungshaftigkeit ägyptischer "Kunst" deutlich, zeigt vorzüglich, wie abhängig alle visuellen Repräsentationen von den Mustern kultureller Selbstwahrnehmung und -beschreibung sind. Ähnliches gelingt auch dem Ethnologen Walter Leimgruber, der am Beispiel von Werbekampagnen auf die Persistenz kollektiver Fremdbilder bzw. der Bilder von "Anderen" hinweist. Selbst im Falle von Ironisierungsstrategien, wie auch solchen der Verhüllung und der Demaskierung zeigt sich, wie problematisch das (gut gemeinte) Spiel mit Stereotypen sein kann, wenn man die mnemonische und urteilsbildende Kraft des stereotypen Bildes unterschätzt und etwa auf einen kleinen hinzugedruckten Satz als Korrektiv vertraut. Insofern es sich um relativ aktuelle Schweizer Kampagnen handelt, ist Leimgruber damit - wie auch Habbo Knochs lesenswerte Reflexionen zum Problem medialer Repräsentation moderner Gewalt - ausnahmsweise tatsächlich der Frage nach der Dominanz des zeitgenössischen Bildes auf der Spur. Wer den Impact und die Eigenlogik der Bilder verkennt, kann ihnen weder theoretisch noch praktisch gerecht werden, dieser Einsicht folgt auch der Kunsthistoriker Carsten-Peter Warncke, der mit Roland Barthes (Die helle Kammer) und Lessing (Laokoon) zwei prominenten Bild-Theoretikern eben jenes Verkennen nachweist. Beide kranken demnach daran, dass sie zwar über Wirkungen des Bildes nachdenken, dabei aber zu wenig medienspezifisch verfahren. So lässt sich Barthes Faszination für bestimmte Bilddetails, die bei ihm "klingeln", mit den von ihm ausgeblendeten kompositorischen Grundregeln erklären, und Lessings vermeintlich medienspezifische Differenzierungen, die in einer folgenreichen intellektuellen Abwertung des Bildes münden, scheinen u.a. absichtlich blind für die Tatsache, dass er eine Skulptur und kein zweidimensionales Bild bespricht. Strategisch werden die kognitiv höchst anspruchsvollen allegorischen Bilder und emblematischen Bild-Text-Verbindungen der Frühen Neuzeit abgewertet und die Kategorie der "Kunst" auf technisch-formalistischer Basis gegen das Medium Bild ausgespielt. Das ergänzend beigezogene allegorisch-emblematische Material macht diesen klugen Aufsatz zusätzlich empfehlenswert.

Der Band wird durch zwei Beiträge medienhistorisch ergänzt, aber naturgemäß nicht komplettiert: durch den fotografiehistorischen Beitrag von Herta Wolf, der daran erinnert, wie wenig die frühen fotografischen Verfahren, die sehr experimenteller Natur waren, auf ein Endprodukt Bild als "Werk" abzielten, und durch Kay Kirchmanns vergleichende Darstellung, wie nachhaltig in der Frühzeit von Fotografie und Film definitorische Diskurse auf die folgende Gestalt und Motivwahl Einfluss nahmen.

Nahezu alle Beiträge sind wirklich lesenswert, doch zusammenfassend bleibt die Hoffnung und die Zuversicht zu äußern, dass das Thema "Bild" bedeutsam genug ist und die Bildwissenschaften unterdessen gut genug arbeiten, um ernsthaft thematisch organisierte Sammelbände herauszubringen.


Anmerkung:

[1] Siehe etwa Birgit Mersmann / Martin Schulz (Hgg.): Kulturen des Bildes, München 2006; Ingeborg Reichle / Steffen Siegel / Achim Spelten (Hgg.): Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, Berlin 2007; Inge Hinterwaldner u.a. (Hgg.): Topologien der Bilder, München 2008.

Marius Rimmele