Rezension über:

Peter Kruschwitz (Hg.): Die metrischen Inschriften der römischen Republik, Berlin: De Gruyter 2007, x + 397 S., ISBN 978-3-11-018483-9, EUR 98,00
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Rezension von:
Alfred Breitenbach
Franz Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Breitenbach: Rezension von: Peter Kruschwitz (Hg.): Die metrischen Inschriften der römischen Republik, Berlin: De Gruyter 2007, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/14127.html


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Peter Kruschwitz (Hg.): Die metrischen Inschriften der römischen Republik

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Der vorliegende Sammelband vereinigt 15 Beiträge in vier Sektionen:

I. Dokumentation. P. Cugusi (1-61: "Ricezione del codice epigrafico e interazione tra carmi epigrafici e letteratura latina nelle età repubblicana e augustea") problematisiert die wechselseitige Beeinflussung metrischer Inschriften und literarischer Produktion, die sich bereits in früher Zeit nachweisen lässt (8f. zu Naevius; 9-12 zu Plautus). Besonders prägend waren die Scipioneninschriften (CLE 6-9), die sich mit Ideen der literarischen Produktion verbinden, was wiederum spätere Steininschriften beeinflusst (17-19 gezeigt an Ennius). Wechselwirkung / Abhängigkeit lässt sich auch bei Catull (27-30) und bei Texten der augusteischen Klassik zeigen; dabei gibt es jedoch zweifelhafte Beispiele, bei denen 'Abhängigkeit' nur durch Analogieschluss postuliert ist (z.B. 20 zu Ennius epigr. 15f. V.2 ; 27 zu Catull 111,1 f.; 32: incessu soll Vergil Aeneis 1, 404f. mit CLE 52, hier v. 7, verbinden). Nicht konsistent scheint es, wenn einerseits eine rasche Verbreitung der Texte Vergils auch in entfernteste Regionen herausgestellt (33) und andererseits bei motivischer Verwandtschaft nachaugusteischer Inschriften mit Vergil (hier Aen. 4, 36 mit der Frage, ob die Manen bzw. die [Seelen der] Verstorbenen über sensus verfügen) vermutet wird, es handle sich um "un vero e proprio cliché funerario, retrodatabile nel tempo", bei dem "è abbastanza agevole ipotizzare che Virgilio ne abbia risentito" (34; derselbe Topos auch bei Properz und Ovid, vgl. 48; die Literatur könnte funeräre Topik angeregt haben). Abschließend wird die 'Symbiose' zwischen CLE und literarischer Produktion als Charakteristikum republikanischer und augusteischer Zeit herausgestellt (57-61).

In "Metri e ritmi nella epigrafia latina di età repubblicana" (121-167) widmet sich M. Massaro zunächst den Anfängen der metrischen Inschriften in Rom: Die im Saturnier gehaltenen carmina werden als dem Selbstverständnis des römischen Adels angemessen verstanden und mit diesem Kriterium neuere Versuche, Texte (wie z. B. die Aufschrift einer Grabstele aus Carnuntum, Année Epigraphique 1936, 67) als Saturnier zu identifizieren, zurückgewiesen (122-130). Alle übrigen Metren sind zunächst anderen Gesellschaftsschichten vorbehalten (daktylischer Hexameter z.B. 131: CLE 361 für einen mimus; 133f.: CLE 362 mit Klage über die mors immatura; elegisches Distichon; jambischer Senar). Interessant sind Ausführungen zu nichtstädtischen, metrisch und stilistisch ansprechenden Inschriften im jambischen Senar (145-149), aufschlussreich, wenngleich oft aporetisch, ist die Diskussion zu 'Monostichen', deren Charakter als solche meist umstritten ist (Exempla 155-164; der Eindruck eines metrischen Textes kann auf Rhetorik / Prosarhythmus zurückgeführt werden). Abschließend wird die im Unterschied zur griechischen Praxis geringe Rolle von Hexameter und elegischem Distichon in der republikanischen Zeit betont (164-167).

W. Suerbaum bietet "Literarhistorische Überlegungen" zu "fiktiven Grabepigrammen der republikanischen Dichter (mit Ausblicken auf solche der Augusteischen Zeit)" (63-96; hier stört eine etwas lange autobiographische Einleitung). "Zur Sprache der republikanischen carmina Latina epigraphica: Satzumfang, Satzkomplexität und Diathesenwahl" handelt W. D. C. de Melo (97-120; die Vergleichsgrundlage scheint etwas zu dürftig: ca. 100 metrische Inschriften aus CIL I2 werden mit dem 1. Buch des Lukrez und dem Eunuchus des Terenz verglichen).

II. Epigraphische Dossiers: A. Faßbender (169-197: "Republikanische CLE aus Rom: eine Topographie") ordnet die relevanten metrischen Inschriften in einen historischen und kulturgeschichtlichen Kontext (Bestattungswesen; Gräberluxus) ein, beschreibt die Schwierigkeiten einer Lokalisierung aufgrund der städtischen Entwicklung (169-180) und stellt eine nach Fundorten systematisierte Liste zusammen (180-186). Der Befund wird anschließend ausgewertet und gedeutet, zunächst hinsichtlich der Topographie, aber auch mit Blick auf Charakter und Material des Inschriftenträgers und den sozialen Stand der besprochenen Personen (186-197). Eine Karte mit Vermerk der Fundorte (die wohl zur Liste der Inschriften gehört hätte) steht am Ende des Beitrags.

M. Buonocore (209-222: "Sui CLE repubblicani della regio IV Augustea") behandelt 13 metrische Inschriften (und 3 metrisch unsichere Texte), wobei den Texten in lateinischer Sprache Funddaten, Eigenschaften, Bibliographie und Kommentar (in manchen Fällen auch italienische Übersetzung) beigegeben werden. Viele Inschriften enthalten funeräres Formelgut (z.B. Variationen der Sentenz quod par parenti fuerat facere filius / mors immatura fecit ut faceret pater filio); bedeutendere Ausnahmen bilden CLE 361 aus Amiternum und CLE 248 aus Reate. Zur literarischen Bedeutung heißt es: "I tredici CLE repubblicano di questo ampio settore geografico, specie quelli delle aree interni, trasmettono, pertanto, modeste novità lessicali e sintattiche a dimostrazione di come tali documenti soltanto in età imperiale poterono raggiungere livelli di una Latinitas meritevole indubbiamente d'attenzione" (209f.).

H. Solin bespricht "Republikanische Versinschriften aus Latium adiectum und Kampanien" (199-207). J. Gómez Pallarès (223-240: "Carmina Latina Epigraphica de la Hispania republicana: un análisis desde la ordinatio") untersucht sieben Texte aus Carthago Nova und Umgebung, wobei der Schwerpunkt auf der Anordnung der Texte (Differenzierung zwischen Prä- oder Postskript und carmen) liegt; inhaltliche Diskussionen bleiben dennoch nicht aus (231-235: ein überzähliger Hexameter in CIL I2  3449g wird recht kühn als Hinweis auf das nicht genannte Alter des verstorbenen Kindes gesehen [drei Distichen und ein Hexameter zwischen erstem und zweitem Distichon sollen auf das Alter von 7 Jahren führen]). P. Poccetti behandelt "Inschriftliche Dichtung in den übrigen Sprachen Altitaliens" (241-259).

III. Texte, Kommentare und Interpretationen: M. Massaro bespricht "Una coppia affiatata: CLE 969" (271-297), eine der frühesten römischen Inschriften in elegischen Distichen (aus der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr.), die gleichzeitig hinsichtlich der Anordnung und Textzuweisung (an Ehefrau bzw. Ehemann) singulär zu sein scheint (274: "già per la concreta corrispondenza di ciascun epigramma con la figura relativa [si direbbe quasi in forma di 'fumetto'] non sembre si possano indicare modelli, anche greci, abbastanza pertinenti"; 271-277: Beschreibung des außergewöhnlichen Objekts). Es folgt ein brillanter Kommentar zu diesem Text, der alle Besonderheiten umfassend erläutert (Metrik: z.B. quo careo - eheu am Ende des Hexameters b3; Lexik: z.B. a1: fato praecessit), divergierende Interpretationen vorstellt und begründet Position bezieht (so z.B. cum am Ende von a3; avaritie / amaritie in a4). Bemerkenswert ist, dass Massaro es ablehnt, eine Gemeinsamkeit mit Lukrez (nur im besprochenen Gedicht und bei Lukrez fünfsilbige Formen des Verbs nominitare als Hexameterschluss) auf Lukrezkenntnis des anonymen Dichters zurückzuführen (287f.).

M. Schumacher (299-307: "Ein Epikureer in Neapel - Notizen zu CLE 961") bespricht die "einzige lateinische Inschrift in metrischer Form", die in Neapel erhalten ist. Die vorgestellten Überlegungen zur Person (Tendenz, in Hauranus in v. 1 eine Verschreibung von Gauranus zu sehen; 302f.) und zu lexikalischen Besonderheiten sind ansprechend; vorsichtig wird man den Konnex bewerten, der zwischen v. 2 Epicureio [....] choro und Cic. fin. 1, 26 hergestellt wird (305; dass sich in einem Grabgedicht für einen "Epikureer" Anleihen aus Lukrez finden, ist dagegen nicht abwegig).

Daneben stehen Beiträge von U. Jansen (261-270: "CLE 63. Ein Grabgedicht für Salvia"; im auf sprachliche Phänomene und Realien beschränkten Kommentar ist es eigenartig, wenn bei der Frage, welche Lebensaltersspanne in republikanischer Zeit mit pueritia bezeichnet wurde, nur Georges' Handwörterbuch genannt oder zur Erläuterung des Begriffs lanificium in einem Ausblick auf das Mittelalter unter anderem Hugo von St. Viktor herangezogen ist) und M. Dohnicht (309-325: "Kein Volkstribun in Tarracina? Überlegungen zu den Graffiti CIL I2  3109a"), der den im Graffito genannten Publius (Claudius / Clodius) Pulcher (es heißt dort aber auch: progenies Appi) mit Claudius Pulcher, dem Vater der Livia und Großvater des Tiberius, identifiziert (ausgewählte Argumente gegen diese These 203f. bei Solin; die Bedenken sind berechtigt).

IV. Ausblicke auf die Kaiserzeit bieten G. Alföldy (327-340: "Grabgedichte in Tarraco: Der sozialgeschichtliche Hintergrund") und B. E. Thomasson (341-346: "Ein stadtrömisches carmen in Stockholm"; es geht um CLE 371 bzw. CIL VI 10237).

Bibliographie sowie Stellen- und Sachindex folgen. Schreibfehler sind selten, sieht man von 241-259 ab (hier wäre eine Durchsicht durch Herausgeber oder Verlag erforderlich gewesen); im Stellenindex hat nur zufällige Konsultation zwei Fehler gezeigt (CIL I2  1214: "91 Anm. 165" gibt es nicht; CIL I2  3109a: "21" muss "22" heißen).

Wenn der Herausgeber im Vorwort "als nicht unbescheidenes Ziel des [...] Bandes" beschreibt, "ein Handbuch der lateinischen inschriftlichen Poesie der republikanischen Zeit" vorzulegen (v), ist das doch wohl zu hoch gegriffen: Dafür sind die Beiträge zu wenig abgestimmt, im Gegenteil wird bisweilen eine in einem Beitrag vorgetragene These in einem anderen Beitrag ausdrücklich zurückgewiesen (so 203f. 'gegen' 309-325). Gleichwohl sind alle Beiträge anregend und ertragreich und decken in ihrer Gesamtheit zahlreiche Aspekte ab, die für die Erforschung "metrischer Inschriften der römischen Republik" (und darüber hinaus) relevant sind.

Alfred Breitenbach