Peter Rietbergen: Power and Religion in Baroque Rome. Barberini Cultural Politics (= Brill's Studies in Intellectual History; Vol. 135), Leiden / Boston: Brill 2006, xviii + 437 S., ISBN 978-90-04-14893-2, EUR 99,00
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Drachen, Adler, Tauben, Berge und Sterne - die Wappentiere und -symbole der Päpste des 17. Jahrhunderts begegnen auch dem heutigen Rombesucher noch an nahezu jeder Straßenecke: sie schmücken Stadttore, Kirchen, Brunnen, Palastfassaden, Decken, Fußböden, Altäre, Taufbecken, Grabmäler. Dem aufmerksamen Beobachter fallen Bienen jedoch besonders ins Auge. Sie sind Zeugen des längsten Pontifikates des 17. Jahrhunderts und verweisen auf die Kunst- und Kulturförderung unter dem Barberini-Papst Urban VIII.
Der Kulturhistoriker Peter Rietbergen, ausgewiesener Kenner der römischen und vatikanischen Archivlandschaft, entscheidet sich im vorliegenden Buch für einen konsequenten kulturalistischen Ansatz zum Verständnis von Herrschaft. Ziel des Verfassers ist, sowohl "hohe" als auch "niedrigere" Kulturformen und ihre Indienstnahme für die päpstliche Macht zu untersuchen (XI). Von vielem ist da die Rede, von Dichtkunst, Musik und Wissenschaft, von Zeremoniell und Magie. Nicht erwähnt werden - mit Ausnahme der Architektur - Zeugnisse der bildenden Kunst. Dies provoziert die Frage, weshalb ausgerechnet das Werk des wohl bedeutendsten Barockkünstlers, Gian Lorenzo Bernini, in Rom unter Urban VIII. ausgeblendet wird.
Doch anders als der Titel des Bandes vermuten lassen könnte, handelt es sich nicht um eine Monographie aus einem Guss. Vielmehr vereint der Autor sechs in den Jahren 1984-1992 publizierte Aufsätze mit einer Reihe neuerer Untersuchungen zu einem Sammelband über Facetten der Kulturpolitik und -patronage im Rom der Barbarini.
Die ersten drei sowie das achte Kapitel sind Einzelaspekten zu Maffeo Barberini und seinem Kardinalnepoten Francesco Barberini gewidmet. Im vierten bis siebten Abschnitt werden Ereignisse oder Personen "relatively or even largely unknown" (XIII) im unmittelbaren Umfeld der Barberini behandelt. Einleitung, Prolog und Epilog bilden die inhaltliche Klammer des Bandes, indem einerseits die 'Marschrichtung' sowie die zentrale Fragestellung festgelegt werden, andererseits eine zusammenfassende Würdigung der Instrumente päpstlicher Kulturpolitik erfolgt. Ein Personenregister erleichtert den Zugang zu den einzelnen Studien, ein Sach- und Ortsindex wäre freilich ebenso nützlich gewesen, wie ein allgemeines Quellen- und Literaturverzeichnis.
Rietbergen wertet im Prolog das Tagebuch des Giacinto Gigli aus, welches ursprünglich nicht für die Veröffentlichung vorgesehen war. Dieser Auftakt ist gut gewählt, denn der Chronist beschreibt das Leben im päpstlichen Rom zwischen 1608 und 1670. Er deckt damit weitgehend den Zeitraum des Aufstiegs des Maffeo Barberini vom Nuntius in Paris über sein Kardinalat bis hin zur Papstwahl, die Jahre seines Pontifikats als Urban VIII. (1623-1644) sowie schließlich die Phase bis zum Tod des Kardinalnepoten Francesco Barberini im Jahre 1679 ab.
Den Einstieg in das spezielle Untersuchungsfeld bildet eine Studie über die Ausgestaltung der Barberini-Kapelle in San Andrea delle Valle. Dieser Auftrag markiert den Anfang der Kunsttätigkeit und -förderung der Barberini auf ihrem Weg zur Macht. Rietbergen zeigt auf der Grundlage einer umfangreichen schriftlichen Überlieferung, wie die Vorgaben des Auftraggebers Maffeo Barberini bei der künstlerischen Gestaltung der Familienkapelle umgesetzt wurden. Im fünften Kapitel geht es erneut um Malerei. Auch diesmal profitiert der Verfasser von einem gewichtigen Quellenfund zu einer Auseinandersetzung innerhalb des Augustinereremitenordens. Er zeigt auf, wie Bilderzyklen in den historischen Kontext einzuordnen sind, wie sie von den Zeitgenossen gelesen und betrachtet, wie sie zur Repräsentation und Visualisierung von Herrschaft instrumentalisiert werden konnten. Zur Illustration des Gesagten wären in beiden Kapiteln freilich entsprechende Abbildungen mehr als wünschenswert gewesen.
Das Panorama, das Rietbergen in den weiteren Fallstudien aufzeigt, ist breit angelegt, und er beleuchtet besonders jene Aspekte päpstlicher Kulturpolitik und -patronage, die bislang von der Forschung weniger beachtet wurden.
Der Abschnitt über die Dichtkunst Maffeo Barberinis vermittelt in besonders eindrucksvoller Weise das Bild eines vielseitig gebildeten und interessierten Papstes. In seiner Studie geht es dem Verfasser weniger um eine ästhetische Bewertung der Gedichte als vielmehr um deren kulturelle Bedeutung im historischen Kontext. Eine besondere Kostprobe von Rietbergens Schreibkunst bietet das achte Kapitel. Er spannt den Bogen von Tommaso Campanellas Horoskop für Urban VIII., welches dieser anlässlich einer schweren Krankheit im Jahre 1628 erbeten hatte, über die Prophezeiung von Orazio Morandi hinsichtlich des angeblich bevorstehenden Todes des Papstes im Jahr 1630 bis zu einer, sich magischer Praktiken bedienenden Verschwörung Giacinto Centinis, um das Leben Urbans zu beenden. Deutlich wird, dass Magie, Astronomie und Astrologie feste Bestandteile des alltäglichen Lebens im barocken Rom darstellten. Die Art und Weise jedoch, wie der Barberini-Papst damit umging, war höchst unterschiedlich.
Die Kapitel über Lukas Holstenius und Abraham Ecchellense (Ibrahim al-Hakilani) vermitteln Lesevergnügen und Forschungsergebnisse in gleicher Weise. Rietbergen zeigt die Netzwerke auf, in denen der Hamburger Konvertit Holstenius, Bibliothekar am Hof der Barberini und später an der Biblioteca Vaticana als Vermittler zwischen Nord und Süd eingebunden war und wie er seine Beziehungen für die Beschaffung neuer Bücher nutzte. Der Maronit Abraham Ecchellense war Gelehrter, Händler und Diplomat in einer Person, stand in den Diensten Syriens, des Papstes, des Großherzogs der Toskana und Frankreichs und fungierte als Mediator zwischen orientalischen und westlichen Kulturen. Ebenso interessante Einblicke in die Welt des barocken Papsttums vermitteln Zeremoniellfragen und -diskussionen anlässlich des Empfangs des kaiserlichen Botschafters Johann Prinz von Eggenberg in den Jahren 1637/38. Ganz nebenbei wird der Leser zu einer kulinarisch-ästhetischen Entdeckungsreise in Kreise der römischen Diplomatie eingeladen.
So wie Maffeo und Francesco Barberini es verstanden, religiöse und profane Kultur(-güter) für die eigene Repräsentation und Legitimation zu instrumentalisieren, so versteht es Rietbergen, alle von ihm untersuchten Facetten der Kunst- und Wissenschaftspatronage seiner Leitthese, Kultur als Instrument und Ausdruck päpstlicher Macht zu interpretieren, unterzuordnen. Insgesamt zeugen Rietbergens Studien von einem fundierten Wissen und schöpfen aus einem enormen Quellenfundus.
Doch muss hier auch die Kritik an dem Band ansetzen. Sein Erkenntnisinteresse, so betont der Verfasser in der Einleitung (2), sei von eben diesen Quellen geleitet, weniger von der Literatur. Zu oft macht sich Rietbergen die historische Analyse zu einfach, wenn über weite Strecken auf eine Einbettung in aktuelle Forschungsdebatten und die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur verzichtet wird. Besonders augenfällig wird dies im Prolog. Nahezu arrogant wirkt die Aussage, dass es zwar einige zentrale Untersuchungen zu seinen Fragestellungen gäbe, die Auffassungen der Verfasser teile er allerdings nicht immer. Da einschlägige Autoren und deren Studien nur marginal zitiert und reflektiert werden, muss leider offen bleiben, was damit im Einzelnen gemeint ist. Da ein Literaturverzeichnis fehlt, vermögen allenfalls Spezialisten einzuschätzen, welche Vielzahl von neueren einschlägigen Arbeiten - beispielsweise aus der (nicht nur römischen) Zeremoniellforschung oder der politischen Kulturgeschichte - gar nicht rezipiert wurde.
Insgesamt zeigt der Verfasser, wie lohnend es ist, ein breites Spektrum historischer Forschungsfelder und Nachbardisziplinen in moderne Kulturgeschichtsschreibung zu integrieren. Wer sich künftig mit kulturell-politischen Aspekten im barocken Rom auch über den Pontifikat des Barberini-Papstes hinaus auseinandersetzt, wird in den Studien von Peter Rietbergen zahlreiche Anregungen finden.
Ricarda Matheus