Rezension über:

Erich Donnert: Schwärmerei und Aufklärung. Die kurländische Freifrau Elisa von der Recke (1754-1833) in den Geisteskämpfen ihrer Zeit, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, 383 S., ISBN 978-3-631-59699-9, EUR 59,80
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Rezension von:
Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension von: Erich Donnert: Schwärmerei und Aufklärung. Die kurländische Freifrau Elisa von der Recke (1754-1833) in den Geisteskämpfen ihrer Zeit, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/06/17834.html


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Erich Donnert: Schwärmerei und Aufklärung

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Politisch stand das Herzogtum Kurland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter polnischer und seit 1795 unter russischer Herrschaft. Die geistige Orientierung vor allem der deutschsprachigen Oberschicht ging jedoch nach Westen. Die Aufklärungsphilosophie wurde durch den Intellektuellentourismus nach und aus Kurland breit rezipiert. Doch die Aufklärung hatte auch eine dunkle Rückseite in der Hermetik. Sie war anfällig für Schwärmerei, wie sie sich in alchimistischen, nekromanten und spiritistischen Praktiken äußerte. Die Spätaufklärung ist deshalb auch geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Schwärmern und Aufklärern.

Davon ist in dem Buch die Rede, das Erich Donnert, der emeritierte Osteuropa-Historiker an den Universitäten Jena, Leipzig und Halle, über die kurländische Adelige Elisa von der Recke (1754-1833) vorgelegt hat. Aus der Familie von Medem stammend, erhielt Elisa von ihrer Großmutter nur eine rudimentäre Ausbildung. Mit 17 Jahren wurde sie mit Georg von der Recke verheiratet, von dem sie sich nach fünfjähriger Ehe trennte. Nun begann eine Periode religiöser Schwärmerei in ihrem Leben. Sie wurde von den Schriften Johann Caspar Lavaters beeinflusst, mit dem sie in Briefkontakt stand. Sie verfasste pietistische Lieder und suchte nach Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit Verstorbenen.

In dieser Lebensphase begegnete sie 1779 dem Grafen Cagliostro, der auf einer Reise nach Russland im kurländischen Mitau Zwischenstation machte. Er erhoffte sich von den dortigen Freimaurern, zu denen auch Elisa von der Recke zählte, Unterstützung. Über seine Experimente waren die Zuschauer in der Freimaurerloge allerdings von Anfang an geteilter Meinung. Elisa schrieb 1787 über den Aufenthalt Cagliostros eine Kampfschrift, in dem sie sich von ihm distanzierte. Damit reihte sie sich ein in einen Diskurs über den italienischen Magier, der u.a. von Goethe in seinem Bühnenstück "Der Groß-Cophta" literarisch kritisiert und entlarvt wurde. Erich Donnert beschreibt die einzelnen Phasen der Cagliostro-Rezeption, um anschließend auf das Hauptanliegen seines Buches zu kommen, die Auseinandersetzung Elisas von der Recke mit dem Darmstädter Oberhofprediger Johann August Starck.

Starck war 1777 als Philosophieprofessor an das Akademische Gymnasium in Mitau gekommen. Obwohl Starck Freimaurer war, fühlte er sich in Mitau, einem Zentrum dieser Geistesrichtung, bald angefeindet und als heimlicher Jesuit und Komplize Cagliostros verdächtigt. Elisa von der Recke wurde aufgefordert, gegen Starcks Buch über den "Krypto-Katholizismus" zu schreiben, was von dessen Seite aus eine Entgegnungsschrift provozierte. Diese Schriften sind in dem zu besprechenden Buch von Erich Donnert kopiert. Obwohl sie 300 Seiten umfassen, sind sie nur als "Anhang" gekennzeichnet. Leider kann man auch nicht von einer Edition sprechen, weil sie lediglich als Fotokopie abgedruckt sind. Es ist schon eine Zumutung für den Leser, sich durch halbbedruckte Seiten durchquälen zu müssen. Für einen Ladenverkaufspreis von 59,80 EUR hätte sich der Herausgeber bzw. der Verlag durchaus die Mühe einer Transkription machen können.

Elisa von der Recke kam über ihre Schriften in engen Kontakt mit dem Zentrum der Berliner Aufklärung. Sie publizierte bei Friedrich Nicolai. Sie setzte sich für soziale Reformbestrebungen und Frauenbildung ein. Für ihre Schrift gegen Cagliostro erhielt sie breite Zustimmung, auch von der russischen Zarin Katharina der Großen. Doch sie blieb "in den Grenzen der Berliner Aufklärung" (67). Mit Kants Philosophie konnte sie wenig anfangen. Er war ihr zu spekulativ. Elisa von der Recke blieb eine Vertreterin protestantischer und antikatholischer Aufklärung, geprägt von schwärmerischem Pietismus und Freimaurerei, doch kritisch gegenüber Magie und Alchimie. So gilt für sie wie für manche andere Vertreter ihrer Generation, was Erich Donnert als Schlusssatz formuliert: "Zu ihrem Weltverständnis gehörte auch, dass sie den Untergang des Alten Reiches bedauerte, ohne eine neue geschichtliche Perspektive aufzeigen zu können." (68)

Joachim Schmiedl