Rezension über:

Francoise Labrique / Uwe Westfehling (Hgg.): Mit Napoleon in Ägypten. Die Zeichnungen des Jean-Baptiste Lepère, Mainz: Philipp von Zabern 2009, 256 S., ISBN 978-3-8053-4103-5, EUR 39,90
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Rezension von:
Claudia Hattendorff
Institut für Kunstgeschichte, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Claudia Hattendorff: Rezension von: Francoise Labrique / Uwe Westfehling (Hgg.): Mit Napoleon in Ägypten. Die Zeichnungen des Jean-Baptiste Lepère, Mainz: Philipp von Zabern 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/17235.html


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Francoise Labrique / Uwe Westfehling (Hgg.): Mit Napoleon in Ägypten

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Bei der in Rede stehenden Publikation handelt es sich um einen Katalog, der eine Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum begleitete. Aus eigenen Beständen wurden dort im Winter 2009/2010 Zeichnungen des französischen Architekten Jean-Baptiste Lepère (1761-1844) gezeigt. Diese Zeichnungen sind Teil des aus etwa 600 Blättern bestehenden Nachlasses Lepères, der 1896 über seinen Schwiegersohn, den aus der Domstadt stammenden Architekten Jakob Ignaz Hittorf, der Stadt Köln vermacht und vermutlich in den 1930er-Jahren in die Grafische Sammlung des Museums überführt worden war. Die ausgestellten Arbeiten hatte Lepère als Mitglied der Commission des Sciences et des Arts auf dem französischen Ägyptenfeldzug der Jahre 1798 bis 1801 gefertigt. Ein nicht geringer Teil stand im Zusammenhang mit der zwischen 1809 bis 1826 in Paris erschienenen Description de l'Égypte, einem Gründungswerk der Ägyptologie, zu dem der französische Architekt als einer der am meisten beschäftigten Mitarbeiter Vorlagen für über 50 Tafeln beisteuerte. Andere in der Ausstellung gezeigte Zeichnungen Lepères sollten architektonische und infrastrukturelle Initiativen vorbereiten, welche die französische Regierung zur Modernisierung und Kolonialisierung des Landes am Nil plante.

In der Ausstellung wurde dieses Zeichnungskonvolut in erläuternder Absicht mit weiterem grafischen Material sowie originalen ägyptischen Artefakten und Zeugnissen der Ägyptenmode um 1800 kombiniert. Auch der Katalog steckt einen Horizont ab, der über Lepères Zeichnungen hinausgeht. Neben Einzeleinträgen zu den Ausstellungsstücken enthält er auch Essays und Exkurse zum französischen Ägyptenfeldzug und anderen europäischen Ägyptenmissionen, zur Entzifferung der Hieroglyphen und zu Aspekten des ägyptischen Totenkultes. Weitere Texte aus dezidiert ägyptologischer Perspektive befassen sich mit dem von Lepère studierten und dargestellten Tempel von Edfu in Oberägypten, so dass sich der Katalog in der Tat den Publikationen des vor allem auch auf dem Gebiet der Ägyptologie tätigen Verlages von Zabern eingliedert. Andere Beiträge widmen sich den Zeichnungen Lepères aus museal-konservatorischer Perspektive: Sie handeln von der Provenienz und Konservierungsgeschichte der Blätter und den verwendeten Papieren. Drei Beiträge des scheidenden Leiters der Grafischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums, Uwe Westfehling, schließlich ordnen die grafische Produktion Lepères in ihre produktionsästhetischen und funktionalen Kontexte ein: In ihnen werden die künstlerische Karriere des Architekten und Zeichners, die Arbeitsweisen Lepères und anderer zeichnender Forscher vor dem Objekt in Ägypten sowie die Umsetzung der zeichnerischen Skizzen in Vorlagen für die Stecher diskutiert.

Die Texte Westfehlings stellen in inhaltlicher Hinsicht den wichtigsten Beitrag zum Katalog dar. Der Autor profitiert von seiner großen Erfahrung im Umgang mit Zeichnung und Druckgrafik. Er vermag das Problem zu entwickeln, dass, bezogen auf den Tempel von Edfu, auch von der Ägyptologin Françoise Labrique in ihrem Beitrag "Edfu, wie Lepère es sah" angesprochen wird: die Abschätzung des "Verhältnis[ses] von Observation und Interpretation" (55). Westfehling führt aus, dass Lepère, "ganz Zeitgenosse der Enzyklopädisten, deren Bildverständnis er verinnerlicht hatte" (77), in seinen zeichnerischen Aufnahmen der ägyptischen Monumente vor allem durch "[...] die Formideen und Darstellungsmittel der sogenannten Revolutionsarchitektur" (77) geprägt war. Er erläutert darüber hinaus, dass sich weder die Perspektivansichten ägyptischer Monumente noch deren Modellierung in Licht und Schatten dem Studium vor Ort, sondern systematischer Anwendung akademischer Regeln und zeittypischer Konstruktions- und Berechnungsverfahren nach der Rückkunft in Paris verdankten.

Die Schlussfolgerungen, die man in systematischer Manier aus diesen Beobachtungen hätte ziehen können, nehmen im Katalog leider nicht den ihnen gebührenden Raum ein. Lepères Zeichnungen, die nicht selten rekonstruierende Ergänzungen einer ruinösen Überlieferung darstellen, waren vor dem Hintergrund westlicher kultureller Prägungen entworfene Wissensbilder zu einer in geografischer und zeitlicher Hinsicht fremden Welt, mit der sich aber eine Reihe von traditionellen Annahmen zu ihrem vermeintlich arkanen Charakter verband. Sie waren Teil der kolonialen Aneignung Ägyptens, die sich auch im gesamten Editionsprojekt der Description de l'Égypte ebenso wie in den von Lepère unternommenen Planungen zu einer (französischen) Repräsentationsarchitektur vor Ort äußerte. Im Zusammenhang mit post-kolonialer und bildwissenschaftlicher Theorie und deren Anwendung in jüngerer kunsthistorischer Forschung hätten diese Aspekte bezogen auf das in Rede stehende Material eine stärkere Beachtung und eine konzentrierte Diskussion verdient: Welches Bild der ägyptischen Altertümer wird in den Zeichnungen Lepères entworfen, wie war es geprägt, und wie verhielt es sich im Kontext der gedanklichen Aneignung Ägyptens in der Description? Welche Folgen zeitigte es für die europäische Vorstellung von Ägypten etc.?

Ist man für solcherart Fragestellungen sensibilisiert, so fallen bei der Lektüre des Kölner Katalogs weitere Monita ins Auge, von denen zwei hier genannt seien. 1) Das monumentale Editionsprojekt, zu dem Lepères Zeichnungen einen kleinen Beitrag darstellten, erhält innerhalb des Katalogs sicher nicht die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt. Die Déscription hätte in ihrem Gesamtumfang und ihrer Intention unbedingt genauer charakterisiert werden müssen. Auch der Beitrag von Gabriele Pieke zur Entstehung der Ägyptologie, der immerhin den Untertitel "Die 'Description de l'Égypte' als Keimzelle der Ägyptologie" trägt, vermag dies nicht zu leisten. 2) Der Aufsatz von Jérôme-Antoine Padilla mit dem Titel "Napoleons 'Expedition'. Eine Begegnung von Ost und West" diskutiert die angesprochene Begegnung in ihrer Problematik leider nicht systematisch, sondern ist eher eine Ansammlung von (durchaus interessanten) Einzelinformationen zum Zusammentreffen von Franzosen und Ägyptern. Darüber hinaus wird der Beitrag gänzlich unkommentiert von Darstellungen zu Wirken und Auftreten Napoleons in Ägypten illustriert, die allesamt von französischer Hand stammen und nur zum Teil zeitgenössisch, nicht selten aber posthum sind. Im Katalogteil werden diese Darstellungen, die auch Teil der Ausstellung waren, in Einzeleinträgen immerhin historisch näher eingeordnet. Doch auch hier fällt auf, dass etwa bei Stichen nach Antoine-Jean Gros' "Napoleon bei den Pyramiden" oder "Pesthaus von Jaffa" die neuere Literatur zum Thema nicht rezipiert wird, die auch zum Verständnis der Zeichnungen Lepères in den oben skizzierten Zusammenhängen hätte beitragen können. [1]

Insgesamt gilt: Die im Wallraf-Richartz-Museum bewahrten Zeichnungen Lepères wurden zu Recht mit Ausstellung und Publikation gewürdigt, da sie ein auch in ihrer handwerklichen Präzision faszinierendes, streng geordnetes Bild des ägyptischen Altertums entwerfen. Dabei werden sie im Katalog durchaus in ihrer spezifischen Medialität thematisiert, ohne dass jedoch bereits alle denkbaren Schlussfolgerungen aus diesem Einsatz des Mediums Bild gezogen würden.


Anmerkung:

[1] Siehe beispielsweise Darcy Grimaldo Grigsby: Extremities. Painting Empire in Post-Revolutionary France, New Haven / London 2002.

Claudia Hattendorff