Michael Maaß: Das antike Delphi (= C.H. Beck Wissen; Nr. 2431), München: C.H.Beck 2007, 128 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-53631-1, EUR 7,90
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In der Reihe Beck Wissen hat mit Michael Maaß ein ausgewiesener Kenner eine knappe Einführung in das antike Delphi vorgelegt. [1] Die Arbeit ist in dreizehn Kapitel gegliedert, deren Titel auf die überwiegend chronologische Anordnung des Stoffs verweisen, von mykenischer Zeit bis zum Ende des Orakels. Die chronologische Gliederung ist zum Teil mit einer thematischen verschränkt (z.B. Kap. 3: "Die Siedlung: Bergdorf - Wallfahrtsort - kosmopolitische Stadt", Kap. 4: "Delphi als 'Nabel der Welt'", Kap. 10: "Festspiele: Überlieferungen und Bauten", Kap. 12: "Delphi im Vergleich mit Olympia"). Diese Einteilung ließ sich nicht immer schlüssig umsetzen, so dass etwa Kap. 9 zum "Erbe der Vergangenheit unter römischer Herrschaft (1. Jahrhundert v. Chr. - 4. Jahrhundert n. Chr.)" mit noch nicht einmal einer Seite sehr knapp ausfällt, nicht zuletzt deswegen, weil der behandelte Abschnitt trotz der Zeitangabe in der Überschrift bereits mit Hadrian endet. Zahlreiche Angaben zu diesem Zeitraum finden sich ausführlicher in anderen Kapiteln (z.B. Kap. 4 "Delphi als Nabel der Welt", 46-48, oder Kap. 11 "Delphi im Wandel von Überlieferungen und Weltanschauungen - das Ende des Orakels") sowie in der Zeittafel, wo ihm fast genauso viel Platz eingeräumt wird wie in dem dafür ausgewiesenen Kapitel.
Die Darstellung ist problemorientiert und quellenbasiert geschrieben. Maaß liefert erfreulich häufig - wenn auch nicht immer (z.B. 33. 47. 49. 66. 94) - die für ein wissenschaftliches Publikum wichtigen Quellenangaben. Überaus aufschlussreich schildert er die wechselhafte Geschichte der überlieferten Denkmäler. Diese wurden bereits in der Antike einerseits durch Erdbeben und damit einhergehende Bergstürze beschädigt oder zerstört. Andererseits erfuhren sie zu verschiedenen Zeiten eine höchst unterschiedliche Wertschätzung, was ihre Umdeutung, Umnutzung, Verwendung als Spolien oder ihre völlige Vernichtung zur Folge hatte (z.B. 28). Maaß geht auf die sehr interessanten entsprechenden Entwicklungen in der modernen Ausgrabungs- und Forschungsgeschichte ein, sei es auf moderne Erdbebenschäden (11), auf bei den Grabungen zerstörte christliche Denkmäler (30. 102) oder auf Irrwege der Forschung (22).
Pausanias' Beschreibung Delphis wird in einem eigenen - im Übrigen dem längsten - Kapitel abgehandelt, das in seiner Detailfülle etwas additiv geraten ist und eine geistesgeschichtliche Einordnung in die Zweite Sophistik vermissen lässt. Letzteres gilt auch für Plutarch, der erst am Ende des Bandes eine übergreifende Würdigung erfährt (104-106).
Die im Grundsatz gelungene Einordnung Delphis in den naturräumlichen Kontext (9. 12f.) ist durch eine Naturschwärmerei gekennzeichnet, die Maaß, meines Erachtens anachronistisch, gleichermaßen in der Antike wie im 19. und 20. Jahrhundert zu erkennen glaubt. Im Vergleich zu den vom Geist der Romantik geprägten modernen Naturbeschreibungen fallen die antiken Zitate doch sehr nüchtern aus (9). Das antike Naturinteresse dürfte weit mehr auf den ominösen Dämpfen als auf dem für heutige Augen spektakulären Bergpanorama gelegen haben, wie es nicht zuletzt ein Vergleich mit dem phrygischen Hierapolis nahelegt. [2] Ebenso seien Delphis Denkmäler "letztlich einer Spiritualität [zu] verdanken, deren Ideen auch noch heute lebendig sind." (7). Der "genius loci" sei charakterisiert durch eine Offenheit gegenüber anderen Kulturen - in der Maaß "Ideen einer Humanität" erkennen will (111) - ; er zeichne sich außerdem durch "Selbstbefragung" (112) aus sowie durch Erkenntnis der individuellen Begrenztheit und präge Antike wie Moderne (z.B. 7. 34. 111. 113), eine ebenfalls fragwürdige These.
Ein Hauptaugenmerk legt Maaß, außer auf die archäologische, literarische und epigraphische Überlieferung, auf die eben bereits angesprochene religiöse Bedeutung des Heiligtums und schlägt hierbei mehrmals Brücken zum Alten und Neuen Testament sowie zur christlichen Tradition (12. 21. 46). Auf die politische Bedeutung Delphis bzw. die politische Dimension des Religiösen, die ja im Vergleich zu anderen panhellenischen Heiligtümern, insbesondere Olympia, heraussticht, geht er zwar immer wieder ein (z.B. 19. 33-35. 41-45) und thematisiert "Beutevotiv- und Kriegsdenkmälerwesen" (66) und "Denkmälerkrieg" (66). Doch weil Maaß die Rolle eines aktiven direkten Eingreifens des Orakels von Delphi für überbewertet hält (34f.), kommt dieser Aspekt zu kurz. Entsprechend stellt Maaß die spirituelle Rolle Delphis auch in dem - mit allzu langen antiken Zitaten zu Olympia versehenen - Kapitel zum Vergleich der beiden großen Heiligtümer und ihrer Spiele ins Zentrum (108-112).
Eine Zeittafel (auf der auch die Daten der großen Erdbeben und der Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1891 hätten erwähnt werden sollen), ein Verzeichnis ausgewählter Literatur, kommentierte Orts- und Personenregister, ein Glossar sowie zahlreiche Querverweise gestalten den Band sehr benutzerfreundlich. Fachbegriffe und ungewöhnlichere Fremdwörter werden, mit wenigen Ausnahmen wie "Emanation" (13) und "rustizierend" (53), im Text selbst und/oder im Glossar erklärt, was nicht zuletzt den Bedürfnissen eines breiteren Publikums entspricht. Die wichtigsten Denkmäler sind in - wenn auch häufig kaum mehr als briefmarkengroßen - Fotos, Rekonstruktionszeichnungen und Plänen abgebildet. Vom Apollonheiligtum sind ein Plan und ein Modell beigefügt, vom Heiligtum der Athena Pronoia ein Plan. Wünschenswert wäre ein Übersichtsplan gewesen, um auch die Lage der antiken Siedlung, des Stadions, der Kastalia-Quelle und des Gymnasions vor Augen zu haben. Lediglich am Rande seien kleinere redaktionelle Mängel erwähnt wie der Tippfehler "Spyrelatontechnik" statt Sphyrelatontechnik (80) und eine gewisse Redundanz in der Beschreibung des Hagios-Elias-Kalksteins (90f.).
Abschließend bleibt zu betonen, dass der Band, ungeachtet der hier aufgeführten Kritikpunkte, eine fundierte und zugleich ansprechende Einführung darstellt. [3]
Anmerkungen:
[1] Michael Maaß: Das antike Delphi. Orakel, Schätze und Monumente, Stuttgart 1997
[2] Vgl. die Quellenzusammenstellung mit Kommentar bei Tullia Ritti, Hierapolis. Scavi e ricerche Bd. 1: Fonti letterarie ed epigrafiche, Archaeologica 53, Rom 1985, 7-15. Die heute weltberühmten Sinterrassen wurden in den antiken Quellen nicht erwähnt. Nur die Fähigkeit des dortigen Thermalwassers, Stein zu bilden, fand Beachtung: ebd. 16-22.
[3] Vom Umfang her ähnlich ist die Einführung von Marion Giebel, die den Schwerpunkt auf die Orakelsprüche und ihre Deutung legt: Marion Giebel: Das Orakel von Delphi. Geschichte und Texte. Griechisch/Deutsch, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18122, Stuttgart 2004 (Ndr. 2009).
Nicola Zwingmann