Alexander Jordan: Krieg um die Alpen. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum und der bayerische Grenzschutz in Tirol (= Zeitgeschichtliche Forschungen; Bd. 35), Berlin: Duncker & Humblot 2008, 715 S., ISBN 978-3-428-12843-3, EUR 68,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Mit dem Ersten Weltkrieg verbindet sich in der Regel die Vorstellung vom mörderischen Grabenkrieg der Westfront. Seltener rücken die "vergessenen" Fronten in den Mittelpunkt des Interesses. Insbesondere die Alpenfront zwischen Österreich-Ungarn und Italien, so moniert Alexander Jordan, sei - wenn überhaupt - nur in populärwissenschaftlicher Literatur abgehandelt worden. Deshalb hat er sich das Ziel gesetzt, den Alpenkrieg einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen, die neue Quellen erschließen und neue Methoden nutzen soll. Er will dabei aber nicht lediglich eine Darstellung der operativen Geschichte liefern, sondern den Krieg in seiner Ganzheit dem Leser nahe bringen. Wie er sich das vorstellt, erläutert er in der Einleitung. Dort heißt es: "Man muss versuchen, die Ebenen der politischen Zielsetzung und Maßnahmen, der militärischen Theorie und Durchführung sowie das subjektive Erleben der Soldaten zu durchdringen und zu verknüpfen." (33)
Tatsächlich beleuchtet Jordan den Gebirgskrieg aus unterschiedlichen Perspektiven und bemüht sich, ein möglichst vollständiges Bild dieses Konfliktes zu entwerfen. Dies wird bereits deutlich in den einleitenden Kapiteln, die dem Leser einen gründlich recherchierten Einblick in die Vorgeschichte vermitteln. Zunächst erläutert Jordan, wie der Kriegseintritt Italiens zustande kam. Vorrangig diskutiert er die Frage, ob die Regierung Österreich-Ungarns den Kriegseintritt hätte verhindern können. Er konstatiert, dass die Gebietsabtritte, die die italienische Regierung für ihre wohlwollende Neutralität forderte, aus Sicht Wiens wie eine Selbstaufgabe erscheinen mussten. Gekonnt verdeutlicht Jordan in diesem Abschnitt den Zynismus in der internationalen Politik der Epoche: Die italienische Regierung hatte nicht die geringsten Skrupel, die Notlage des Nachbarn auszunutzen, österreichische und deutsche Diplomaten machten Versprechungen, die sie nicht zu halten gedachten, und die Alliierten verteilten Land, ohne jedwede Beachtung der Wünsche der Einwohner.
Hilfreich für das Verständnis des Alpenkrieges sind auch die weiteren, einführenden Abschnitte. Eine ausführliche topographische Beschreibung gibt ein genaues Bild von den Besonderheiten des Terrains und von den strategischen Zwängen, die durch Gebirge und Pässe entstanden. Im nächsten Abschnitt werden die Besonderheiten der Aufstellung, der Ausrüstung und des Trainings der Gebirgstruppen der beteiligten Kriegsparteien erläutert. Jordan richtet sein besonderes Augenmerk dabei auf das deutsche Alpenkorps, da dieses angesichts der überraschenden Bedrohung durch Italien sehr schnell geschaffen werden musste und daher die Schwierigkeiten im Aufbau einer tauglichen Gebirgstruppe am deutlichsten veranschaulicht. Des Weiteren diskutiert Jordan die zeitgenössischen Theorien des Gebirgskriegs. Während einige Strategen die Eroberung der Höhen für die Voraussetzung zum Sieg hielten, plädierten die anderen dafür, dass der Erfolg eher durch massives Vorstoßen im Tal gesichert werden könnte.
Im Hauptteil des Buches beschäftigt sich Jordan mit dem Verlauf sowie mit spezifischen Aspekten des Gebirgskrieges. Es wird deutlich, dass keine der beiden Seiten zunächst einen konsequenten Plan verfolgte. Der italienische Heerführer, Luigi Cadorna, verpasste einen schnellen Sieg, da er nur zögerlich die österreichischen Stellungen attackierte. Dies ließ den Mittelmächten genügend Zeit, Verstärkung heranzuführen.
Jordan wechselt in der Schilderung des Alpenkrieges wiederholt zwischen der operativen Ebene und dem persönlichen Erleben einzelner Personen. So streut er immer wieder Augenzeugenberichte ein und lässt es an drastischen Schilderungen der Strapazen und Gefahren, die die Soldaten beider Seiten aushalten mussten, nicht fehlen. Jedoch gelingt die Verknüpfung beider Ebenen nicht immer. Zwar wird deutlich, wie anstrengend und gefährlich das Leben und Kämpfen in den Tiroler und den Julischen Alpen war, aber die Konsequenzen für die operative Ebene werden nicht immer ersichtlich. Die Soldaten werden durch die außergewöhnlichen Belastungen ausgezerrt, aber dennoch hält die Front auf beiden Seiten. Fahnenflucht und Meuterei erreichen keine ungewöhnlichen Ausmaße.
Zudem wirft die Betonung, dass das Hochgebirge ein ganz besonderes Terrain für militärische Operationen sei, die Frage auf, ob nicht jedes Terrain seine ganz eigenen Herausforderungen an militärische Operationen stellt. Jordan erklärt zum Beispiel, dass einigen Schätzungen zu Folge ein Drittel der Soldaten im Gebirgskrieg nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch Lawinen und Steinschlag ums Leben kamen. Dem lässt sich entgegenhalten, dass auch an anderen Fronten Verluste durch Naturgegebenheiten die Verluste im Kampf überstiegen (beispielsweise die Verluste durch Tropenkrankheiten in Mesopotamien).
Während die Verknüpfung von operativer und individueller Ebene somit nicht immer vollständig befriedigt, entwirft Jordan jedoch in der Darstellung des Kriegsverlaufs, ein umfassendes und fundiertes Bild vom Gebirgskrieg. Der Leser erhält einen guten Überblick über die Abfolge wie auch den Charakter der Kampfhandlungen. So gelingt es Jordan zum Beispiel in der Darstellung der zwölften Isonzoschlacht (dem so genannten "Wunder von Karfreit") die Wiedergabe der Ereignisse mit einer überzeugenden Analyse der Hintergründe zu verbinden.
Im letzten Teil seines Buches geht Jordan ausführlich auf das Kriegsende ein. Neben dem Zusammenbruch des österreichisch-ungarischen Heeres wird minutiös das Zustandekommen der Entscheidung geschildert, deutsche Truppen zum Schutz der Grenze nach Tirol zu schicken. Im Grunde genommen blieb dieser Grenzschutz, der nur knapp eine Woche umfasste, jedoch eine bedeutungslose Episode des Weltkrieges, weswegen sich die Frage stellt, ob diese intensive Behandlung berechtigt ist. Sehr nützlich wiederum sind die Anhänge und die umfangreiche Bibliographie, die das Buch abschließen. Hier findet der Leser einige ansonsten schwer greifbare Quellen sowie weiterführende Literatur zu allen Aspekten des Krieges in den Alpen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jordans Buch bei einem breiten Publikum Beachtung finden dürfte, da es sowohl eine gut lesbare Darstellung wie auch eine fundierte Analyse der Geschehnisse bietet. Beeindruckend ist die Zahl der Quellen und Materialien, die der Autor gesichtet und verarbeitet hat. Dieser Aufwand macht sich bemerkbar in den ausgewogenen und gut argumentierten Einschätzungen, mit denen er wesentliche Ereignisse kommentiert. Lediglich in der Verknüpfung der operationalen Ebene mit den persönlichen Erlebnisberichten ergeben sich in einigen Passagen Schwierigkeiten. Dies schmälert jedoch nicht den Wert des Buches, das ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Alpenkrieges leistet.
Dieter Janssen