Rezension über:

Jutta Zaremba: New York und Tokio in der Medienkunst. Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung, Bielefeld: transcript 2006, 233 S., 31 Abb., ISBN 978-3-89942-591-8, EUR 25,80
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Rezension von:
Ingmar Lähnemann
Kunsthalle, Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Ingmar Lähnemann: Rezension von: Jutta Zaremba: New York und Tokio in der Medienkunst. Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung, Bielefeld: transcript 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 5 [15.05.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/05/12371.html


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Jutta Zaremba: New York und Tokio in der Medienkunst

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Gegenstand von Jutta Zarembas Dissertation sind die Städte New York und Tokio als Themen von Medienkunstwerken. Mit einem interdisziplinären Forschungsansatz leitet sie aus Urbanismusdebatten zu beiden Städten deren "urbane Mythen" ab. Demnach stellt New York ein Paradigma für eine musealisierte Stadt des 20. Jahrhunderts dar, während Tokio für die Mediatisierung des 21. Jahrhunderts steht. Zaremba folgt dem Gedanken, dass sich bestimmte angenommene Charakteristika der beiden Metropolen in der Medienkunst wiederfinden. Form und Inhalt der Auseinandersetzung mit den urbanen Mythen beider Städte sollen dabei Analyse- und sogar Bewertungsparameter für Medienkunstwerke bieten. Gleichzeitig behandelt die Medienkunst zu beiden Metropolen laut Zarembas These in besonderer Weise urbane Mythen und kann damit die Urbanismusdebatten bereichern.

Die Arbeit ist klar strukturiert: Nach einer kurzen Einleitung stellt sie auf allgemeiner Ebene urbane Mythen zu New York und Tokio dar. Sie bedient sich dazu sehr divergierender Quellen, etwa wissenschaftlicher Untersuchungen, Reiseführern oder Internetseiten. Im zweiten Teil definiert sie die Begriffe Musealisierung und Mediatisierung von deren Etymologie bis zu ihren philosophischen, soziologischen und städtebaulichen Dimensionen. Im dritten Teil der Arbeit charakterisiert Zaremba Medienkunst allgemein und definiert Videokunst, Musikvideo, künstlerische CD-Rom, Netzkunst und Computerinstallation als deren Formen. Der vierte Teil geht detailliert auf acht ausgewählte Medienkunstwerke zu New York und Tokio ein.

Die Wahl der Kunstwerke folgt neben dem thematischen Bezug zu einer der beiden Städte anscheinend dem Anspruch, Formen von Medienkunst entsprechend der zuvor geleisteten Definition anzuführen: eine interaktive Installation, ein Musikvideo und drei Netzkunstwerke zu New York sowie ein Netzkunstprojekt, ein Video und eine CD-Rom zu Tokio. Nach der ausführlichen Beschreibung und Analyse der Kunstwerke in einzelnen Kapiteln gibt Zaremba eine Zusammenfassung der Auseinandersetzungen mit beiden Städten in den Werken.

Die Ergebnisse ihrer Einzeluntersuchungen zu den Kunstwerken sollen im nächsten Kapitel unter den Rubriken urbaner Raum, urbane Zeit und urbanes Bild jeweils bestehende allgemeine urbane Modelle erweitern und auf dieser allgemeinen Ebene urbanistischer Theoriebildung spezifische Erkenntnisse liefern. Schließlich nimmt sie abschließend unter der Überschrift Grad der Vielschichtigkeit urbaner Medienkunst eine Bewertung der acht behandelten Medienkunstwerke in Grafiken vor.

Leider scheitert der auf den ersten Blick interessante Ansatz, einer Auseinandersetzung von Medienkunst mit den besonderen urbanen Modellen New York und Tokio nachzuspüren, in vielen Aspekten. Dies liegt nur teilweise daran, dass sich im großen Kontext der Medienkunst wenige Werke explizit mit diesen beiden Metropolen beschäftigen, auch wenn sie in diesen Städten entstehen. Zarembas Analyse misslingt, weil sie ihren Ansatz in jede Richtung bis zur Beliebigkeit erweitert. Bereits bei der - jeder weiteren Untersuchung zugrunde liegenden - Zusammenfassung der angeblich vorherrschenden Mythen zu New York und Tokio, laut derer New York als musealisierte Stadt des 20. Jahrhunderts gilt und Tokio als medialisierte Stadt des 21. Jahrhunderts, zeigen die wahllos angeführten Quellen, dass die Autorin nach Belegen einer vorher gebildeten Theorie sucht, anstatt aus der Analyse der Medienkunstwerke ihre Theorie zu entwickeln. Der verallgemeinernde Charakter dieses kurzen Kapitels führt dazu, dass die wissenschaftliche Relevanz der zitierten Quellen in keiner Weise thematisiert wird.

Zaremba führt andererseits die möglichen Widersprüche gegen die von ihr postulierten Modelle New York und Tokio nicht an. So behandelt sie in keiner Weise den Aspekt, dass man sich hinsichtlich der Stadt Tokio als Archetypus der Mediatisierung auf unsichererem Terrain als für New York befindet, das seit über hundert Jahren Gegenstand der Mythenbildung ist.

Hier gäbe es auch zu dem scheinbar so gesicherten urbanen Mythos New Yorks viele Aspekte, an denen man gerade anhand künstlerischer Auseinandersetzungen mit der Stadt die Modelle, die Zaremba ihrer Analyse zugrunde legt, hinterfragen müsste. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie nicht deutlich macht, welche spezifischen Erkenntnisse zum urbanen Mythos New Yorks die Medienkunst zu einer besonderen Quelle gegenüber anderen Beschäftigungen mit dieser Stadt in der Kunst des 20. Jahrhunderts machen - von Andy Warhols Empire von 1964 bis zu Gordon Matta-Clarks Reality Properties - Fake Estates von 1973.

Zaremba grenzt ihre Untersuchung nicht ein. Zentrale Kapitel ihrer Dissertation besitzen einen grob verkürzenden, allgemeinen Charakter. Auf 13 Seiten lässt sich Medienkunst nicht allgemein definieren. So wird nicht ersichtlich, wieso Musikvideos dazuzählen, während Fotografie, Film und computergenerierte Kunst der 1950er- bis 1980er-Jahre nicht erwähnt werden. Genauso verkürzt und verallgemeinernd geraten die Abhandlungen der für Zaremba zentralen Begriffe von Musealisierung und Mediatisierung auf sechs beziehungsweise fünf Seiten. So wichtig es ist, bei zwei theoretisch relevanten Termini eine genaue Definition zu erhalten, kann ein allgemeiner Anspruch bis zur etymologischen Herleitung der Begriffe nur hinderlich sein. Auf diese Weise entstehen Kapitel, die hinsichtlich Zarembas Untersuchung genauso wenig Aussagekraft haben wie für eine allgemeine Definition der jeweils behandelten Themen und Begriffe. Dies wird durch die schematischen Darstellungen, die den Kapiteln folgen, nicht besser - wenn auch besser sichtbar. In der Reihung von Schlagworten aus den jeweiligen Kapiteln zeigen die tabellarischen Zusammenfassungen explizit, wie wenig aussagekräftig und zusammenhanglos die Informationsflut ist, die auf wenigen Seiten angehäuft wird.

Sind die Tabellen in den vorhergehenden Kapiteln nur sinnlos, muss man die abschließenden grafischen Darstellungen zu den analysierten Medienkunstwerken als problematisch einstufen. Hier wird tatsächlich mittels einer pseudo-empirischen Grafik und mittels des künstlerisch irrelevanten Kriteriums "Vielschichtigkeit" eine Bewertung der Kunstwerke vorgenommen. Sie suggeriert, dass Kunst und Medienkunst im Speziellen in Grafiken hinsichtlich ihrer Relevanz fassbar sind, obwohl die Herleitung der Vielschichtigkeit der Werke auf der Grundlage von Zarembas enger Untersuchung zu den urbanen Mythen beruht. Das abschließende Kapitel ist ein Rückschritt gegenüber den Leistungen bisheriger kunstwissenschaftlicher Arbeiten zur Medienkunst, in denen insbesondere die unmögliche traditionelle Kategorisierung und Kanonisierung der neuen Kunstformen gewürdigt wurde, bevor man andere Einordnungen und Vergleiche versuchte.

Als positiver Ansatz der gesamten Arbeit bleibt die detaillierte und ausführliche Analyse der einzelnen Kunstwerke zu vermerken. In den Kapiteln der Einzelanalyse liefert Zaremba umfassende Verweise und Vergleiche und gelangt auch zu historischen Einordnungen. Hier werden Werke wie Warhols Empire thematisiert, die man bei der Frage nach dem urbanen Mythos New York bis dahin vermisst hat. Für weitere Einzeluntersuchungen zu den behandelten acht Medienkunstwerken stellt Zarembas Arbeit daher eine gute Basis dar.

Allerdings erweist sich an diesem Punkt die Frage nach den urbanen Mythen New Yorks und Tokios wiederum als Hindernis einer wirklich zufriedenstellenden Einzelanalyse, wie an Jeffrey Shaws Legible City deutlich wird. Letztlich kann Zaremba nur darstellen, dass dieses Werk hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit der Stadt New York für die teilnehmenden Rezipienten kaum Relevanz hat. Da sie an die Installation aber die Frage nach dem urbanen Mythos New Yorks stellt, ordnet sie es auch nur hinsichtlich dieser Fragestellung ein - um den von ihr gestellten Anspruch an das Werk zu retten, muss sie auf sehr abstrakte Annahmen zurückgreifen, die Legible City angeblich zum urbanen Raum im Allgemeinen und New York im Speziellen beinhaltet. Eine wirklich umfassende und damit werkgerechte Analyse bleibt aus, was umso ärgerlicher ist, da Zaremba sich prinzipiell ausführlich dem Werk widmet.

Angesichts des ergebnislosen Aufeinandertreffens von Kategorien, die indifferenten Urbanismusdebatten entlehnt sind, und Beispielen der Medienkunst, wird deutlich, dass die Frage nach New York und Tokio in der Medienkunst mit Bezug auf eine spezifisch New Yorker und Tokioer Medienkunstszene zu stellen wäre. Bevor man abstrakte Kategorien wie Musealisierung und Mediatisierung an konkreten Medienkunstbeispielen überprüft, wäre es spannend zu wissen, ob und inwiefern New York und Tokio besondere Formen der Medienkunst geprägt haben.

Dazu bedarf es aber einer kunsthistorisch genauen Aufarbeitung der Entwicklung der Medienkunst in den jeweiligen Städten, ihrer Protagonisten, ihrer Institutionen und der wichtigsten dort entstandenen Medienkunstwerke sowie deren weitergehender Geschichte und Rezeption. Auch die Frage, ob Medienkunst nicht vielleicht das Paradigma einer ortsungebundenen Kunstform ist, wäre in diesem Zusammenhang zu stellen und mit den Orten abzugleichen, an denen sie entsteht oder mit denen sie sich beschäftigt.

Ingmar Lähnemann