Rezension über:

Richard Price / Mary Whitby (eds.): Chalcedon in Context. Church Councils 400-700 (= Translated Texts for Historians, Contexts; Bd. 1), Liverpool: Liverpool University Press 2009, VII + 205 S., ISBN 978-1-84631-177-2, GBP 65,00
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Rezension von:
Hartmut Leppin
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Leppin: Rezension von: Richard Price / Mary Whitby (eds.): Chalcedon in Context. Church Councils 400-700, Liverpool: Liverpool University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/16038.html


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Richard Price / Mary Whitby (eds.): Chalcedon in Context

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Um Konzilsakten drücken Historiker sich gerne herum. Die schwierige Überlieferungslage, die unübersichtlichen Texte, die theologische Sprache - all das wirkt abschreckend. Dennoch ist vor einiger Zeit in der Reihe der Translated Texts for Historians eine Übersetzung der Akten von Chalkedon erschienen. [1] Sie wird jetzt durch einen Band ergänzt, der den Kontext des Konzils zu behandeln verspricht.

Nach einer knappen Einführung von Averil Cameron (1-6) erörtert David M. Gwynn "The Council of Chalcedon and the Definition of Christian Tradition" (7-26), indem er den Weg zu Chalkedon knapp nachzeichnet und die neue Bedeutung der Vätertradition, die auch zu einer Verengung geführt habe, herausstreicht, aber auch betont, dass das Konzil von Chalkedon einer der bis heute andauernden Versuche des Christentums gewesen sei, die Tradition so zu interpretieren, wie sie den Notwendigkeiten der eigenen Zeit entsprach.

Vor einem zu großen Zutrauen in die Authentizität der Konzilsakten warnen die beiden folgenden Beiträge: Thomas Graumann ("'Reading' the First Council of Ephesus [431]", 27-44) belegt eindringlich die rhetorische Bedeutung der Auswahl und Deutung von Dokumenten und Protokollen. Damit verdeutlicht er, dass die Konzilsakten nicht einfach als Wiedergabe des Geschehens gelesen werden dürfen, sie sind vielmehr ein Mittel der Selbstdarstellung. Fergus Millar ("The Syriac Acts of the Second Council of Ephesus [449]", 45-70) erörtert die syrischen Akten von Ephesus II, des sogenannten Räuberkonzils, das in einem unlösbaren Zusammenhang mit Chalkedon zu sehen ist. Dabei ordnet er diese Texte, die er als eine gezielte Auswahl erweist, in den Kontext der Jahre 535/6 ein, also in die Zeit, als Justinians Politik gegenüber den Miaphysiten umzuschlagen schien.

Sodann bietet Richard Price ("The Council of Chalcedon [451]: A Narrative", 70-91) eine nüchterne Nacherzählung der Ereignisse des Konzils von Chalkedon nach den Akten, wobei es ihm gelingt, pragmatische und theologische Motive zu verbinden, aber auch die Eigendynamik der Diskussion sichtbar werden zu lassen. Erst danach erörtert er in einem weiteren Kapitel "Truth, Omission, and Fiction in the Acts of Chalcedon" (92-106), deren Erstellung und Publikation er auf den Hof zurückführt. Trotz einiger Stilisierungen und vor allem Lücken betrachtet Price die Akten als ein vergleichsweise zuverlässiges Dokument.

Andrew Louth stellt die scheinbar simple Frage: "Why did the Syrians reject the Council of Chalcedon?" (107-116), die in dieser Allgemeinheit, wie er weiß, ungenau ist. Ihm geht es letztlich um anderes, zum einen um die Auflösung zu starrer Vorstellungen von einer Antiochener und einer Alexandriner Schule, zum anderen darum, die Attraktivität der Schriften Kyrills gegenüber der zu gelehrten Theologie der Antiochener zu erweisen, ein interessanter Ansatz, der eine eingehendere Begründung verdient hätte.

Der nächste Beitrag stammt wieder von Richard Price ("The Second Council of Constantinople [553] and the Malleable Past", 117-132). Er behandelt nur einzelne Probleme wie die Rolle der 12 Anathemata Cyrills; es geht vor allem um das Vorfeld des Konzils. Ein Gesamtbild des Konzils wird so nicht vermittelt.

Provokant wird das Laterankonzil von 649 durch Catherine Cubitt ("The Lateran Council of 649 as an Ecumenical Council", 133-147) als Ökumenisches Konzil eingeführt. Sie referiert die Frage um die Authentizität der in zwei Sprachen vorliegenden Akten, deren bewusste Gestaltung in Rom sie als Ausdruck des Wunsches interpretiert, das Konzil gleichsam als ökumenisches zu inszenieren und so die Ansprüche Papst Martins I. (649-653) gegenüber dem Kaiser kundzutun.

Dem Quinisextum bzw. Trullanum ist das letzte Kapitel gewidmet (J. Herrin, "The Quinisext Council [692] as a Continuation of Chalcedon", 148-168). Hier geht es, entsprechend dem Anliegen des Konzils, nicht um die dogmatischen Implikationen von Chalkedon, sondern um die Rezeptionsgeschichte der Kanones, insbesondere des 28., der eine Aufwertung von Konstantinopel implizierte.

Es folgen zwei systematische Artikel: Charlotte Rouechés Beitrag ist überschrieben mit "Acclamations at the Council of Chalcedon" (169-178), behandelt aber im Wesentlichen Vergleichsmaterial aus anderen Kontexten. Michael Whitby schließlich wählt einen pointierten Titel: "An Unholy Crew? Bishops Behaving Badly at Church Councils" (178-196) und fragt danach, welche (nach wessen Kriterien?) verfehlten Verhaltensweisen von Bischöfen aus den Konzilsakten sichtbar wurden, sei es Lärmen, sei es mangelnde Prinzipienfestigkeit.

Gewiss ist dieser Band, wie die Zusammenfassung der Beiträge gezeigt haben dürfte, nicht ohne Interesse. Die meisten Beiträge sind lesenswert. Doch wer ist die intendierte Leserschaft? Die Reihe der Translated Texts for Historians (TTH) ist bewährt und die Übersetzung der Konzilsakten von Gaddis und Price überaus verdienstvoll. Die ergänzende Reihe Contexts (TTH) hat laut Eigenwerbung folgende Aufgabe: "TTC volumes present wide-ranging analyses of texts published by TTH, providing an essential resource for scholars and students working on the formative period of Late Antiquity and the Early Middle Ages". So allgemein formuliert, erfüllt der Band seine Aufgabe gewiss. Doch bleibt eine gewisse Unklarheit darüber, was der Band eigentlich will:

Wenn Forscher die Zielgruppe sind, gehört der Band nicht in eine Reihe, die Übersetzungen ergänzen soll; sind es Nichtspezialisten, so werden sie von den meisten Aufsätzen wenig haben, da sie Spezialprobleme ansprechen. Der Begriff des Kontextes wird bei diesem Buch überdies unscharf gefasst - man geht, wie es der Titel ja auch sagt, bis 700, aber nicht vor 400 zurück, obgleich das Konzil von Konstantinopel 381 gerade in Hinblick auf den Kanon 28 des Konzils von Chalkedon wichtig ist. Vieles bleibt beiseite: Die für die Zeitgenossen ungemein wichtige Synode von 536, zu der auch Protokolle vorliegen, wird nur am Rande erwähnt, die Ökumenische Synode von 553 lediglich unter Teilaspekten. Dem Leser, der in die Akten einsteigen möchte, wäre mit einem die relevanten Aspekte gleichmäßig erfassenden Buch mehr geholfen gewesen. Der Forscher wird hier gleichwohl manches finden, nicht zuletzt nützliche Hinweise zur Forschung, aber oft bedauern, dass die Beiträge so knapp sind. Eine Überschrift wie "Aspekte der Konzilsgeschichte 400-700" würde ihm verdeutlichen, womit man bei diesem Buch rechnen kann.


Anmerkung:

[1] Richard Price / Michael Gaddis: The Acts of the Council of Chalcedon, 3 vols. (Liverpool University Press, 2005, 2007).

Hartmut Leppin