Hans Ulrich Reck: Eigensinn der Bilder. Bildtheorie oder Kunstphilosophie?, München: Wilhelm Fink 2007, 283 S., ISBN 978-3-7705-4395-3, EUR 27,90
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Zwei Eigenarten, so vermittelt es sich, stehen Hans Ulrich Reck bei der Entwicklung seiner bemerkenswerten Ideen im Wege. So verzichtet der Autor erstens auf eine Einleitung, in der er sein Projekt vorstellt, und zweitens bewegt er sich sprachlich immer wieder an der Grenze zu Behauptungen. Das ist schade.
Schade für das Mehr an Aufmerksamkeit, das seine Ausführungen verdienen. [1] Denn mit seiner Schrift leistet der Kölner Medienprofessor einen gewichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion innerhalb der Kunstgeschichte und Bildwissenschaften zur Frage nach dem Bild und insbesondere zur Frage was ist Kunst. Demnach zeichnet sich ein Bild der Kunst, im Gegensatz etwa zu Werbebildern oder epistemischen, dadurch aus, dass es einen "Widerstreit" (11) auslöse. Seine Leistungsfähigkeit liege in seiner "Resistenz". Einer Resistenz gegenüber einem Bildverständnis, das sich durch moralische Belehrung, "human bildende" und / oder symbolische Eindeutigkeit auszeichne und zur Ausübung politischer Macht instrumentalisiert werden könne: hierarchische Relationen, Rollen, Sedimentierungen, Gläubigkeiten (12).
Es sei der "Eigensinn der Bilder", konkret eines künstlerischen Bildes, das sich dieser Eindeutigkeit entziehe und auf die kritische Funktion der Bilder abhebe. Dabei gehe es um poietische Strukturen bzw. Handlungsweisen und schließlich um eine Reflexion des sozialen Ortes der Kunst (10-11). Die Tragweite dieser von Reck bestimmten Kategorie des Bildlichen als künstlerische könne nur kunstphilosophisch und nicht schon bildtheoretisch erfasst werden (11). Entsprechend bestimmt Reck das künstlerische Bild als sowohl affirmativ und damit symbolstiftend als auch als zersetzend, indem es ersteres nicht eindeutig zulasse. Entscheidend sei "die innerbildliche Reaktivierung der Zersetzung des Rituellen als eine Fragmentierung des Symbolischen." (13) Das so aufgefasste Bild zeichne sich sowohl durch Imagination und Expressivität (Nicht-Begriffliches und Alogisches) als auch Sprachliches aus. Es tilge den Unterschied nicht, sondern differenziere ihn. Das nur fragmentarisch wahrzunehmende Symbolische des Kunstwerks werde "visuell produziert" und wirke "rezeptiv aktivierend".
Entsprechend versteht sich der Ansatz Recks entgegen einer Bildwissenschaft, die "ganz offenkundig Kunst als eine Technik visueller Exemplifizierung für alle möglichen Fälle auch außerhalb der Kunst zu instrumentalisieren trachtet." (17) Die Bedeutung liege insofern nicht nur im Bildlichen als einem Numinosen und Nicht-Sprachlichen, wie es Gottfried Boehm und Max Imdahl vertreten und die als ein Gegenentwurf zu den Trivialitäten der mediatisierten Lebenswelt zu verstehen sei (28-31, 34), noch lasse sich sein Ansatz mit verallgemeinerbaren medialen Formungen übereinbringen, wie sie etwa Horst Bredekamp mit seinen Untersuchungen zum technischen Bilde herausarbeite (25-28). Mit Blick auf die Gesamtuntersuchung wirkt diese Unterscheidung Recks jedoch etwas künstlich und aufgesetzt, da sein Kunstbegriff letztlich auf einer allgemeinen Bildtheorie aufbaut und insofern einen Beitrag zu den Bildwissenschaften leistet.
Grundlage dieser Bildtheorie ist, dass ein Verstehen von Bildern in Anlehnung an Abraham A. Moles, Nelson Goodman sowie Jean Piaget in einer "Diagrammatik" und in entsprechenden Transformationsleistungen des Betrachters zu suchen sei (36-48). Wie später deutlich wird, nivelliert der Autor mit diesem Ansatz zugleich den Unterschied zwischen der Bild- und Wortsprache (215-244). So können die als eine Stichprobenauswahl aus der Wirklichkeit zu verstehenden Diagramme als Schemata verstanden werden, die, seien sie bildlich oder sprachlich verfasst, immer schon eine Aussage über die Welt implizieren. Die Frage, inwiefern die Elemente selbst (im Grunde die Medien), d.h. die Darstellungsmittel, seien es analoge (malerische, zeichnerische) und technische (Fotografie, etc.) oder Wörter daran Anteil haben, wird von Reck ebenso als wesentlich angesehen, jedoch nicht weiter vertieft und als Aufgabe formuliert: "Worin besteht die affirmative Kraft der Bilder?" (244) Wesentlich erweist sich schließlich, dass Bilder, ebenso wie Worte, so lässt sich schlussfolgern, Rhetoriken sind, mit denen Absichten verfolgt und damit Macht ausgeübt werde. Diesen sich zu widersetzen, sei die Aufgabe der Kunst (212).
Im Folgenden geht es Reck darum herauszuarbeiten, wie sich dieser Widerstand formieren konnte und wie er sich äußert. Im Spannungsfeld von Kreativität und Dilettantismus gewinnen diese Fragen für Reck an Kontur (55). Schließlich sei es der Dilettant, der sich nicht "in den Aporien der Wertepyramide verfängt und damit dem Kontrolldiskurs der 'hohen Kunst' verhaftet bleibt, sondern Akteur, der auf radikales Verlernen setzt, auf Verweigerung der Symbolizität, auf eine insistente 'Errettung der Realität' [...]", der diese Entwicklung befördere (59-68, 64).
Entwicklungsgeschichtlich werden die Grundlagen für eine solche 'freie' Künstlerpersönlichkeit bereits mit Vasari gelegt, durch dessen "gesteigertes geniales Künstlerkonzept" ('maniera') (68). 'Resistenz' gegen die "Kanonisierung" von Kunst lasse sich verschiedentlich beobachten, gewinne jedoch vor allem im 20. Jahrhundert an Bedeutung (80-95). Mit ihr werde die "sonst autonomisierte und rituell regulierte Welt" hinterfragt (85). Hierin offenbare sich der eigentliche Theoriemangel der Kunst, die sich auf keine Norm beziehe (91). Dass diese Entwicklung letztlich zu einer Art "Überbietungsfigur" führe, nämlich "einer Avantgarde oder eines Avantgardismus um jeden Preis", an der sich "das Gelingen durch Scheitern, die Vergegenständlichung durch Verschwinden, das Gelingen durch Zerfall" zeige, verdeutlicht Reck an zahlreichen Beispielen (Surrealismus, Künstler der 60er- bis 80er-Jahre) (95-131, 95). Zugleich äußere sich der Eigensinn zunehmend weniger in einem Werk oder Prozess als in einer "spezifisch strategischen Verbindung von Rhetorik und Kommunikation", mittels derer eine Resistenz gegen die vereinnahmenden massenkommunikativen Repertoires erprobt werde: (131-140, 131) in Strategien des Scheins (141-146), der Persönlichkeitsrolle (146-150), der autonomen Bilder (150-152), in der (De-) Konstruktion (152-159) und, wie er beispielhaft ausführt, im visuellen Sampling (165-212). Zusammenfassend hält Reck fest: "Der Eigensinn der Bilder überschreitet das visuell Gegebene in Richtung einer Kritik von Aussage-Ansprüchen". Er lässt sich als ein Verfahren der Evidenzkritik beschreiben (212-215, 212). Hier zeigt sich nochmals: Recks Ansatz ist ein politisch argumentierender. Bilder der Kunst widersetzen sich den absichtsvollen Bildern und deren gesellschaftspolitisch wirksamer Machtausübung.
Über die Auseinandersetzung mit der Vielfalt an Möglichkeiten bildgebender Verfahren anhand von 16 an sich selbst gestellten Fragen werden schließlich die Konturen seiner allgemeinen Bildtheorie erkennbar (215-244, 215). So betont der Autor, dass alle bildgebenden Verfahren, wie etwa Satellitenaufnahmen, 3-D-Computer-Simulationsdiagramme, Computertomografien oder Fotografien mit den künstlerischen Verfahren gemeinsam 'diagrammtisch' auf Wissen verweisen. Sie zu verstehen sei eine Transformationsleistung. Die Abhängigkeit von Apparaturen mache sie zudem extrem anfällig für Fälschungen, Fiktionen und Lügen. Ein Rekurs auf "Vormediales, Eigentliches, Unberührtes" sei nicht möglich (228).
Das abschließende Theorie-Duett mit Bazon Brock erfolgt entsprechend unter dem Vorzeichen, dass "Inkorporierungen von Bildsprachlichkeit als eine rezeptive Leistung, die sowohl in der Kunst wie in der Alltagskultur durch die mediale Bildpublizistik vermittelt wird" untersucht werden (245-270, 245). Ikonizität definiere sich nach Reck dadurch, dass Wiedererkennbarkeit und sinnliche Erkennbarkeit der Bilder vom "Durchlauf der neuen Hypothesen durch alles bisherige Wissen und seine diversen unterschiedlichen medialen Aufbereitungen" abhängen (249). Es ist schließlich die "Instanz der Referenz" bzw. diejenige der Referenzsysteme, die sich dabei überlagern. So äußere sich bereits ein spezifischer Eigensinn im Wechsel von einem symbolisch ausgerichteten zu einem mathematisch-technischen Referenzsystem im 15. Jahrhundert. Darüber lege sich peu à peu bis ins 20. Jahrhundert hinein "fast zwangsläufig" ein oppositionelles Referenzsystem: ein expressives, surreales oder irreales. Mit Bezug auf diese Referenzsysteme unterscheiden sich Bild- und Wortsprachlichkeit nicht. Sie werden von Reck als "zwei Versionen einer kognitiven Differenzleistung" aufgefasst (252). Nach Brock liege mit der Evidenzkritik eine Form der Dekonstruktion vor: "Dekonstruktion ist nichts anderes als die Rekonstruktion einer Aussage als falsch, fragmentiert, begrenzt und vorläufig." (256) [2] Über diese kritische Funktion hinaus, die Reck im Begriff der "politischen Ikonographie" (262) fasst, schließt diese Sichtweise ihre historischen Wandlungen ein. Insofern erweitert sich der Ansatz zu einer "historischen Anthropologie". Ihre Untersuchung ermögliche einen "Einblick in den Transformationsprozeß, seine strukturierenden, generativen Prinzipien" (265). Bildkritik sei insofern, so Reck abschließend, als eine "kritische Ikonographie des Politischen zu verstehen, sie untersucht, wie die Rhetorik der Persuasionen" zustande komme.
Gerade auf den Widerstreit bzw. die Resistenz der Kunst zu verweisen, entpuppt sich hier als eine tragfähige Theorie, die insbesondere mit der Kunst des 20. Jahrhunderts bedeutsam scheint. Doch inwiefern genügen diesem Anspruch etwa die barocken Kunstäußerungen eines Rubens oder eines Bernini? Sind sie keine Künstler, weil sie dem System keinen Widerstand boten und im Gegenteil mithilfe ihrer Werke den jeweiligen "politischen" Systemen zuarbeiteten? Sind sie mit Reck "nur" genial Werbende und damit Macht Ausübende? Steht die (Auftrags-) Kunst vor dem 20. Jahrhundert nicht allgemein unter diesem Verdacht? Trifft dies zu, wie Reck selbst anmerkt, indem er darauf hinweist, dass "die Form des Bildlichen als 'Kunst' (...) ästhetisch über lange Zeit dogmatisiert ja kanonisiert worden" ist (80 ff.), dann ist es vor allem die Moderne, die sich durch den bewussten und damit kritischen Umgang mit der Rhetorik der Medien auszeichnet. [3]
Unbenommen von diesem Einwand bleibt die Grundthese des Autors im Hinblick auf eine allgemeine Bildtheorie stark. So lässt sich bis in die Antike hinein innerhalb der Philosophie ein Bewusstsein von der Macht der Bilder zurückverfolgen. Platon etwa lehnte aufgrund dessen die Künste ab, wie Ernesto Grassi wegweisend aufgezeigt hat, und Kant spricht in diesem Zusammenhang entsprechend von "Maschinen der Überredung". Berechtigung haben diese jeweils nur dann, wenn sie sich mit Platon mittels der "wahren rhetorischen Rede" auf noetische Einsichten (Nous, Urbilder) stützen oder mit Kant "auf Symbole des Sittlich-Guten" beziehen. [4] Auch innerhalb der Kunstgeschichte lassen sich prominente Beispiele für ein Bewusstsein dessen aufzeigen, wie der Streit zwischen Ikonoklasten und Ikonodulen im Mittelalter verdeutlichen kann. So sind es Wertfragen, wie es auch Reck und Brock mit ihrem Hinweis auf die Paradigmen innerhalb der Referenzsysteme betonen (260), die mittels der Bildkritik bzw. der Kunst einer Prüfung und einer kritischen Diskussion unterzogen werden. Ob dies jedoch auch für die Kunstpraxis vor dem 20. Jahrhundert gilt, steht in Zweifel.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die herbe Kritik von Stefan Heidenreich vom 13.02.2008 in: http://www.artnet.de/magazine/books/heidenreich/heidenreich02-13-08.asp.
[2] Ein Ansatz wie ihn Brock mehrfach diskutiert und insbesondere in Abgrenzung vom Totalitarismus durch die 'Totalkunst' am Beispiel von Anselm Kiefer und Hans Jürgen Syberberg ausgeführt hat. Vgl. hierzu Bazon Brock: Der Hang zum Gesamtkunstwerk - Pathosformeln und Energiesymbole zur Einheit von Denken, Wollen und Können, in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk - Europäische Utopien seit 1880, Katalog Zürich / Düsseldorf / Wien 1983, 22-39 sowie die Auseinandersetzung dazu von mir in: Faszination und Schrecken. Wahrnehmungsvorgang und Entscheidungsprozeß im Werk Anselm Kiefers, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 51/2 (2006), 183-210.
[3] Eine Schlussfolgerung, die im Zusammenhang mit meinen jüngsten Forschungen zu Anselm Kiefer steht: Anselm Kiefer. Deutschlandbilder. Orte kultureller Wertebildung (erscheint demnächst).
[4] Vgl. Ernesto Grassi: Macht des Bildes. Ohnmacht der rationalen Sprache. Zur Rettung des Rhetorischen, Köln 1970 (1968), 165 ff., und Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Stuttgart 1991 (1790), § 53, 266 ff., 268.
Martina Sauer