Rezension über:

Lukas Thommen: Antike Körpergeschichte, Stuttgart: UTB 2007, 144 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-8252-2899-6, EUR 12,90
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Rezension von:
Susanne Moraw
Deutsches Archäologisches Institut, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Maren Lorenz
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Moraw: Rezension von: Lukas Thommen: Antike Körpergeschichte, Stuttgart: UTB 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/14582.html


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Lukas Thommen: Antike Körpergeschichte

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Körpergeschichte - die Historisierung von Diskursen über den Körper sowie der körperlichen Erfahrungen der historischen Subjekte selbst - ist en vogue. Lukas Thommen legt hier erstmals eine synoptische Darstellung der Körpergeschichte der Antike, vom 8. Jahrhundert vor bis zum 4. Jahrhundert nach Christus, vor. Der Schwerpunkt liegt auf der griechischen Kultur, auf den "grundlegenden Errungenschaften und Weichenstellungen hinsichtlich des abendländischen Körperverständnisses" (15). In elf Kapiteln werden einzelne Epochen oder Aspekte behandelt, zentrale Quellen genannt sowie in der Bibliographie auf Sekundärliteratur verwiesen.

Thommen beginnt mit den homerischen Epen und der Kunst des 8. Jahrhunderts vor Christus. Beiden Gattungen ist ein einheitliches Körperkonzept noch fremd. Sport gehörte zur körperlichen Ertüchtigung der männlichen Elite, ausgiebige Körperpflege war soziales Distinktionsmerkmal unabhängig vom Geschlecht. Während reale Nacktheit nach Ausweis der Epen als problematisch galt, verwendete die bildende Kunst die Chiffre des nackten Körpers, um damit positive Konnotationen wie Beweglichkeit oder Leistungsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt, entgegen Thommens Feststellung, für beide Geschlechter. [1]

Es folgt ein Kapitel zur Philosophie. Folgenreich war die von Platon vorgenommene scharfe Dichotomie Seele - Körper, mit negativer Bewertung des letzteren.

In den Statuen des 7. und 6. Jahrhunderts vor Christus zeigt sich das Menschenbild der Elite. Nackte Jünglinge, sogenannte Kouroi, visualisierten anhand ihres Körpers die kalokagathía, die Vortrefflichkeit von Körper und Geist. Mädchen hingegen wurden reich bekleidet und geschmückt dargestellt. Dies hat, wieder entgegen Thommens Aussage, nicht so sehr mit "Eingliederung in den Familienverband, Disziplin und Gehorsam" (31) zu tun. Vielmehr war es aufgrund der für die Antike charakteristischen Geschlechterdichotomie nicht möglich, anhand des nackten weiblichen Körpers moralische Vorzüge zum Ausdruck zu bringen. [2] Auch Schönheit konnte in dieser Epoche bei Frauen nur anhand der Bekleidung visualisiert werden.

Das folgende Kapitel referiert, was sich aus Texten des 8. bis 4. Jahrhunderts vor Christus über die Lebensbedingungen sowie die Bewertung von Handwerkern und Sklaven entnehmen lässt. Der Körper wird dabei nur am Rande erwähnt, etwa in einer Bemerkung darüber, dass Sklaven keine Rechte über ihren Körper hatten (40). Nicht thematisiert wird deren Selbstwahrnehmung, z.B. was es für Sklaven oder Sklavinnen bedeutete, dass ihre fehlende körperliche Integrität in Theateraufführungen (Darstellung von Prügel oder Vergewaltigung in der Alten Komödie) oder realen Hinrichtungen öffentlich inszeniert wurde. Die für die bildlichen Zeugnisse zur Sklaverei grundlegende Abhandlung von Nikolaus Himmelmann fehlt in der Bibliographie. [3]

Medizinische Schriften, zum Beispiel das Corpus Hippocraticum, thematisieren das antike Körperkonzept und die daraus resultierende empfohlene Lebensführung und Ernährung. Charakteristisch ist dabei eine Pathologisierung des weiblichen Körpers und dessen Festschreibung auf die Funktion des Gebärens.

Das Kapitel über Sparta ist der Erziehung gewidmet. Die Erziehung der Mädchen war weniger reglementiert und kürzer als diejenige der Jungen, da sie nicht der Erlangung militärischer Fertigkeiten diente, sondern auf die Heirat ausgerichtet war.

Ein wesentlicher Aspekt ist das Verhältnis der Griechen zur Nacktheit. Nacktheit war nicht unproblematisch, konnte aber in zeit- und geschlechtsspezifisch definierten Grenzen in Realität und bildender Kunst präsentiert werden. Für die Darstellung von Männern wurde das Konzept der "idealen Nacktheit" entworfen: Nacktheit entgegen der Realität und mit positiven Konnotationen. Es begegnete bereits beim aristokratischen Kouros, wurde im 5. Jahrhundert vor Christus auf breitere Bürgerschichten und schließlich im Hellenismus auf die Darstellung von Herrschern übertragen. Bei der Darstellung von Frauen bedeutete Nacktheit in erster Linie körperliche Attraktivität, was negative ethische Konnotationen nicht ausschloss. Nacktheit wurde in der Kunst des 6. Jahrhunderts vor Christus zunächst bei Hetären angewandt, im späteren 5. Jahrhundert auch bei bürgerlichen Frauen und schließlich bei Göttinnen.

Auch bei der Reglementierung des Sexuallebens zeigen sich deutliche geschlechts- und schichtenspezifische Unterschiede. Bürgerliche Mädchen waren zur Enthaltsamkeit, Ehefrauen zur Treue verpflichtet. Sklavinnen oder Metökinnen (geschützte Fremde) arbeiteten zum Teil als Prostituierte oder lebten in einem eheähnlichen Verhältnis. Frei geborene Knaben konnten ein Karriere förderndes sexuelles Verhältnis zu einem älteren Bürger eingehen. Als Erwachsenen standen ihnen eine Ehefrau, Prostituierte, Sklaven beiderlei Geschlechts oder ein bürgerlicher Knabe zur Verfügung.

Körperliche Missbildung galt als soziales Stigma. In der bildenden Kunst des Hellenismus wurden vermehrt Menschen dargestellt, deren Körper und Physiognomie nicht dem Ideal entsprach. Diese Figuren visualisierten eine ethische und soziale Inferiorität, von der sich die der Elite zugehörigen Auftraggeber pointiert distanzierten.

Die beiden letzten Kapitel resümieren in knapper Form die römischen und christlichen Körperauffassungen. Charakteristisch für die römische Kultur sind laut Thommen die "Objekthaftigkeit des [...] Körpers" (104) und ein "problematischeres Verhältnis zur Nacktheit" (98). Dies führte, folgerichtig, zur christlichen "Geringachtung des Körpers" (108), wie sie sich in den literarischen Diskursen fassen lässt und in der Askese ihr Ideal fand.

Thommens Buch bietet die versprochene Einführung in die antike Körpergeschichte, wenn auch in sehr knapper und methodisch reduzierter Form. Die für die Antike konstitutiven Differenzen zwischen Männern und Frauen, Freien und Sklaven, auf die diese Rezension fokussierte, hätten im Buch deutlicher hervorgehoben werden können. Eine noch stärkere Einbeziehung der bildenden Kunst - die aufgrund ihrer medialen Eigenschaft bei der Thematisierung von Menschen immer auch deren Körper zur Darstellung bringt - hätte das Gesamtbild in einigen Kapiteln bereichert, nicht nur in Bezug auf die sprichwörtliche christliche Körperfeindlichkeit. [4]

Jenseits der oben referierten Frage nach den Wurzeln des abendländischen Körperverständnisses ist allerdings keine übergreifende Fragestellung erkennbar. Die in der Einleitung (13) kurz angerissene Frage nach dem Körper als Wahrnehmungsmuster auch für politische Deutungen wird leider nicht weiter ausgeführt. Eine Einordnung in die körperhistorischen Methoden und Fragen jenseits der Altertumswissenschaften findet nicht statt, ebenso wenig eine Diskussion darüber, welche dieser Fragen sich mit den für die Antike zur Verfügung stehenden Quellen beantworten ließen. So ist beispielsweise die Selbstwahrnehmung der historischen Subjekte, wie sie von Barbara Duden exemplarisch analysiert wurde [5], kein Thema. Diesbezügliche literarische Zeugnisse, etwa die "Heiligen Reden" des Aelius Aristides, werden nicht einmal erwähnt.


Anmerkungen:

[1] Andrea Schmölder-Veit: Kleider machen Frauen? Griechische Frauendarstellungen des 8. Jhs v. Chr., in: Neue Fragen, neue Antworten: Antike Kunst als Thema der Gender Studies, hg. von Natascha Sojc, Berlin 2005, 29-42.

[2] Susanne Moraw: Schönheit und Sophrosyne. Zum Verhältnis von weiblicher Nacktheit und bürgerlichem Status in der attischen Vasenmalerei, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 118 (2003), 1-47.

[3] Nikolaus Himmelmann: Archäologisches zum Problem der griechischen Sklaverei, Wiesbaden 1971.

[4] Selbst Christus kann in der Spätantike nackt dargestellt werden! Susanne Moraw: 'Ideale Nacktheit' oder Diskreditierung eines überkommenen Heldenideals? Der Streit um die Waffen des Achill auf einer spätantiken Silberschale, in: Original und Kopie. Formen und Konzepte der Nachahmung in der antiken Kunst, hg. von K. Junker / A. Stähli, Wiesbaden 2008, 213-225.

[5] Z. B. Barbara Duden: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987.

Susanne Moraw