Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (= Geschichte der Gegenwart; Bd. 1), Göttingen: Wallstein 2010, 437 S., ISBN 978-3-8353-0639-4, EUR 29,90
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Christian Philip Peterson: Globalizing Human Rights. Private Citizens, the Soviet Union, and the West, London / New York: Routledge 2012
Ein bedeutendes und zukunftsträchtiges Forschungsfeld hat eine erste Verankerung in der deutschen Geschichtswissenschaft gefunden. Hoffmann meint einleitend, die bedeutendsten Werke zum Thema Menschenrechte stammten nicht von Historikern (was nicht ganz stimmt). Aber wichtiger ist, dass mit diesem, aus einer Tagung von 2008 hervorgegangen Band in diesem Land erstmals ein interdisziplinäres Forschungsfeld von Juristen, Politikwissenschaftlern und Historikern so breit vorgestellt wird. Viele der 15 Beiträger stammen aus dem englischen Sprachbereich, etliche auch aus Deutschland.
Manche der Autoren haben bereits eindrucksvolle Monographien publiziert, bei anderen stehen Buchveröffentlichungen offenbar bevor. Es gibt die Tendenz, einen Triumph von Menschenrechten (vgl. Moyn, 64) in der Welt seit den 1970er Jahren oder im Wegfall des bisherigen Ost-West-Konflikts um 1990 zu konstatieren. Dem schließen sich die Verfasser dieses Bandes so nicht an, wenn sie sorgfältig kontextualisieren und triumphalistische oder fortschrittsgläubige Behauptungen historisieren und damit differenzieren. Über die Ursprünge des Gedankens an allen Menschen zustehenden Menschenrechten in Antike und Aufklärung kann man trefflich streiten, aber erst in der amerikanischen und französischen Revolution des 18. Jahrhunderts wurden sie kodifiziert.
Warum sie dennoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg zentrale Bedeutung erlangten, untersucht der Herausgeber einleitend und findet in vier Phasen bis 1945 Gründe, die vor allem in der europäischen Expansion und in nationalstaatlichen Prioritäten gesehen werden. Gipfelnd in der UN-Erklärung der Menschenrechte von 1948 entfaltet er sodann erneut vier Gründe, warum sie nun von Belang wurden; Kalter Krieg und Dekolonisierung, die Rolle von NGOs seit den siebziger Jahren gehörten u.a. dazu. Gerade diese Thesen zeigen, dass die Historisierung der Menschrechte "als Konfliktgeschichte" (37) erst in den Anfängen stecke.
Mark Mazower arbeitet in seinem in manchem parallelen Beitrag heraus, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch der Gedanke an Zivilisierungsmissionen (also von Ungleichen) vorherrschte, bis dann die Zubilligung von Rechten an Individuen die Oberhand gewann. Gegen die These, dass der Kalte Krieg eine Ausbreitung der Menschenrechte verhinderte, schreibt Mikael Rask Madsen an, wenn er unterstreicht, dass gerade die mit Sanktionen bewehrte Europäische Menschenrechtskonvention - anders als die UN-Konvention - u.a. zur Abgrenzung gegenüber kommunistischer Unfreiheit konzipiert wurde. Auf der anderen Seite entwickelte auch die Sowjetunion spätestens seit Chruschtschow einen eher auf Gemeinschaftsrechte und sozialistische Errungenschaften gestützten Anspruch (Jennifer Amos), der analytisch ernst zu nehmen ist.
Zu klären, was die Menschenrechte eigentlich insgesamt aufmacht, ist ein genuines historisches Anliegen. Universalität des Anspruches und historisch-politische Umsetzung gehen (Wildenthal) je ein Spannungsverhältnis ein. Samuel Moyn etwa zeigt einen Ursprung bei dem katholischen französischen Philosophen Jacques Maritain auf und damit andere als die zumeist sonst genannten. Lora Wildenthal führt am Beispiel des aus Böhmen stammenden sozialdemokratischen deutschen Völkerrechtlers Rudolf Laun aus, wie dieser von den zwanziger bis in die sechziger Jahre hinein politisch für Minderheitenrechte, in der Bundesrepublik vor allem für das "Recht auf Heimat" zu wirken suchte, bis er damit auch seinen Kollegen auf die Nerven ging. Am Mythos von René Cassin als einer der Gloriolen der Menschenrechtsdeklaration kratzt Glenda Stuckan in einem historisierenden Essay.
Ein wenig aus dem Rahmen fallen Kevin Grant über die Abschaffung von Sklaverei zwischen 1885 und 1956 ebenso wie Celia Donnert, die für die CSSR seit den siebziger Jahren den Diskurs über Menschenrechte für Sinti zeigt - auf der bürgerrechtlichen Ebene ebenso wie auf der gouvernementalen. Insbesondere dem Komplex der Dekolonisierung sind mehrere Beiträge gewidmet (Fabian Klose, Daniel Roger Maul - beide mit Monographien hervorgetreten - und Andreas Eckert). Einig ist man sich, dass die Argumentation mit den Menschenrechten eine Rolle in der Dekolonisierung spielten; aber eine genauere Bestimmung hier und für andere Fälle wäre schon erwünscht. Vor allem Eckert macht in einem profunden Beitrag darauf aufmerksam, dass sich der Anspruch auf universelle Menschenrechte sehr bald nach der Unabhängigkeit auch gegen afrikanische Diktatoren wenden konnte.
Von der UNO ist wenig, dann aber vor allem kritisch die Rede. Devin O. Pendas setzt bei seinem Essay "Auf dem Weg zu einem globalen Rechtssystem?" ein deutliches Fragezeichen, wenn er aus den Verhandlungen und der Umsetzung etwa der - parallelen - Genozidkonvention von 1948 den Schluss zieht, es gehe bei der Institutionalisierung von Sanktionsinstanzen immer um das Verhältnis von Politik und Recht und damit "um den Charakter des Völkerrechts selbst" (241). Eindrucksvoll sind Fallstudien, unter denen A. Dirk Moses Beitrag über Kriegsverbrecher- und Völkermordprozesse in Bangladesch gegen pakistanische Soldaten in den frühen siebziger Jahren hervorragt, ebenso wie Jan Eckel, der die internationalen Menschrechtskampagnen nach der Ermordung von Salvador Allende zum Thema macht: geringer unmittelbarer Einfluss, aber starke Langzeitwirkung. Moses:"Eine teleologische Erzählung der Entwicklung in der Nachkriegszeit im Bereich der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen und Völkermord ist wenig überzeugend, wenn man die anhaltende Tendenz der Großmächte bedenkt, die internationale Menschenrechtsordnung nur dann zur Schau zu stellen, wenn sie ihren Interessen dient" (367). Damit wendet er sich gegen eine Tendenz gerade der Genozidforschung, Großmachtpolitik selbst als nur zynisch anzusehen: es gehe um eine Analyse konkurrierender Prinzipien (366).
Dem kann sich der Rezensent anschließen. So wichtig und innovativ es ist, das Forschungsfeld der internationalen oder auch nationalen Diskurse, Reden und Deklarationen in den Blick zu nehmen, macht das Spannungsverhältnis zu Politik auf allen Ebenen doch nach wie vor einen guten Sinn. Das nicht immer einfache Zusammenspiel von Moral und deren Instrumentalisierung findet sich in allen Fallstudien wieder. Dieser Menschenrechtsband, mit dem das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschungen eine neue Reihe eröffnet, bietet einen bunten Blumenstrauß von gut durchdachten, empirisch untermauerten und aus unterschiedlichen Disziplinen argumentierender Beiträge, welche eine breite Fortsetzung der Forschungsdiskussion anregen sollten und wohl auch können.
Jost Dülffer