Horst Möller / Alexandr O. Tschubarjan (Hgg.): SMAD-Handbuch. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland 1945-1949, München: Oldenbourg 2009, 822 S., ISBN 978-3-486-58696-1, EUR 99,80
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Das vorliegende Handbuch ist ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprodukt, an dem unter dem Dach der "Gemeinsamen Kommission zur Erforschung der neuesten Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen" das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, das Institut für allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften, die Föderale Archivagentur Russlands, das Staatsarchiv der Russischen Föderation sowie das Bundesarchiv beteiligt sind. Mit der Herausgabe dieses wissenschaftlichen Kompendiums ist die Absicht verbunden, auf der Grundlage von Archivquellen die Organisationsstruktur und Arbeitsweise der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zu dokumentieren. Mit diesem Handbuch werden allerdings nicht nur die oftmals verwirrenden Zuständigkeiten und internen Arbeitsverfahren anhand einer sorgfältig erschlossenen Quellenbasis analysiert und dargestellt. Die behandelten Strukturaspekte können darüber hinaus strittige Fragen nach dem Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung in der unmittelbaren ostdeutschen Nachkriegsgeschichte, nach dem tatsächlichen Grad und der Reichweite der Sowjetisierung sowie dem totalitären Charakter der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beantworten helfen.
Nach beachtlichen Studien und Quellendokumentationen über die SMAD und die Funktionsweise sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland [1] scheint die Zeit gereift, grundlegende Erkenntnisse über das schwer durchschaubare Handlungs- und Beziehungsgeflecht der sowjetischen Besatzungsverwaltung für die Jahre von 1945 bis 1949 nicht nur den eng mit der Thematik befassten Forschern, sondern auch einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Insofern sind die 92 Artikel über die Organisationseinheiten der sowjetischen Besatzungsverwaltung auch für jene Historiker außerordentlich hilfreich, die nach den Wirkungsbedingungen ostdeutscher Politiker in den Jahren der Besatzungszeit und ihren Handlungsspielräumen fragen. Die Herausgeber wollen mit diesem Handbuch eine Handlungsanleitung für das Verständnis der komplizierten Funktionsmechanismen sowjetischer militärischer Besatzungseinrichtungen sowie einen Überblick über die verschiedenen administrativen Handlungsebenen bieten. Die oftmals unübersichtlichen Strukturen der sowjetischen Besatzungsverwaltung bleiben somit nicht mehr ausschließlich eine Domäne der Spezialisten. Hervorzuheben ist, dass die acht russischen und sechs deutschen Autoren der einzelnen Artikel von gesicherten Kenntnissen und präzisen Informationen, nicht von Spekulationen ausgehen. Denn das in russischer und deutscher Sprache erschienene Gemeinschaftswerk entstand durch eine äußerst aufwendige Sichtung des archivalischen Nachlasses der SMAD, der in dieser komplexen Form zum ersten Mal kritisch ausgewertet werden konnte.
Als eine Art übergreifende Klammer fungieren drei thematische Einführungen über die Struktur, die Rechtsquellen und über funktionale Aspekte der Organisation und Tätigkeit der SMAD. Jan Foitzik begründet in seinem Überblick über funktionale Aspekte der Organisation und Tätigkeit der SMAD das fragmentierte strukturelle Erscheinungsbild der Besatzungsverwaltung mit der Vielzahl, Vielschichtigkeit und Komplexität der Aufgaben der Militäradministration. Die äußerlich unstrukturiert wirkende Arbeitsweise der SMAD produzierte auf der einen Seite mangelnde Koordination zwischen den einzelnen Dienststellen und sich häufig widersprechende Anordnungen und Befehle, die von deutschen ebenso wie von westalliierten Politikern als Verwaltungschaos wahrgenommen wurden. Auf der anderen Seite, so erläutert Foitzik, sei die von Zeitgenossen beklagte innerorganisatorische Diffusion als Element zur Steigerung der Effizienz durchaus beabsichtigt gewesen: "In Verbindung mit der arbeitsteiligen Auffächerung und der differenzierten hierarchischen Tiefenstruktur ermöglichte die innerorganisatorische Diffusion nämlich komplexes integrales Vorgehen: Die SMAD war in der Lage, gleichzeitig mehrere und sogar miteinander scheinbar konfligierende Ziele zu verfolgen." (37)
Foitzik versucht damit zum wiederholten Mal, eine ganze Reihe von grundsätzlichen Irritationen in der Wahrnehmung sowjetischer Besatzungspraxis aus der zeitgenössischen und oftmals auch der historischen Perspektive aufzuklären, die sich aus dem offensichtlichen Wirrwarr und der Undurchschaubarkeit sowjetischer Befehlsgewalten, Zuständigkeiten und Kompetenzen ergeben. In seinen Deutungen, die allerdings nicht von allen Artikelautoren geteilt werden, wird ein funktioneller Vorzug aus diesem Zustand entwickelt: Innerorganisatorische Redundanz, Kompetenzüberlappung und Widersprüche in der Zielsetzung erscheinen nunmehr förderlich für die Umsetzung der ebenso nicht immer eindeutigen Moskauer Zielvorgaben. Diese Erklärung dient denn auch als eine Art Leitfaden, mit dem die einzelnen Organisationsartikel gelesen und interpretiert werden können.
Im ersten thematischen Teil werden Besatzungseinrichtungen außerhalb der SMAD vorgestellt: Die Gruppe der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte in Deutschland, die Truppen des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR in Deutschland, die Abteilung Sonderlager des Ministeriums des Innern der UdSSR in Deutschland, der Bevollmächtigte des "Sonderkomitees für Deutschland" in der SBZ sowie der sowjetische Teil des Alliierten Kontrollrates in Deutschland. Diese Institutionen gehörten zwar verwaltungstechnisch nicht direkt zur SMAD, sie agierten jedoch als Bestandteil des besatzungsrechtlichen Rahmens und werden deshalb in jeweils eigenen Artikeln behandelt.
Der zweite thematische Teil beschäftigt sich mit den hierarchisch strukturierten Funktionsebenen der SMAD. Im Vordergrund stehen hier der zentrale Apparat der SMAD mit seinen 69 Verwaltungen und Abteilungen, in denen 8.618 Offiziere und zivile Fachleute beschäftigt waren. Vorgestellt werden aber auch die Landesverwaltungen der SMAD. Die Organisationsartikel informieren über die Entwicklung der Binnen- und Personalstruktur, die Tätigkeit und Arbeitsweise, Wirkung und eventuelle Besonderheiten der jeweiligen Organisationseinheit. Jeder Artikel enthält jeweils ein Organisationsschema, das über die interne Struktur und die personelle Besetzung der leitenden Positionen Auskunft gibt. Die Organisationsartikel, die den dokumentarischen Kern des Handbuches bilden, spiegeln die erfreulichen Fortschritte bei der notwendigen Klärung institutionsgeschichtlicher Hintergründe sowjetischer Besatzungspraxis wider. Dieser Eindruck kann auch durch die recht unterschiedliche Qualität der einzelnen Artikel nicht getrübt werden.
Für jeden Forscher zur Zeitgeschichte sind die etwa 1.000 Kurzbiografien über das Führungspersonal der SMAD überaus wertvoll, die in einem besonderen biografischen Teil in alphabetischer Ordnung vorgestellt werden. In der russischen Ausgabe des Handbuches fallen die biografischen Angaben ausführlicher aus als in der deutschen. Zudem ist grundsätzlich anzumerken, dass die Autoren ihre Beiträge in ihrer Sprache verfassten, was sowohl in der deutschen als auch in der russischen Ausgabe zu Übersetzungsproblemen geführt hat. Das betrifft in erster Linie die Übersetzung bzw. Rückübersetzung von Fachbegriffen sowjetischer Dienststellen.
Es klingt weit untertrieben, wenn Jan Foitzik (als verantwortlicher Redakteur) in der Einleitung die Funktion des Handbuches als Hilfsmittel bezeichnet. Das Handbuch erweist sich als bemerkenswerte Mischung aus Darstellung, Analyse, Dokumentation und lexikalischem Nachschlagwerk mit einem äußerst hilfreichen biografischen Register. Ferner veranschaulichen die beigefügten internen Dokumente die Organisationsstruktur der sowjetischen Besatzungsverwaltung in Deutschland. Das deutsch-sowjetische Gemeinschaftswerk präsentiert zweifelsohne das derzeitige Wissen über Wesen, Struktur, Funktion und Wirkungsmechanismen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland in einer Form, die man sich auch für andere historische Sachverhalte der deutschen Nachkriegsgeschichte wünscht. Nach fast zwei Jahrzehnten weitgehend isolierter Einzelforschung werden jetzt auch seriöse Nachschlagewerke und quellenfundierte Überblicksdarstellungen benötigt, die sich vom schrillen Ton des politischen und moralischen Rigorismus abheben. So gesehen kommt das Handbuch über die SMAD gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Anmerkung:
[1] Jan Foitzik: Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion, München 1999; Horst Möller / Alexandr O. Tschubarjan (Hgg.): Die Politik der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD): Kultur, Wissenschaft und Bildung 1945-1949. Ziele, Methoden, Ergebnisse. Dokumente aus russischen Archiven, München 2005.
Andreas Malycha