Rezension über:

Anton W. A. Boschloo: The Limits of Artistic Freedom. Criticism of art in Italy from 1500 to 1800, Leiden: Primavera Press 2008, 384 S., ISBN 978-90-5997-058-8, EUR 34,50
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Rezension von:
Axel Christoph Gampp
Kunsthistorisches Seminar, Universität Basel
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Axel Christoph Gampp: Rezension von: Anton W. A. Boschloo: The Limits of Artistic Freedom. Criticism of art in Italy from 1500 to 1800, Leiden: Primavera Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/12/15274.html


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Anton W. A. Boschloo: The Limits of Artistic Freedom

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Ein Nachdenken über das Verhältnis von Kunstproduktion und verbaler Kommunikation darüber gibt es seit einiger Zeit. Erinnert sei an die epochalen Werke von Michael Baxandall; auch David Summers ist im gleichen Kontext zu nennen. In gewisser Hinsicht folgen diese Autoren strukturalistischen Ansätzen, wobei allerdings der systemische Charakter, den der Strukturalismus doch stets betont, bei Untersuchungen zum Sprechen und Schreiben über Kunst nicht in den Vordergrund rückt. Auch wird nur in Ansätzen deutlich, wie die beiden Teile - Produktion und Diskurs - zueinander finden und ob die Sprache alleine in einem deskriptiven oder nicht auch in einem normativen Verhältnis zur Kunstproduktion steht.

Die letzte Erhellung dieser komplexen Probleme bringt womöglich auch das vorliegende Werk nicht. Es hat davon unbesehen aber überragende Qualitäten und wird als eine Art Kompendium seinen Platz in der Italienforschung behaupten. Dort hatte sich der Autor, Anton W.A. Boschloo, bereits in früheren Publikationen einen Namen gemacht, insbesondere als kompetenter Kenner der italienischen Renaissance- und Barockkultur. Sein letztes Werk ist in gewisser Weise eine Summe seiner bisherigen Erkenntnisse. Denn ein ganz zentrales Problem der Kunstproduktion und des Kunstdiskurses wird hier aufgegriffen: jenes der künstlerischen Freiheit vom 16. bis ins 18. Jahrhundert. In der Tat ist in vor allem im 16. und 17. Jahrhundert das Problem besonders virulent. Denn nach der Hochblüte künstlerischer Freiheit im frühen 16. Jahrhundert kam deren Beschränkung im Zuge der Gegenreformation. Im 17. Jahrhundert erholte sie sich, um im ausgehenden 18. Jahrhundert wieder stark beschnitten zu werden.

Wie sich diese Freiheit manifestierte, wird von Boschloo anhand einer Kompilation des derzeitigen Wissensstandes vorgeführt (11-19). Vor dem Hintergrund einer auf Natur und Antike basierenden Mimesis zeigt sich künstlerische Freiheit als Abweichung, als Weg zur individuellen Handschrift, als - neudeutsch ausgedrückt - "Labeling". Wie sehr die Nobilitierung des Künstlerstandes, aber auch ein neues ästhetisches Verständnis damit einhergehen, ist bekannt und in Boschloos Buch nur noch einmal konzise dargelegt.

In vier Einzelfallstudien wird für das 16. Jahrhundert das generelle Wissen spezifiziert: in Michelangelos "Letztem Gericht" aus der Sixtinischen Kapelle (34-48), in Tintorettos "Markuswunder" aus den Gallerie dell'Accademia in Venedig (49-62), in Pontormos verlorenen Fresken eines "Jüngsten Gerichtes" für San Lorenzo in Florenz (63-81) und in Veroneses "Gastmahl im Hause des Levi" (Gallerie dell'Accademia in Venedig; 82-91). Sie werden mit den zentralen Kriterien der Kunstliteratur ihrer Zeit, mit denen künstlerische Freiheit erfasst werden kann, exemplarisch in Verbindung gebracht: Michelangelo mit difficoltà (Schwierigkeit, besonders in den perspektivischen Verkürzungen), Tintoretto mit prestezza (dem schnellen Pinselfluss), Pontormo mit confusione und capricci (merkwürdigen, fast unverständlichen Einfällen zur Bildfindung) und Veronese mit licenza, der (zu großen) künstlerischen Freiheit im Sinne einer Abweichung vom Angemessenen.

Der zweite Teil des Buches (117-208) setzt diese Diskussion ins 17. Jahrhundert hinein fort, wo auf das ausgeklügelte Verhältnis von inhaltlichen Vorgaben und künstlerischer Freiheit bei den Carracci im Gegensatz zu Caravaggio eingegangen wird, basierend auf den schriftlichen Äußerungen eines Argucchi, eines Mancini, eines Baglione oder eines Bellori. Geografisch stehen hier Rom, Florenz und Bologna im Blickpunkt; inhaltlich die Frage, wie sich das Verhältnis zur Naturnachahmung definiere und welche Wahrheit das Bild auszudrücken habe, eine unmittelbare oder eine durch die Kunst gemilderte.

Der dritte Teil (209-306) beschäftigt sich mit Rom, Bologna und Venedig in einem Zeitraum, der bis an die Grenzen der Moderne und jedenfalls weit ins 18. Jahrhundert hinein reicht. Bemerkenswert ist, dass nun neue Normen nicht länger von Italienern, sondern von Deutschen gesetzt werden, nämlich von Winckelmann und Mengs, die beide den Barock nicht als überspitzte Wahrheit, sondern als übertriebene Effekthascherei charakterisierten. Ins gleiche Horn, allerdings noch wesentlich lauter, stießen die nachfolgenden italienischen Autoren des ausgehenden 18. Jahrhunderts wie Milizia. Ein ohnehin schon mindestens seit Bellori schwer angeschlagener Barock erhielt damit seinen coup de grâce. Was an seine Stelle zu treten hatte, führte Mengs nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Pinsel vor. Damit schien ein für alle mal gebannt, was ihm vollkommen unakzeptabel war: jene forza dell'arte zu zeigen, aus der noch das 16. und Teile des 17. Jahrhunderts ihre Kraft geschöpft hatten und die wie eine Hydra immer wieder in der Geschichte der italienischen Kunst ihr Haupt erheben wollte.

Um an den Anfang zurückzukehren: Vielleicht ist die Forderung zu hoch gegriffen, aber es fragt sich doch, ob nicht die Gesamtheit der Beobachtung über alle Zeiten und geografischen Räume hinweg einen systemischen Charakter beanspruchen darf. Dabei könnte etwa das Decorum zu einer zentralen Instanz werden: je mehr davon, desto weniger künstlerische Freiheit - je weniger davon, desto prekärer klaffen Form und Inhalt auseinander. Das wird zwar an einer Stelle auch angedeutet (183 ff.), bleibt aber singulär. In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, wie Individualisierung und Kontextualisierung von Kunstwerken ganz unterschiedliche Rezeptionen begünstigen und künstlerische Freiheit dann als ein Relativum in Bezug zur jeweiligen Situation erscheint. Aber das sind nur Andeutungen, die ihrer Natur nach nicht geeignet sind, den Glanz des besprochenen Werkes zu verdunkeln. Die Fülle der verwendeten Quellen speist die Fülle präziser Überlegungen. Beides macht das Buch für jede Beschäftigung mit der italienischen Kunst und Kunstliteratur zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert unverzichtbar.


Anmerkungen:

[1] Michael Baxandall: Giotto and the Orators. Humanist observers of painting in Italy and the discovery of pictorial composition 1350-1450, Oxford 1971; ders: Painting and Experience in fifteenth-century Italy, Oxford 1972.

[2] David Summers: Michelangelo and the Language of Art, Princeton 1981.

Axel Christoph Gampp