Hugh Trevor-Roper: The Invention of Scotland. Myth and History, New Haven / London: Yale University Press 2008, xxi + 282 S., ISBN 978-0-300-13686-9, GBP 18,99
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Greil Marcus / Werner Sollors (eds.): A New Literary History of America, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2009
Julia Angster: Erdbeeren und Piraten. Die Royal Navy und die Ordnung der Welt 1770-1860, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012
Kevin Dougherty: Civil War Leadership and Mexican War Experience, Jackson: University Press of Mississippi 2007
Hugh Trevor-Roper, den 2003 verstorbenen britischen Historiker, verbindet man eher mit der Geschichte des 'Dritten Reiches', als mit der mythopoetischen Geschichte des schottischen Hochlands. In Erinnerung geblieben ist er vor allem durch "Hitlers letzte Tage" [1] und den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher 1983. Dass er vor allem auf diesem Gebiet tätig war, zeigt sich auch in dem nun von Jeremy J. Carter posthum herausgegebenen Werk "The Invention of Scotland", das auf einer Reihe von Aufsätzen und Vorlesungen aus den siebziger Jahren basiert. Trevor-Roper selbst hatte noch damit begonnen, sie zur Publikation vorzubereiten, den geplanten Band dann aber nie abgeschlossen. In kaum einem anderen Streifzug durch die schottische mittelalterliche Geschichte wird man so häufig Begriffe aus der Geschichte des 'Dritten Reiches' finden, u.a. "Gleichshaltung" (sic, 8), "Herrenvolk" (148, 191) und "Untermensch" (148), wie in Trevor-Ropers vorliegendem Band.
Mit einem Vergleich zur deutschen Geschichte leitet Hugh Trevor-Roper dann auch folgerichtig sein Werk ein: Anders als in Deutschland, wo die alten Barbaren im ausgehenden 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts als Vorbilder für die moderne Politik wiederbelebt worden seien, habe in Schottland eine Ritualisierung des Mythos stattgefunden (xx). Für Trevor-Roper besteht zwar die schottische Geschichte fast hauptsächlich aus zu dekonstruierenden Mythen, angefangen von Hector Boeces vierzig erfundenen archaischen Königen, über James Macphersons Barden und Königssohn Ossian, bis zum typischen Hochland-Dress Kilt und Tartan, allerdings erfüllte jeder dieser Mythen eine wichtige Funktion im Transformationsprozess von Barbarei zu Zivilisation. So kommt der Autor nicht umhin, den schottischen "Fälschern" - im Englischen steht das Verb "to forge" sowohl für "fälschen", als auch "schmieden" - eine gewisse Bewunderung auszusprechen: "Some of the heroes of this book will appear as frauds [...] But let it not be thought that I criticise them for such artistry. Rather let us praise them for having domesticated a dangerous process [...]" (xx). Diesen Prozess stellt Trevor-Roper in acht Kapiteln, gegliedert in drei Hauptphasen der schottischen Mythenbildung, die des "Political Myth", des "Literary Myth" und des "Sartorial Myth", dar. Die drei Phasen griffen nicht nur jeweils Aspekte der vorhergehenden auf, sondern lösten einander auch zum jeweils genau richtigen Zeitpunkt ab, um den von Trevor-Roper postulierten Transformationsprozess zu befördern. So gelingt es dem Autor die Langlebigkeit der Mythen in Schottland zu erklären, während südlich der Grenze zu England mythopoetische Geschichtsfälschungen bald schon dekonstruiert und der Lächerlichkeit preisgegeben wurden.
Auslöser für den ersten, den politischen, Mythos war eine solche Fälschung aus dem Süden: Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb der Waliser Geoffrey of Monmouth seine Geschichte der britischen Könige. Darin erklärte er, das britische Königreich sei von Brutus, dem ersten Briten ("Briton"), gegründet worden, der nach dem Fall Trojas auf die Insel gekommen sei und ihr den Namen gab (11f.). Dies versuchten die Schotten natürlich zu überbieten und führten ihre Königsreihe zurück auf Gaedil Glas, einen griechischen Prinzen aus alttestamentarischer Zeit. Diese Fälschung fand über John of Forduns unvollendete schottische Geschichte Eingang in Bowers "Scotichronicon", wurde von Hector Boece mit vierzig erfundenen Königen gefüllt und lieferte George Buchanan im 16. Jahrhundert politische Munition, nachdem Geoffreys Fälschung in England längst als solche erkannt worden war. Kritische Stimmen, wie die John Majors, fanden in Schottland kein Gehör. Die Tatsache, dass Buchanan mit Boeces vierzig Königen seine eigenen whigistischen Theorien einer alten, aristokratisch-konstitutionellen schottischen Verfassung historisch untermauern konnte, hielt den Mythos am Leben: "Buchanan knew that Boece was historically worthless [...] but since he depended on him [...] he secretly used his work [...]." (63)
Während der dritte Mythos des Kilts und des Tartans, der die Schotten mit ihren neuen hannoveranischen Herrschern versöhnte, bereits aus Eric Hobsbawms "The Invention of Tradition" [2] bekannt ist, verdient der zweite, der literarische Mythos nähere Betrachtung: Trevor-Roper beschreibt detailliert die Entstehung des "Ossian"-Mythos, des schottischen Homer, befeuert durch die Interessen des Macpherson Clans, der "Macpherson mafia" (129) wie Trevor-Roper schreibt, und die der schottischen Literaten in Edinburgh. Auch dieser Mythos kam zur rechten Zeit: Er schloss die Lücke, die der politische Mythos hinterlassen hatte, und griff zugleich von literarischer Seite das Thema der alten mythischen Könige nebst der populären Idee des edlen Wilden auf. Er half den Schotten ihre mit der Vereinigung von 1707 verlorene nationale Identität zu ersetzen. Zwar bleibt in Trevor-Ropers Darstellung vieles Spekulation, wie z.B. die Urheberschaft Lauchlan Macphersons an den angeblichen gälischen Originalen von Ossians "Fingal", dies macht er aber durch seine genaue Analyse der Interessen der involvierten Gruppen am Erhalt des Mythos wett. Auch weist er auf die enge Beziehung zwischen den irischen und schottischen Traditionen der Barden und Balladen hin, und nimmt damit die aktuelle Forschung, unter anderem Wilson McLeods Arbeit auf diesem Gebiet [3], vorweg.
Der Ossian-Abschnitt liefert auch ein interessantes Beispiel für die Ironie der Geschichte. Trevor-Ropers manchmal fast schon schadenfroh-arrogante Darstellung der allzu leichtgläubigen schottischen Historiker und Literaturkritiker, allen voran Hugh Blair, nimmt vor dem Hintergrund von Trevor-Ropers persönlicher Geschichte eine Wende, die eventuell dazu beitrug, dass Trevor-Roper sein Werk nie selbst herausgab. Hugh Blair akzeptierte James Macphersons Ossian als Beweis, dass es den edlen Wilden tatsächlich gab, nur allzu bereitwillig; nun stand Schottland England und dessen Shakespeare in nichts mehr nach. Eine Überprüfung der Quellen kam für Blair nicht in Frage, da er kein Gälisch konnte. Auch James Macpherson, von Trevor-Roper als "nicht-edler Wilder" charakterisiert (180ff.), war des Gälischen nicht mächtig. Dies führte zu einem langen Versteckspiel um die angeblichen "Fingal"-Originale von Ossian, da Macpherson selbst nicht wusste, was in den Manuskripten, die er von den Hochland Clanchefs erhalten hatte, stand (178f.). Das Ganze erinnert doch stark an einen britischen Historiker, der 1983 die Hitler-Tagebücher für echt befand und dem man infolgedessen vorwarf, nicht ausreichend Deutsch zu können. Hugh Trevor-Roper saß ebenso bereitwillig einem Fälscher auf, wie Hugh Blair zweihundert Jahre vor ihm.
Dennoch ist "The Invention of Scotland" als anregende Lektüre uneingeschränkt zu empfehlen. Trevor-Ropers fesselnder Stil, die starke Fokussierung auf "Helden" wie George Buchanan, James Macpherson und die Brüder Hay sowie ihre detaillierte Charakterisierung machen das Werk zu einem historischen Krimi, in dem es dem Autor gelingt, den Leser auf einer stringenten Bahn durch die verschlungen Wege der mythopoetischen schottischen Geschichte zu führen. Dies lässt über einige Wiederholungen, die sich aus dem Entstehungsprozess des Buches erklären lassen, hinwegsehen. Auch die Tatsache, dass die Forschungen der letzten 25 Jahre nicht berücksichtigt werden konnten, fällt nicht ins Gewicht, da es Trevor-Roper weniger um eine Korrektur der schottischen Geschichte, als vielmehr um eine Erklärung der Langlebigkeit der schottischen Mythen geht.
Anmerkungen:
[1] Hugh Trevor-Roper: Hitlers letzte Tage (The last days of Hitler, dt. Übers. v. Joseph Kalmer), Frankfurt a.M. 1965.
[2] Hugh Trevor-Roper: "The Invention of Tradition: The Highland Tradition of Scotland", in: The Invention of Tradition, ed. by Eric Hobsbawm / Terence Ranger, Cambridge 1992, 15-42.
[3] Wilson McLeod: Divided Gaels: Gaelic Cultural Identities in Scotland and Ireland c.1200-c.1650, Oxford 2004.
John Andreas Fuchs