Michael Doering: Das sperrige Erbe. Die Revolutionen von 1848/49 im Spiegel deutscher Schulgeschichtsbücher (1890-1945) (= Internationale Hochschulschriften; Bd. 518), Münster: Waxmann 2008, XVI + 561 S., ISBN 978-3-8309-2074-8, EUR 39,90
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Peter H. Wilson (ed.): 1848. The Year of Revolutions, Aldershot: Ashgate 2006
Walter Koring / Mikael Horstmann (Bearb.): Revolution! Das Jahr 1848. Das Tagebuch des David Adolph Zunz, Frankfurt/M.: Henrich 2016
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Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung. Eine Untersuchung des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Verfassung des deutsches Reiches vom 28. März 1849, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Mike Rapport: 1848. Revolution in Europa, Stuttgart: Theiss 2011
Obwohl das Fortwirken der Revolution von 1848/49 und insbesondere der geschichtspolitische Umgang der nachgeborenen Generationen mit ihr schon häufig die Aufmerksamkeit der historischen Forschung gefunden haben, fehlte bislang eine breit angelegte Untersuchung der Revolutionsbilder in Schulgeschichtsbüchern. Sie liegt nun mit der Münsteraner Dissertation Michael Dörings vor, der 122 in Preußen und in Bayern an niederen und höheren Schule benutzte Lehrwerke ausgewertet hat. Die wohl nicht zuletzt aus Gründen der Arbeitsökonomie gebotene regionale Auswahl begründet er mit der dominierenden und richtungweisenden Rolle Preußens in der Schulpolitik; Bayern wird ebenfalls wegen seiner Größe, aber auch wegen seiner aus Konfessionsstruktur und Partikularpatriotismus resultierenden Kontrastfunktion herangezogen.
Die chronologische Eingrenzung ist weniger plausibel: Döring möchte "zeitgeschichtliche Befangenheit" vermeiden und datiert deshalb als Ausgangspunkt seiner Untersuchung die Durchsetzung historisierender Wertungsmuster gegenüber den prägenden Erfahrungen der miterlebenden Generation mit einem Sicherheitsabstand zu der eigentlich naheliegenden Zäsur der Reichsgründung auf die "Inthronisation Wilhelms II.", die allerdings bekanntlich nicht 1890, sondern schon 1888 erfolgte. Den Blick nicht über das Jahr 1945 hinaus zu richten, rechtfertigt Döring mit dem "rein historischen Erkenntnisinteresse" seiner Studie: Eine Betrachtung von Schulbüchern der BRD oder DDR berühre das "aktuelle Selbstverständnis der deutschen Nation erheblich" und sollte nach Döring, der damit vielleicht unabsichtlich wenigstens indirekt der Zeitgeschichtsschreibung grundsätzlich ihre wissenschaftliche Existenzberechtigung abspricht, "vorrangig soziologischen und oder politologischen Studien vorbehalten bleiben" (20).
Dörings Studie ist sehr übersichtlich gegliedert und behandelt zunächst in zwei kürzeren, den Boden für die Schulbuchanalyse bereitenden Kapiteln die zeitgebundenen fachwissenschaftlichen Forschungsstände zur Revolution von 1848/49 in der Wilhelminischen Ära, der Weimarer Republik und dem 'Dritten Reich', wobei in der fußnotenreichen Übersicht die Probleme eher punktuell beleuchtet als ausgeführt werden, sowie die schulpolitischen Vorgaben zum Thema in den Lehrplänen der drei Epochen. Döring nimmt dann die detaillierte Schulbuchanalyse nach sieben Themengruppen vor: Revolution in Preußen und in Österreich, die Bewegung "von unten" - hiermit meint er in Abweichung von der gängigen Terminologie nicht die in der modernen Forschung mit der institutionalisierten Revolution kontrastierte Basisrevolution, sondern die Arbeit die Frankfurter Nationalversammlung -, als Bewegung "von oben" den Reichsgründungsversuch der preußischen Regierung 1849/50 (Erfurter Union), die Verfassungen und Verfassungsentwürfe, den Kampf um Schleswig-Holstein sowie die europäische Dimension der Revolution.
Während Döring in diesem ersten Hauptteil seiner Studie die Inhalte der Schulbücher nach Sachthemen gruppiert, untersucht er in dem zweiten Hauptteil in fünf Kapiteln ihre Aussagen zu übergreifenden Leitfragen: In welchem Epochenkontext steht die Revolution, welches waren ihre Ursachen, wer war für die entscheidenden Handlungen verantwortlich, warum scheiterte die Revolution und welche Vermächtnisse hatte sie für die Folgezeit? In beiden Hauptteilen sind die Kapitel schematisch aufgebaut: Zunächst werden Kontinuitäten und daran anschließend Divergenzen in den Schulbuchdarstellungen innerhalb der drei Epochen, epochenübergreifend, zwischen den beiden Ländern sowie zwischen den beiden Schultypen herausgearbeitet. Den klar abgrenzbaren thematischen Kapiteln des ersten Hauptteils steht zudem jeweils eine quantitative Analyse voran, deren methodisches Arsenal mit der Auszählung der bestimmten Themenkomplexen zugebilligten Seitenzahlen banal anmutet, die aber den Vorzug besitzt, Befunde zu erheben, die keinen Interpretationsspielraum lassen: zum Beispiel den Bedeutungsverlust der europäischen Dimension der Revolution vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum 'Dritten Reich' (330f.).
Dörings überaus materialreiche, methodisch sorgfältige und sprachlich gediegene Studie wartet insgesamt mit nur wenigen überraschenden Ergebnissen auf. Die auffälligsten thematischen Verschiebungen - die Schwerpunktsetzung auf die preußische Verfassungsfrage in der Wilhelminischen Ära, die stärkere Berücksichtigung des Frankfurter Verfassungswerks in der Weimarer Republik oder das zunehmende Interesse an der Revolution in Österreich im 'Dritten Reich' - lassen sich leicht durch die jeweils aktuelle politische Relevanz dieser Themen erklären; auch dass die "Pluralität an Deutungen" der Revolution in der Republik am größten war und die "Geschlossenheit der Narration" nirgends "größer als in der Diktatur"war, blieb zu erwarten. Bemerkenswert ist aber doch, dass Döring im diachronen Vergleich einen "Trend zur Beharrung" ausmacht und zu dem Schluss kommt: "bei der Darstellung der Revolution von 1848/49 überwiegen während des gesamten Zeitraumes unbeschadet der Systemwechsel die Kontinuitäten in summa die Divergenzen" (517). Dörings Erklärung hierfür ist plausibel: Für alle drei Epochen sei die Revolution nur ein "episodenhaftes Zwischenspiel" (520) geblieben und der geschichtspolitische Hauptbezugspunkt die Bismarcksche Reichsgründung gewesen. Nicht zuletzt wegen der von ihm konstatierten epochenübergreifenden "Distanziertheit gegenüber dem Phänomen 'Revolution'", das dem "Ideal vom Ausgleich politischer Interessengegensätze und sozialer Verwerfungen [...] durch die einvernehmliche Reform aus Einsicht" (521) widersprochen habe, ist das im Titel des Buches von Döring verwendete Etikett des "sperrigen Erbes" eine treffende Kennzeichnung für die bis 1945 in den Schulen verbreiteten Bilder der Revolution.
Frank Engehausen