Dorothee Brantz / Christof Mauch (Hgg.): Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 401 S., ISBN 978-3-506-76382-2, EUR 39,90
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Sigrid Dittrich / Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14. - 17. Jahrhunderts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2004
Christof Mauch (ed.): Nature in German History, New York / Oxford: Berghahn Books 2004
Christof Mauch / Thomas Zeller (eds.): Rivers in History. Perspectives on Waterways in Europe and North America, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2008
Marco Heurich / Christof Mauch (Hgg.): Urwald der Bayern. Geschichte, Politik und Natur im Nationalpark Bayerischer Wald, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Im Mai 2005 veranstaltete das Deutsche Historische Institut Washington im Literaturhaus Köln eine Konferenz zum Thema "Animals in History". Die Resonanz auf einen Call for papers war groß. Der anzuzeigende Sammelband enthält einen guten Teil der damals gehaltenen Vorträge. Wieder ein Sammelband, könnte man meinen: Wieder ein Versuch, der spürbaren Relevanz eines Themas durch das Zusammenfügen heterogener Beiträge gerecht zu werden. Am Beginn dieser schon längeren Reihe deutschsprachiger Sammelbände steht das Buch der Volkskundler Siegfried Becker und Andreas C. Bimmer von 1991; zuletzt erschien 2009 "Tiere und Fabelwesen im Mittelalter", herausgegeben von Sabine Obermaier.
Dass es - von einigen volkskundlichen Untersuchungen und Peter Dinzelbachers Versuch einer mentalitätsgeschichtlichen Handbuch-Synthese abgesehen - im deutschen Sprachraum bei mehr oder weniger disparaten Sammelbänden geblieben ist, liegt an den Schwierigkeiten, sich über den Gegenstand einer historischen Tierforschung zu verständigen. Der Band von Brantz und Mauch ist vor allem deshalb anregend und wichtig, weil er ganz unterschiedliche Stimmen zu diesem Thema vereint, darunter zahlreiche kulturalistisch und anthropologisch geprägte aus den USA, die in ihrer disharmonischen Gesamtheit die Problemlagen deutlich zum Ausdruck bringen.
Da gibt es Beiträge, die in guter geisteswissenschaftlicher Tradition Vorstellungen von Tieren als mentale Konstrukte analysieren und symbolische Räume öffnen: Beiträge über Rhinozerosse, Alligatoren, deutsche Schäferhunde. Und es gibt Beiträge zur Tierschutzbewegung als Teil der emanzipatorischen Bestrebungen, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Darin spiegeln sich Verlusterfahrungen: die Suche nach einer Verbindung oder Verständigung mit Tieren (30). Aus dieser hier historisierten Empathie mit dem Leiden von Tieren resultieren aktuelle Polarisierungen zwischen Wissenschaftlern, "die sich als Anwälte des Tierschutzes sehen und den anderen, die eine eher neutrale Haltung einnehmen" (328).
Das führt zu der Frage, ob und inwiefern Tiere Subjekte von Geschichte sein können: Ob man - wie Virgina Woolf es als Schriftstellerin getan hat - die Biografie eines Hundes schreiben könne. Helena Pycior beschäftigt sich mit den Hunden amerikanischer Präsidenten: den First dogs Laddie Boy und Fala, und Amy Nelson beleuchtet die Karrieren der sowjetischen Raumschiffhunde. Die Ergebnisse konvergieren. Pycior meint, jeder First dog habe eine Geschichte gehabt, eine Persönlichkeit, eine Veranlagung, die dem Weißen Haus entsprach, ein soziales Gespür, um inmitten des herausfordernden Geflechts zwischenmenschlicher Beziehungen und solchen zwischen Mensch und Hund zu gedeihen (102). Nelson findet: "Die anthropomorphen und anthropozentrischen Veränderungen ihrer Berühmtheit sagen vielleicht mehr über Beziehungen zwischen Menschen und Hunden aus als über die Wirklichkeit ihrer Erfahrungen. Aber sie untergraben nicht den wesentlichen Bestandteil ihres Ruhmes und ihres Platzes in der Geschichte - ihr Leben als Hund." (122).
Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass Geschichte Geschichte von Menschen ist, an Sprache gebundene Tradition. Außerdem wäre zu fragen, ob Tieren als Tierheit Geschichte gegeben werden soll, als Arten, als Individuen oder als mentalen Konstrukten. Da trotz aller postmodernen Dekonstruktion die erkenntnistheoretische Dichotomie Mensch-Tier die Diskurse durchzieht, eine philosophische Setzung, die ihre trennende Schärfe im Rationalismus erhalten hat, müssen Untersuchungen interessieren, die sich mit Grenzüberschreitungen beschäftigen. Kathleen Kete behandelt Haustiere und Kinder als Wahrnehmungen in der Kategorie des Niedlichen, und Susanne Hehenberger schreibt über "Sodomie vor Gericht im frühneuzeitlichen Österreich". Beide zeigen die Haltungen von Gesellschaften und Menschen auf, die ihre Welt schematisch gliedern. Männer, die des Geschlechtsverkehrs mit Tieren bezichtigt waren, verloren ihren Status als Mensch und wurden zu Bestien. Kete sieht nur die Bedürfnisse erwachsener Menschen abgebildet und zitiert Hugh Cunningham: "Die Forderungen nach einer Geschichte der Haltung Erwachsener gegenüber Kindern [...] sind sehr viel drängender als die Forderungen nach einer Geschichte der Kinder." (136).
Überwinden ließen sich die Probleme, die es bereitet, Tiere als Individuen und Subjekte wahrzunehmen, durch den radikalen Ansatz, den die Literaturwissenschaftlerin Julie Smith propagiert. Sie wünscht sich ein Nebeneinander gleichberechtigter autonomer Fiktionen: ein Feld gedanklichen Experimentierens, das nicht mit den Instrumenten der Wissenschaft bearbeitet wird. Sie plädiert dafür, die Unterscheidung zwischen Belletristik und Sachbuch aufzugeben: "Ich wage vorherzusagen, dass das Ergebnis nicht weniger plausible Darstellungen aufweist als jene, die einem objektivistischen Regime entstammen." (339).
Weshalb allerdings diese zweifellos reizvolle Vorstellung eines Erfahrungsraumes zur Erzeugung immer neuer Monaden nicht als literarisches Projekt betrieben werden kann, sondern die Wissenschaft überwuchern soll, bleibt unklar. Der Schaden wäre sicherlich groß.
Der Rezensent hält es eher mit Garry Marvin: "Wie Wölfe die Menschen wahrgenommen und [...] interpretiert haben, also eine Geschichte aus der Sicht der Wölfe, kann man unmöglich verstehen. Man kann sie sich vorstellen, aber dies wäre Belletristik, nicht Geschichte." (367). Seine Fragestellung lautet: "Welche Rolle könnten die sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Bedingungen spielen, in denen spezifische Wahrnehmungen über Wölfe entstehen, und ist es möglich, irgendwelche Muster in solchen Wahrnehmungen zu erkennen?" (368). Das, scheint mir, können Historiker leisten. Dabei sollte keineswegs vergessen werden, die Realien, die naturwissenschaftlichen und sozioökonomischen Erkenntnisse einzubeziehen, wie verschiedene Autoren es fordern (380, 386) und es zum Beispiel der Beitrag von Clay McShane und Joel A. Tarr über Pferde in der amerikanischen Großstadt im 19. Jahrhundert vorführt.
Der Band bietet natürlich auch eine Fülle weiterer Einsichten. Aus deutscher Perspektive sei besonders auf Aaron Skabelund über die Verwendung von Schäferhunden in totalitären Regimes und Renate Brucker verwiesen, die das Wirken des Radikalethikers Magnus Schwantje nachzeichnet. Insgesamt: Die Lektüre lohnt sich.
Brage Bei der Wieden