Rezension über:

Christoph Schingnitz (Hg.): Eneas Silvius Piccolomini, Pentalogus (= Monumenta Germaniae Historica. Staatsschriften des späteren Mittelalters; Bd. VIII), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2009, XXIX + 344 S., ISBN 978-3-7752-0308-1, EUR 50,00
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Rezension von:
Markus Wesche
Kommission für das Repertorium "Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters", Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Markus Wesche: Rezension von: Christoph Schingnitz (Hg.): Eneas Silvius Piccolomini, Pentalogus, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/17122.html


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Christoph Schingnitz (Hg.): Eneas Silvius Piccolomini, Pentalogus

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Als der Konzilsgesandte Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) am 27. Juli 1442 in Frankfurt am Main von König Friedrich III. zum Dichter gekrönt wurde, bereitete sich eine Wende im Leben des Humanisten vor. Die Jahre am Basler Konzil seit 1432 hatten ihm umfassende Einblicke in die europäische Politik vermittelt, zuletzt als Sekretär des vom Konzil erhobenen Gegenpapstes Felix V. Im Winter 1442 konnte Piccolomini endlich seine perspektivlos gewordene Stellung gegen eine Position in der Reichshofkanzlei bei Friedrich, der gerade von seiner Krönung in Aachen zurückgekehrt war, eintauschen. In dessen Umgebung sollte er bis Mai 1455 bleiben, im steten Aufstieg am Hof und in der Kirchenhierarchie bis zum Bischof von Siena, bevor er endgültig nach Italien zurückkehrte und im August 1458 als Pius II. die Nachfolge von Papst Calixt III. antrat.

Mit der neuen Sekretärsstelle war der seinen Kollegen an Weltläufigkeit überlegene Piccolomini offensichtlich unzufrieden, und so verfasste er bereits im Februar / März 1443 eine politische Denkschrift zu aktuellen Themen in Gesprächsform, in der er sich in den unmittelbaren Beraterkreis Friedrichs katapultierte, vorerst freilich nur im literarischen Experiment. Der "Pentalogus", ein Fünfer-Gespräch, lässt Seitenblicke auf die Zustände bei Hof zu, vor allem lässt er ziemlich deutlich Piccolominis Strebertum erkennen, der es nach zehn Jahren in Basel allerdings nicht einmal zu den nötigen Deutschkenntnissen gebracht hatte, um den Türwächter zu passieren. Nicht nur aus Gründen humanistischer Distinktion wird deshalb der Pentalog auf Latein geführt, das Sprachproblem des Beraters in spe wird mit Ironie eigens angesprochen. Im Oeuvre des Dichters war das Werk insgesamt ein Novum und zukunftsweisend. Christoph Schingnitz, der es in seiner Münchner Dissertation von 2006 neu herausgegeben und kommentiert hat - die letzte vollständige Ausgabe war die editio princeps von Hieronymus Pez (1723) -, hat entsprechend eine deutsche Übersetzung beigefügt, die erste vollständige in eine moderne Sprache, und damit den Pentalogus erst eigentlich für die Forschung erschlossen. Das Werk ist bis auf zwei ungedruckte Arbeiten nicht monographisch behandelt worden; eine bedeutende Rolle in der Forschung spielte es bislang nicht (5-12). Schingnitz selbst ordnet in seiner knappen Einleitung den Pentalogus gattungsmäßig als Vorläufer von Machiavellis "Discorsi" (verfasst 1513/1517) ein (12-15). Was das Werk sonst alles über seinen Autor und seine Darstellungsabsicht hergibt, wird künftige Forschung beschäftigen.

Gegenstand des eigentlichen Fünfergesprächs ist die durch das Schisma entstandene Lage: Die Kurfürsten hatten sich auf Neutralität zwischen dem Basler Konzil und Eugen IV. festgelegt, doch am Hof Friedrichs dachte man schon an die Kaiserkrönung, für die das Schisma ein unüberwindbares Hindernis war. Piccolominis Vorschläge zur Lösung der Krise waren damals im Schwange: ein "drittes Konzil" auf deutschem Boden - vom Kaiser gelenkt, alles im Lichte der Diskussion um die "Konstantinische Schenkung", die Papst-Kaiser-Problematik, Installierung eines neuen Konzilspapstes in Rom durch den Kaiser selbst und seine dort gleich vorzunehmende Krönung, alles möglichst schnell auszuführen. Enea empfiehlt sich als Kenner der italienischen Verhältnisse und legt in scharfsinniger Analyse die Spielräume Friedrichs für eine energische Herrschaft als italienischer König dar. Zu den Wunderlichkeiten des ambitionierten Werks gehört jedoch das erste Fünftel, ein humanistisches Privatissimum zwischen Enea und Friedrich, in dem der Verfasser sich als potenter Politikberater aufdrängt, dem König seine Redefaulheit vorhält, die Verbesserung seiner Lateinkenntnisse empfiehlt und ihm vorbuchstabiert, was auswärtige Botschafter von ihm wollen - kurz: auf ziemlich dreiste Weise einen Narren aus seinem Herrn macht.

Was am Pentalogus jedoch so fasziniert, ist die Entdeckung Piccolominis als frühen "Geopolitiker", der eine Fülle von Aspekten zusammenführt: Politische Geographie (166ff.). Dynamik politischer Strukturen (200ff.), die Bevölkerung einst und jetzt (226.14 ff.), Finanzen in Handel und Kriegführung (224.15), Ehre als Wirkungsmacht in der Politik (172.20). Auch im Umgang mit den antiken Exempeln ist Enea souverän-eigenwillig. Friedrich solle sich während der Italien-Kampagne mittags eifrig aus Livius vorlesen lassen (238.6), damit er wie Caesar oder Alexander die Soldaten anfeuern könne. Als aber Kanzler Kaspar Schlick eine Latte von antiken Beispielen für die Einigkeit der Italiener im Kampf gegen Eindringlinge anführt, wischt Enea die Argumente des "doctus homo" (226.14) ironisch mit dem Hinweis auf die Wirklichkeit hinweg. Enea - ein virtuoso an Weltkenntnis und in der Argumentationskunst. Wie weit das Werk allerdings eher als Schnellschuss zur Karrierebeförderung zu sehen ist oder als origineller Beitrag zum Staatsdenken, müsste erst eine umfassende Analyse der Begründung politischen Handelns im 15. Jahrhundert erweisen.

Schingnitz hat dieses erstaunliche Werk nach zwei Abschriften herausgegeben und war mit der geringen Zahl von Textzeugen mehr geplagt als gesegnet. Die Überlieferung erscheint vom Zufall bestimmt: Der Pentalogus hatte offenbar nicht das Interesse des Autors, der es weder später in Italien verbreiten ließ noch in einer irgend greifbaren "Fassung letzter Hand" hielt; am Hof Friedrichs war man sich gewiss der Peinlichkeiten des für interne Verwendung bestimmten Werks (288.13-19) bewusst, das in dieser Form vermutlich nicht das Auge des Serenissmus getroffen hat. Zu den Fragen der Überlieferung und zur Texterstellung seien einige Überlegungen nachgetragen. Der Editor hat die Münchner Handschrift (M) zu Grunde gelegt, eine in Satzspiegel und Anlage homogene, wie aus Serienfertigung stammende Sammelhandschrift mit humanistischem Briefmaterial u.a. aus Piccolominis Kanzleiarbeit (um 1454). Er folgt der Forschungsmeinung, es handele sich um "den Stand einer frühen Rezension, wahrscheinlich des Originals". Eine zweite Handschrift des 15. Jahrhunderts aus London (L) enthält nur den Pentalogus, eine "überarbeitete spätere Version" (33), nicht tiefgreifend und ungewiss von wem. Der Text unterscheidet sich vor allem durch Umstellungen von 2-3 Wörtern und zeigt Fehler (48.k,l) und eine aus anderer Rezension überlieferte Lesart (62.v) in metrischen Zitaten. Beide Handschriften bieten einen nachlässig hergestellten und nicht originalnahen Text, wie man aus Sprachformen und Orthographie der autographen Historia Austrialis schließen kann.[1] Schingnitz hat die bei deren Neuausgabe gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr für seine Edition fruchtbar machen können. Die Ablehnung von L wird wie folgt begründet: "der Textzeuge [sei] mit so vielen Fehlern und Eigenarten behaftet, dass er in dieser Form nicht als vom Autor beabsichtigte letztgültige Fassung anzusehen ist und daher [!] als Grundlage der Edition nicht in Frage kommt" (36). Die Abfolge der Fassungen wird nicht textkritisch begründet, leitend für die Späterdatierung von L ist, so steht zu vermuten, die korrekte Einführung des Horaz-Zitats (48), dazu unten. Signifikante Textabweichungen in L sind M nicht überlegen, wenn auch gelegentlich der Herausgeber den Text nach L verbessert. Ein Redaktionsinteresse des Autors ist in L nicht auszumachen, und so kann man ebenso gut fragen, ob nicht vielmehr M auf eine autor-korrigierte Fassung zurückgeht. Der Editor "verzichtet bewusst auf die Rekonstruktion eines Archetypus" (38) - sie wäre beim Stand der Überlieferung auch nicht angemessen; doch der Textbefund lässt durchaus Rückschlüsse auf Überlieferungsstufen zu. Dazu Beispiele: Die gemeinsame Lesart filiis für preliis (35 zu 64.e) lässt die Handschrift Piccolominis hinter der Verlesung erkennen, bei der ein bogenförmiger Kürzungsstrich über p wie ein f aussieht [2]; 232.z zeigt preliis L und filiis M. Die gleiche Korruptel als Binde- und Trennfehler: bei gemeinsamer abschriftlicher Vorlage Korrektur in der Zeit zwischen den Abschriften. - Probleme wirft Schingnitz' Einordnung eines Fehlers (35 zu 48.12/13) zum Zitat aus der Horaz-Epistel II,2 an Florus auf. Hier habe L die vorausgehende Version in M "Oratius ad Augustum" durch richtiges "Oratius ad Iulium Florum" korrigiert. Nun ist aber das erste Wort der Epistel II,2,1 selbst der Anruf "Flore" (II,1 ist an Caesar = Augustus gerichtet). Bei sieben en bloc folgenden, vermutlich direkt abgeschriebenen Versen kann man davon ausgehen, dass sich Enea des richtigen Adressaten bewusst war. Dennoch hat Schingnitz den falschen, nach M, in den Editionstext gesetzt. - Wie soll man folgenden bei näherer Betrachtung komplexen Fall bewerten (164.v)? Piccolomini spielt im Kontext mit einer idiosynkratischen Unterscheidung von corona (dem Gegenstand) und diadema (Zeichen der Herrschaftsausübung). L hat: At ubi timor hic absit, facile est cuique regi diadema suscipere, quod solum querere servile arbitror esse ("Doch wo diese Furcht fehlt, kann jeder König leicht die Herrschaft an sich raffen, nur auf sie hinzustreben halte ich für knechtisch"; so Rezensent); M hat diadema assumere suscipere. Schingnitz entscheidet sich für die Dublette in M und macht daraus assumere <et> suscipere, statt besser für L. - Als letztes 246.l: L accessire, M accire (Ausfall der Kürzung), im Autograph möglicherweise: accersire (vgl. 248.6). Man sollte die Nähe der Handschriften zu Piccolominis Arbeitsexemplar nicht zu hoch einschätzen, andererseits mit einem pragmatischen Abschreiben rechnen, das nicht höchste Textkorrektheit anstrebt. Bei einer von Textmischung bestimmten Überlieferung - in diesem Fall vermutlich schon am Ausgangsort - ist man mit der Bevorzugung einer Handschrift noch nicht auf der sicheren Seite.

Kurz zu Kommentar und Übersetzung. Gelegentlich bemerkt man Unausgewogenheiten durch zu lange Zitate (Anm. 110, 241, 409, 423) und knappe oder fehlende Erläuterungen (166 ff.: Der "comes" ist Francesco Sforza). Die dichten Zitatnachweise erhellen gut die Machart dieses Frühwerks Piccolominis, der hier mit einem überschaubaren Grundbestand von Quellen arbeitet. Schingnitz hat sie z.T. nach Übersetzungen aus Mailänder Handschriften eruiert. Die insgesamt "flotte" (99.11, 159.15) und um Lebendigkeit bemühte Übersetzung - immer etwas Subjektives - erlaubt einen Überblick vom Inhalt, ist jedoch nicht frei von paraphrasierender Umständlichkeit (55.2-3 zur stilistischen Kürze!), von Schiefheiten (195.31 Streben nach Tugend; 197.28 wird alles mögliche passieren, statt: "Erdrutsch"; 253.17 auctoritas = Vorbild) und von Fehlern (157.14 richtig: dass ihr morgen vor der siebten Stunde da seid, vgl. 159.17). Fazit: Trotz mancher Unausgewogenheiten ist man Christoph Schingnitz dankbar, dass er der Forschung den Pentalogus erschlossen hat.


Anmerkungen:

[1] Siehe sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/12/16359.html

[2] Beispiele bei Martin Wagendorfer: Die Schrift des Eneas Silvius Piccolomini, (= Studi e testi, 441), Città del Vaticano 2008, Tafel 5 h: Zeile 2 oratores principum, 6 Indignari preterea reliquos; Tafel 7 a: Z. 6 error quandam pre se fert.

Markus Wesche